„Zugvögel“: Ein Umweltroman aus Australien, der auch ein Zukunftsroman und Familiendrama ist
von Eva Umbauer
Die australische Schriftstellerin Charlotte McConaghy ist vor allem als Drehbuchautorin tätig. Ihr Roman „Zugvögel“, im englischsprachigen Original „Migrations“, würde sich auch als Filmvorlage eignen: dramatisch, abenteuerlich und ruhelos.
Charlotte McConaghy war gerade in Irland, jenem Land, in dem ihre Wurzeln liegen. Sie wanderte die Küste entlang, als sie die Idee zu „Migrations“ hatte. Irland ist dann auch einer der Schauplätze in „Zugvögel“, neben Grönland, Neufundland oder Australien.
Klimawandel und Artensterben

S. Fischer
„Zugvögel“ von Charlotte McConaghy ist in deutscher Übersetzung von Tanja Handels im S.Fischer Verlag erschienen.
Franny Stone, eine rastlose junge Frau, liebt die Natur. Sie liebt Vögel, etwa die Küstenseeschwalben. Einer Gruppe dieser Vogelart folgt sie schließlich auf einem Fischkutter in die Antarktis. Franny gibt sich als Wissenschafterin aus. Seeschwalben sind Zugvögel, legen auf ihrer Reise sehr lange Strecken zurück. Es könnte ihre letzte Reise sein, denn es gibt beinahe keine Fische mehr. Auch für den Fischkutter könnte es die letzte Fahrt sein. Und auch eine letzte Reise für Franny Stone?
Als Franny ein Kind in Irland ist, alleine mit ihrer Mutter, sind die Seeschwalben an der Küste ihre Spielgefährt*innen. Im Haus vertreiben sich die beiden Frauen die Zeit mit Büchern.
„Wir hatten kein Geld, gingen aber oft in die Bibliothek. Mam sagte immer, in den Seiten eines Romans lebe die einzige Schönheit, die die Welt uns zu bieten habe. Den Tisch deckte sie mit Tellern, Gläsern und Büchern. Wir lasen beim Essen, während sie mich badete und wenn wir bibbernd im Bett lagen und dem Wind lauschten, der durch die undichten Fenster heulte.“
Franny Stone ist anders. Sie hat in Sachen Karriere oder Geld andere Werte als die Menschen rund um sie, als sie dann mit dem erfolgreichen Universitätsprofessor Niall Lynch verheiratet ist. Niall kommt aus einem wohlhabenden Elternhaus. Er ist Ornithologe, also Vogelwissenschafter. Franny hatte sich in seine Vorlesungen geschlichen, ohne inskribiert zu sein; sie arbeitete als Putzfrau im Universitätsgebäude.
„Nialls frühere Kollegin, Shannon, hat das Fest für ihr Kleinkind veranstaltet, und mich erinnert es vor allem an meine Vorstellung von einer Party nach der Oscar-Verleihung, inclusive Champagnerbrunnen, schwimmenden Lichtern und formeller Abendgarderobe. Ich habe keine Ahnung, wo sie das Geld herhat, denn Akademikergehälter sind nicht gerade üppig. Vielleicht kommt es ja aus der Familie.“
Dunkles Geheimnis
Franny Stone zieht dann also durch die Welt, ihren Instinkten folgend, hinter den Seeschwalben her. Der Besatzung des Fischkutters, die ein ziemlich bunter Haufen ist, kommt sie „komisch“ vor, irgendetwas stimmt wohl nicht mit Franny. Sie scheint ein dunkles Geheimnis zu haben, vor etwas wegzulaufen.
Franny Stone hat sich von Buchseite zu Buchseite entwickelt, sagt Autorin Charlotte McConaghy. Es stand für sie nicht von vornherein fest, wer und wie sie genau sein würde. Es war fast ein wenig so, als ob die Figur der Franny mit Charlotte sprechen und sie durch den Roman führen würde. Franny, so Charlotte McConaghy, ist jedenfalls Vieles, was sie selbst gerne mehr wäre: mutig und wild. „She doesn’t take shit from people“, sagt Charlotte McConaghy über die Figur Franny. Aber gleichzeitig wirkt Franny Stone auch irgendwie verloren.
„Die Tiere sterben. Bald sind wir hier ganz allein.“
Das Sterben der Natur infolge von Klimawandel und Erderwärmung ist das Setting für „Zugvögel“, diesen Umweltroman, Klimaroman, diese abenteuerliche Dystopie, diesem Endzeitroman, der aber auch etwas von einem Krimi hat und letztlich ein ziemlich dramatischer Familienroman voller Mysterien ist. „Zugvögel“ ist auch eine Elegie über verlorene Liebe. Eine Portion Pathos darf dabei nicht fehlen, wenn Franny Stone ihr Leben aufarbeitet - und nach dem Sinn des Lebens fragt.
Mittendrin
- Eine Leseprobe gibt es hier.
Man ist immer mittendrin, in jeder Situation, in der sich Franny gerade befindet. Man fürchtet um sie in der stürmischen See und man zittert mit ihr, als sie auf der Straße einen folgenschweren Unfall verursacht. Aber man kann nicht eingreifen, Franny Stone ist unkontrollierbar. Ansonsten erzählt Charlotte McConaghy ruhig und gelassen, aber nie langatmig.
„Meine Finger und Zehen sind bereits weiß, weil mein Körper mit aller Macht das Blut von ihnen abzieht, um es in meiner Mitte zu halten, wo noch Wärme ist, krampfhaft versucht, das Herz weiterschlagen zu lassen. Über mir malt die Sonne Muster auf das Wasser. Ich glaube, davon habe ich schon mal geträumt. Die Vögel sind jetzt nur noch Umrisse, die weit oben kreisen.“
Charlotte McConaghy schrieb ein paar Jahre an diesem herzzerreißenden Roman. „Moby Dick“, sagt sie, hat sie nie gelesen, aber Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ war eine Inspirationsquelle. „Zugvögel“ hat aber auch etwas Autobiografisches. Als Kind und junge Frau zog Charlotte McConaghy oft um. Sie lebte bis sie einundzwanzig Jahre alt war in sage und schreibe, einundzwanzig Häusern und fühlte sich, wie Franny Stone, nie richtig zugehörig.
In einer Zeit, in der das Reisen nicht wirklich möglich ist, ist es auch toll, wie intensiv einen Charlotte McConaghy an diverse Orte der Welt führt, eben von Irland via Grönland bis in die Antarktis.
Publiziert am 10.10.2020