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Selfie von Hannes Hohenwarter und Martin Sieberer in "Pumprisse"

Hannes Hohenwarter

Tiroler Risstrilogie: Eine Leidensgeschichte in 3 legendären Kletterrouten

Die Tiroler Alpinisten Martin Sieberer und Hannes Hohenwarter haben sich drei legendäre Tiroler Risskletter-Klassiker an drei aufeinanderfolgenden Tagen vorgenommen und wollten die Wege dazwischen mit dem Fahrrad zurücklegen. Für dieses ambitionierte Projekt haben sie einiges an Lehrgeld zahlen müssen.

Von Simon Welebil

Für reizende alpinistische Ziele muss man nicht unbedingt in die Ferne schweifen, sie können auch vor der Haustür liegen, zumindest, wenn man in Tirol wohnt. Martin Sieberer, der im Vorjahr mit einer Erstbegehung im Karakorum von sich reden gemacht hat, hat sich diesmal mit seinem Freund Hannes Hohenwarter zusammengetan, um sich an drei legendären Klettertouren in Tirol zu versuchen.

Drei legendäre Riss-Klassiker in Tirol

„Locker vom Hocker“ an der Schüsselkarspitze im Wettersteingebirge, „Tschechenplatte“ im Karwendel und die „Pumprisse“ im Wilden Kaiser sind alle wichtige Kapitel in der Klettergeschichte. Es waren die ersten alpinen Kletterrouten im 7. und 8. Schwierigkeitsgrad, die Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre erstmals ohne künstliche Hilfsmittel geklettert werden konnten. Ihre Erschließer bzw. Erstbegeher sind große Namen im Klettersport, von Helmut Kiene und Reinhard Karl über Wolfgang Güllich und Kurt Albert bis zu Heinz Zak.

Martin Sieberer und Hannes Hohenwarter klettern in "Locker vom Hocker"

Christian Pflanzelt

„Locker vom Hocker“

Allen gemein ist, dass sie sich durch markante Risse auszeichnen, in die man je nach Breite Finger, Faust, Knie oder andere Körperteile hineinbekommen muss, um Halt zu haben, was in den Tiroler Kalkgebirgen sehr selten ist, und dass man sie selber mit mobilen Sicherungsgeräten, mit Bandschlingen, Klemmkeilen oder Friends absichern muss.

Herausforderung liegt in der Kombination

Die Kletter-Meilensteine der 70er- und 80er-Jahre sind heutzutage für sich alleine keine große Herausforderung mehr. Viele ambitionierte Kletterinnen und Kletterer sind in der Lage, diese Routen zu meistern. Zur wirklichen Herausforderung werden sie aber, indem man sie kombiniert. Eine Idee, mit der sich speziell Hannes Hohenwarter schon länger beschäftigt hat: „Irgendwann hat sich das so zugespitzt, dass wir gesagt haben, wir wollen sie in drei Tagen machen, direkt hintereinander und on-sight (ohne sie davor je geklettert zu haben, Anm.). Das hat sich irgendwie aufgeschaukelt und wir haben ziemlich aufs Maul gekriegt, aber es ist sich ausgegangen“, erzählt Hannes Hohenwarter.

Hannes Hohenwarter und Martin Sieberer beim Klettern und Rad Schieben

Stefan Filzmoser

Martin Sieberer schiebt sein Rad über das Lafatscher Joch.

Nur die erste Klettertour, „Locker vom Hocker“ gelingt ihnen ohne Probleme. Danach wird das Projekt zur Leidengeschichte. Speziell das Radfahren laugt sie aus, liegen doch zwischen den Routen in drei verschiedenen Gebirgen insgesamt 120 Kilometer und über 2.000 Höhenmeter, die sie mit den schwer beladenen Rädern zurücklegen wollen. Mit der ganzen Kletterausrüstung kommen die Räder auf 25 Kilo Gewicht und sind ziemlich hecklastig, da sie fast alles hinten am Rad verstaut haben: „Zum Fahren geht’s, aber zum Schieben ist es eine richtige Sau“.

