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Neues Future Islands Album "As Long As You Are"

Justine Flythe

Der Indie-Schlager der Future Islands

Käse, Kraft und Kult: Auch auf ihrem neuen Album „As Long As You Are“ vermengen die Future Islands eine Menge Zutaten zu einer Musikspeise, die bei anderen ungenießbar wäre. Ab jetzt mit einer Prise Schweden.

Von Christian Lehner

Modest Mouse, Portugal The Man, Peter Bjorn And John – die Liste von Indie-Bands, denen im Laufe ihrer Karriere zumindest ein Crossover-Hit gelungen ist, ließe sich beliebig lange fortsetzen, zahlt bei manchen Indie-Wuckeln wohl bis heute Miete und Studiokosten und würde eine interessante Playlist ergeben (diese aber bitte nicht mit „One-Hit-Wonders“ betiteln).

Aber welche Indie-Band schaffte den Durchbruch in einer TV-Show? „I’ll take all of that you got!“, entfuhr es einem begeisterten David Letterman unmittelbar nach dem Auftritt der Future Islands in der Late Show am 3. März 2014. Dabei hatte die Band bloß das getan, was sie bereits jahrelang getan hatte, über mehrere Alben und Tausende Meilen auf Tour, zuerst als Art Lords & the Self-Portraits und ab 2006 als Future Islands.

Albumproduktion in Coronavirus-Zeiten

Seit einem Kunstprojekt auf der High School, als Frontmann und Nebenbei-Rapper Samuel T. Herring einen arroganten deutschen Sänger namens Locke Ernst-Frost mimte, funktioniert das Prinzip Future Islands so: Während die Band stoisch wie Kraftwerk den Klangteppich ausrollt, gibt Samuel T. Herring den expressiven Performer. Er schwingt die Hüften wie ein Gummi-Elvis, punktiert seinen passionierten Gesang mit Death-Metal-Growls, klopft sich dabei sein Herz aus der Brust wie King Kong, um im nächsten Augenblick Lieblichstes in den siebten Himmel zu säuseln.

Wären diese Performances nicht von solch glaubwürdiger Hingabe erfüllt, könnte man an eine Parodie denken oder an einen Schlager, der sich aber gerade dadurch unterscheidet, dass er bloß simuliert, was Future Islands als höheres Prinzip mit dieser seltsamen Mixtur von Stilen und Gesten etabliert haben. Es geht um Gefühle, die nicht geglättet und gefahrlos empfunden werden können, sondern um ihre größtmögliche Ausreizung. Das mag manchmal lächerlich, manchmal auch verstörend wirken, ist aber das Benzin dieser Rockband, die einmal fast fünf Jahre durchgehend auf Tour war.

Dass sich die Musik hinter Herrings Gefühlsakrobatik nicht selten aus kitschig käsigen Melodien, Bassläufen und Synthspuren zusammensetzt, ist dabei kein Betriebsunfall. Beim FM4 Interview via Videoplattform definierte der Gründer, Sänger und Songschreiber den Stil seiner Band als „Joe Cocker fronting New Order“.

Neues Future Islands Album "As Long As You Are"

4AD

„As Long As You Are There“ ist bei 4AD/Beggars erschienen.

„As Long As You Are” ist nun das sechste Studioalbum der Future Islands. Es ist das zweite seit dem denkwürdigen Auftritt bei David Letterman, der sich wie ein Brandbeschleuniger auf die Karriere der Band aus Baltimore, Maryland auswirkte.

