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Antonia Mayer

Mit Culk dem Ende des Patriarchats genüsslich entgegenfiebern

Das Wiener Quartett Culk stellt sich auf dem zweiten Album „Zerstreuen über euch“ dem Patriarchat in all seinen hässlichen Fratzen. Im Interview erzählt die Band, wie im Proberaum über eigene Strukturen reflektiert wurde.

Von Michaela Pichler

Es gibt ihn noch immer, den seltsamen Mythos des zweiten Albums, einer schwierigen Geburt im kreativen Schaffensprozess einer Band. Irgendwo geistert er noch herum im popkulturellen Universum. Sophie Löw, Johannes Blindhofer, Benjamin Steiger und Christoph Kuhn können jedenfalls davon kein Lied singen. Als Culk veröffentlichten die vier erst letztes Jahr ihr selbstbetiteltes Debütalbum, jetzt sorgen sie mit „Zerstreuen über euch“ gleich für den zweiten Langspieler. Eine gewisse Dringlichkeit liegt dem Album zu Grunde, geschuldet ist diese wohl der inhaltlichen Aktualität. Culk stellen sich darin nämlich dem Patriarchat in all seinen hässlichen Fratzen. Auch 2019 schon haben sich die vier bereits auf ihrem Debüt dem Thema Macht in zwischenmenschlichen Beziehungen angenähert, auf „Zerstreuen über euch“ geht die Band allerdings noch einige Schritte weiter.

Culk

Culk

Das zweite Album „Zerstreuen über euch“ von Culk ist am 12. Oktober 2020 via Siluh Records erschienen.

Lebensnahe Poesie

In den ausschließlich deutschsprachigen Liedern hat Sophie Löw für ihre Texte eine zwar poetische, aber klare Sprache gewählt, um quasi mit Wortspielereien der politischen Agenda Ausdruck verschaffen: „Mein Wunsch war es diesmal, konkreter zu werden in den Texten. Zwar schon alles in einem lyrischen Mantel, aber es soll verstanden werden.“ Diese Herangehensweise hat sich auch auf dem ersten Vorboten des Albums, der Single „Dichterin“, gezeigt. Darin geht es um das Unsichtbarmachen von nicht-männlichen Personen, das das generische Maskulinum in der deutschen Sprache mit sich bringt.

„Generell herrscht in unserer Gesellschaft die allgemeine Meinung, dass wir beim Thema Gleichberechtigung schon sehr, sehr weit sind. Aber wir haben eben noch genauer hingeschaut und auch in unsere Bandstrukturen. Obwohl wir jetzt teilweise aware sind, haben wir auch nicht alles beiseiteschieben können, was verankert ist in einem. Wir fallen alle in solche Strukturen. Und so geht es auch jeder Band und jeder Freundschaft, dass man das noch in sich hat“, erklärt Sängerin, Multiinstrumentalistin und Songwriterin Sophie Löw. Die eigenen Muster hinterfragen und ganz genau hinschauen: Das haben Culk für ihr Album ernst genommen und im Proberaum über Alltagssexismus und patriarchale Strukturen diskutiert. „Für mich war es im Proberaum - aber auch außerhalb davon, in Gesprächen und Diskussionen - ein schrittweises immer mehr Verstehen von all diesen Themen“, erzählt der Schlagzeuger Christoph Kuhn. Lernen, was es zum Beispiel heißt, als Frau nachts nach Hause zu gehen.

Es gibt keine zu kurze Hose

„Für mich war der Song ‚Nacht‘ ein Schlüsselpunkt. Als Kind dachte ich immer, dass, wenn ich mal 25 Jahre alt bin, ich in der Nacht einfach heimgehen kann und ich keine Angst mehr habe und mich sicher fühle. Und das ist jetzt leider nicht so.“ Für „Nacht“ hat Sophie Löw mit Kolleginnen und Freundinnen gesprochen, um verschiedene Strategien herauszuarbeiten, mit denen sich Frauen in der Nacht sicherer fühlen. Den Schlüssel fest in der Faust, ein Telefonat vortäuschen, immer wieder die Straßenseite wechseln. Das eigene Outfit in Frage stellen, vielleicht doch die „falsche“ Hose angezogen zu haben? Sophie Löw spricht im Interview über die Absurdität dieses Gedankens. "Zuerst denkt man: „Warum zieh ich mir überhaupt eine kurze Hose an, wenn ich mich unwohl fühle?" Aber es geht ja gar nicht um die kurze Hose! Sondern es geht darum, wie ich in der kurzen Hose betrachtet werde.“

Den Finger tief in die Wunde zu legen und schmerzhaft festzustellen, wo es noch immer weh tut - das haben Culk in ihren neun Songs immer wieder getan. In „Jahre später“ wird dieser Schmerz auf einer tiefgreifenden Ebene sichtbar. Im Song wird eine Person porträtiert, die erst nach langer Zeit das traumatische Ausmaß vergangener Übergriffe erkennt.

du verstehst Jahre später
du zerbrichst Jahre später nochmal

Es sind schwere Zeilen, die den Songtext zusammenhalten. Mittendrin verbirgt sich die Kernaussage des Songs, vielleicht sogar des ganzen Albums: „Da muss es schon Vorbilder geben, die einem in diesem Prozess zeigen, was du dir auf keinen Fall gefallen lassen solltest. Dass du deine Grenzen selbst definieren kannst. Aber um das zu können, muss man erstmal verstehen, was normal ist, was nicht normal ist. Was okay ist und was nicht okay ist. Erst dann kann man sich schützen“, erklärt Sophie Löw im Interview.

„Es ist ein genauer Hinschauen“

Auf ihrem zweiten Werk glänzen Culk aber nicht nur mit sozialpolitischen Themen. Der gitarrenlastige Sound zwischen dunklem Post-Punk und hallendem Shoegaze fängt die Schwere von Alltagssexismus, Gewalt und Ungerechtigkeit passend ein. „Wir sind unserem Sound schon treu geblieben, haben ihn vielleicht an manchen Enden und Ecken noch ein bisschen ausgefeilt. Und wir haben auf jeden Fall versucht, Sophies Gesang im Sound besser einzubetten“, meint Culk-Drummer Christoph Kuhn im Interview. Das ist den vier Wiener*innen auch gelungen. Ein bedrohlicher Soundtrack ist dadurch entstanden, mit dem wir dem Ende des Patriarchats genüsslich entgegenfiebern können.

„Unser Album ist keine Antwort, es ist ein genauer Hinschauen. Aber das ist auch die Grundvoraussetzung für eine Kampfansage.“ - Sophie Löw

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