Radfahren hinterlässt seine Spuren

Die Rad-Strapazen wirken sich direkt auf die Kletterleistung aus und sie bekommen gleich in ihrer zweiten Tour, der „Tschechenplatte“ eine „aufs Maul“, wie sie es ausdrücken. Was hart klingt, fühlt sich auch so an, denn die noch nicht ganz aufgetrocknete „Tschechenplatte“ beginnt für Martin Sieberer gleich mit einem Sturz von über 10 Meter ins Seil. Eine On-Sight-Begehung, der schwierigste Begehungsstil im Klettern ist damit schon passé, ab nun gilt Rotpunkt als neues Ziel, mit dem sie die „Tschechenplatte“ schließlich bewältigen können, allerdings weit hinter ihrer Zeitplanung. „Wir sind aus der Route ausgestiegen, beide mit Krämpfen, und es war einfach zwei bis drei Stunden zu spät“, resümiert Martin Sieberer.

Hannes Hohenwarter und Martin Sieberer beim Klettern und Rad Schieben

Stefan Filzmoser

Faustrisse für Hannes Hohenwarter in der „Tschechenplatte“

Um noch am gleichen Tag zum Ausgangspunkt ihrer dritten Tour zu kommen, ins etwa 80 Kilometer entfernte Kaisergebirge, beschließen sie mit dem Zug bis Kufstein abzukürzen. Die über 1.000 Höhenmeter durchs Kaisertal zum Stripsenjochhaus bleiben dennoch und hinterlassen ihre Spuren: „Mir hat das Kreuz am Abend so wehgetan, dass ich fast nicht mehr vom Klo heruntergekommen wäre.“

„Pumprisse“ verlangen ihnen das Letzte ab

Und dennoch steigen sie am dritten Tag in ihre letzte Route ein, die „Pumprisse“, die bereits einen sprechenden Namen tragen. Der „Pump“, also die aufgeblähten Unterarme, ist hier garantiert. Oft muss man sogar seinen ganzen Körper in den Riss hineinquetschen, um Halt zu finden. „Richtig aufs Maul haben wir dann in den ‚Pumprissen‘ bekommen, weil wir da in einer Art Zombie-Modus geklettert sind“, erzählt Martin Sieberer, „wir waren so fertig von den langen Tagen, von so wenig Schlaf, so wenig Essen und Trinken.“

Klettern in den "Pumprissen"

Stefan Filzmoser

Sicherungen legen in den „Pumprissen“

Beide stürzen sie in den „Pumprissen“, die vom angegebenen Schwierigkeitsgrad eigentlich am leichtesten sein sollten, in ihre selbst gelegten Sicherungen, die nicht immer so halten, wie erwünscht, was die Sturzhöhen um einige Meter verlängert. Dennoch quälen sich Martin und Hannes bis zum Ausstieg und können ihr Projekt abschließen, ausgelaugt, glücklich und um eine Erkenntnis reicher:

„Das Radfahren haben wir definitiv unterschätzt“, sagt Hannes Hohenwarter. „Ich mit meinen 60 Kilo auf einem 25 Kilo Rad, das man teilweise tragen muss, das hat mich völlig zerstört.“

Mit ihrer Aktion haben sie sich dennoch Respekt in der Kletter-Community abgeholt, und weitere Bike&Climb-Touren sind nicht ausgeschlossen. Die Tiroler Kletter-Legende und Erstbesteiger des Nanga Parbat, Hermann Buhl, ist in den 1950er Jahren etwa mit dem Rad von Tirol 160 Kilometer in die Schweiz gefahren, hat dort die Nordwand des Piz Badile Free Solo durchstiegen und ist am selben Tag noch retour gefahren. Dabei ist er allerdings am Rad eingeschlafen und in einem Bach gelandet. „Das könnten wir auch einmal probieren“, sagt Hannes Hohenwarter grinsend, „allerdings ohne Baden-Gehen!“

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