„As Long As You Are” weicht nur unwesentlich von der Erfolgsformel der Future Islands ab. Herring, der mittlerweile bei seiner Freundin in Schweden lebt, führt an, dass man sich für dieses Album so viel Zeit wie für keines davor genommen habe. Die Gründe liegen auf der Hand: Obwohl die Songs noch vor der Pandemie eingespielt wurden, hatte der Lockdown doch Auswirkungen auf die Entstehung der Platte. „Ich hatte die Jungs drei Monate nicht getroffen. Das Album musste noch gemastert werden. Wir haben das über Videokonferenzen gelöst und mit einer Software, die man direkt mit dem Mixing-Board kurzschließen kann. So hatten wir Zugriff und konnten die Songs nachbearbeiten.“

Der Sound hat tatsächlich mehr Tiefenschärfe und klingt satter als am Vorgänger „The Far Field“ (2017), mit dessen Endresultat die Band heute sehr unzufrieden ist. Obwohl ständig auf Achse, hätten Future Islands bisher nie während einer Tour an neuen Stücken geschrieben und gearbeitet, sagt Herring, sondern immer nur in den kurzen Pausen dazwischen. Der so entstandene Zeitdruck habe ständig zu Spannungen in der Band und im Privaten geführt. Nach dem Erfolg von „Singles“ (2014), musste nach einer dieser langen Touren schnell ein Nachfolger her. Fans und auch die Kritik gingen freilich wesentlich milder mit „The Far Field“ ins Gericht, als es die Band heute tut.

Liebesschwüre zwischen Schweden und Baltimore

Das neue Album eröffnet mit dem neuen Leben Herrings. Der Opener trägt den Titel „Glada“. Das ist der schwedische Name für den Greifvogel Rotmilan. Der dreht seine Runden gerne über dem Teich vor dem Haus seiner Freundin, das etwas außerhalb von Malmö liegt. „Die Vogelgeräusche im Intro hat aber William (Bassist William Cashion, Anm.) in North Carolina aufgenommen. Es sind Gänse, die da zu hören sind. Wir haben viele field recordings am Album versteckt. Das haben wir auch früher so gemacht. Wir mögen das. Diese Geräusche können dich an bestimmte Orte tragen. Eigentlich wollte ich den knirschenden Schnee in Schweden aufnehmen, aber es hat in diesem Jahr nicht genug geschneit.“

In the night
Long after summer winds
In the last, diving in
Finding love and a friend
In the dawn (“Glada”)

Erneut trägt Herring in seinen Texten kräftige Farben auf. Die Natur spiegelt den Zustand der Seele. Das Feuer lodert in den Farben der Liebe. Nach einer turbulenten Beziehung, die sich über Jahre zog und in die Brüche ging, wollte Herring sein ausgeblutetes Herz eigentlich an den Nagel hängen, doch dann ereilte den 36-jährigen Jüngling in der Gestalt der schwedischen Schauspielerin Julia Ragnarsson (u.a. „Midsommar“) erneut die Big Love.

„Es geht nicht nur darum, neue Liebe zu finden, sondern wie sich dadurch der Blick auf vergangene Beziehungen ändert. Egal, ob du das Arschloch warst oder dein Partner oder beide, man muss an den Punkt kommen, sich selbst wieder wertzuschätzen. Ich verdiene es, geliebt zu werden!“

Neues Future Islands Album "As Long As You Are"

Justin Flythe

So begleiten wir im Video zu „For Sure“ zwei selbstfahrende Autos bei einem Rennen durch eine fantastische Landschaft, am Ende finden die Racer zusammen. Wir folgen den Liebesschwüren Herrings in „Moonlight“ und flüchten vor der toxischen Vergangenheit in „Hit The Coast“. Dass in Songs wie „Thrill“ (Klimawandel) und „Born In A War“ (Waffenbesitz und -gewalt) gesellschaftspolitische Themen angestimmt werden, ist ein Novum für Future Islands, zeigt aber, dass (neue) Liebe nicht notwendigerweise blind machen muss. Sonst lassen wir uns auf „As Long As You Are“ gerne besäuseln von Herrings neu gefundenem Glück zwischen Schweden und Baltimore.

Was Samuel T. Herring über die aktuelle politische Lage in seinem Heimatland USA zu sagen hat - und er hat diesbezüglich einiges zu sagen - könnt ihr im FM4 Interview Podcast hören.

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