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Cover "Mosaik" mit Collage aus mehrere Gesichtern

Camo&Krooked

Alles, was sie nicht SINTH

Camo&Krooked sind nach der Corona-Zwangspause zurück mit der neuen Single „No Tomorrow featuring Sophie Lindinger“ und dem neue Projekt SINTH, dass sie mit ihrem Freund und Kollegen Mefjus ins Leben gerufen haben.

Von Daniela Derntl

Camo&Krooked sind bekannt dafür, ohne Scheuklappen festgefahrene Drum’n’Bass-Strukturen für verschiedene Genres und Einflüsse zu öffnen. Zuletzt haben sie das bei ihrer Red Bull Symphonic Kooperation mit dem Max Steiner Orchester und Christian Kolonovitz unter Beweis gestellt. Doch nach diesem umjubelten Konzert im Wiener Konzerthaus hat die Corona-Pandemie ihre Pläne verworfen. In der Zwangspause der letzten Monate haben sie ihre Karriere überdacht und sich nach neuen Möglichkeiten und Partnern umgesehen. Mit ihrem alten Freund und Kollegen, dem Linzer Drum’n’Bass-Produzenten Martin Schober aka Mefjus haben Reinhard „Camo“ Rietsch und Markus „Krooked“ Wagner das neue Projekt SINTH ins Leben gerufen und die neue Single „No Tomorrow featuring Sophie Lindinger“ produziert. Wir haben die drei Produzenten zum Interview getroffen.

Organische Zusammenarbeit mit Mefjus

FM4: Camo&Krooked haben schon öfters mit Mefjus zusammengearbeitet. Wie ist das bei euch losgegangen? Ich nehme an, ihr kennt euch schon länger, denn so groß ist die österreichische Drum’n’Bass-Szene ja nicht.

Camo: Wir kennen uns schon lange. Den ersten gemeinsamen Tune „Mandala“ haben wir 2017 veröffentlicht. Das war damals auf unserem Mosaik-Album. Die Zusammenarbeit hat so super funktioniert und wir haben immer Spaß gehabt, und damals haben wir auch schon gewusst, dass das sicher nicht der letzte gemeinsame Tune sein wird. Letztes Jahr ist dann unsere Kooperation „Kallisto“ erschienen und danach noch eine mit dem Namen „Sidewinder“. Die aktuelle Zusammenarbeit heißt „No Tomorrow featuring Sophie Lindinger“, und ich finde, wir ergänzen uns in diesem Dreier-Gespann einfach extrem gut. Wir haben immer eine gute Zeit und das Ergebnis spricht für sich.

Krooked: Wir kennen uns seit 2010 oder 2011. Damals waren unsere Musik-Geschmäcker noch total verschieden. Auch die Styles, die wir im Drum’n’Bass produziert haben. Mefjus hat eher den dunkleren, an Neuro-Funk angelehnten Sound produziert, und wir haben damals den typischen Dancefloor Drum’n’Bass gemacht. Über die Zeit haben sich unsere Geschmäcker und Inspirationen angeglichen. Als wir am „Mosaik“-Album gearbeitet haben, haben wir Martin erstmals ein paar Clips geschickt. Das Schöne daran, ein Projekt aus der Hand zu geben und jemanden zu überlassen, der noch nie daran gearbeitet hat, ist, dass derjenige überhaupt keine Vorurteile hat und das Projekt ganz anders angeht. Martin kann extrem gut mit unseren Songwriting-Ideen arbeiten, und sie in einem kompletten Tune umsetzen. Er hat sich auch sehr gut in unseren internen Workflow eingegliedert, und somit fühlt sich dieses Dreier-Gespann extrem organisch an.

Mefjus: Oft ist es als Künstler sehr schwierig, die eigenen Ideen fertig zu produzieren, weil man emotional schon so drinhängt. Für einen Außenstehenden – oder Außenstehende – ist es leichter, das Ding pragmatisch zu sehen, und mit einem neuen Paar Augen und Ohren daran zu gehen. Wir haben uns in den letzten zehn Jahren musikalisch stark angenähert. Ich bin sehr auf der technischen Seite zuhause, und verhänge mich oft in einem Drumloop oder im Sounddesign. Deshalb ist es für mich super, von Markus und Reini eine coole musikalische Idee zu bekommen, wo ich die Spielwiese schon vor mir habe, und ich meine Sounds einfach drauf-staggen kann – und das ist sehr effizient.

Sophie Lindinger - die vielleicht beste Pop-Sängerin des Landes?!!!

FM4: Die Idee für eure neue Single „No Tomorrow” ist länger in der Schublade gelegen. Wie habt ihr sie letztendlich umgesetzt?

Krooked: Genau. Anfang 2019 haben Reini und ich nur Songwriting-Ideen niedergeschrieben. Keine Drums, nur Instrumentals, mit Streichern, Piano und vielleicht einem Synthie-Sound, wo es nur um die Chord-Progression ging. Diese Chord-Progressions haben wir dann an verschiedene Sänger und Sängerinnen geschickt – unter anderem eben auch an Sophie Lindinger. Sie hat uns dann in kürzester Zeit ihre Version geschickt, und dabei hat sie es schon ziemlich genailed. Da gab es überhaupt nichts daran auszusetzen, und es war echt eine gemütliche Zusammenarbeit. Auch im Studio war sie echt top, da hat einfach alles gepasst. Wir könnten mit dieser Kollaboration nicht glücklicher sein. Wir sind ja auch seit einiger Zeit Fans von Leyya – seitdem sie den FM4 Award gewonnen haben. Für uns ist Leyya einer der besten Pop-Acts des Landes – und Sophie vielleicht die beste Pop-Sängerin in Österreich.

Camo: Wir hatten das Intro und das coole Vocal, aber irgendwie haben wir es nicht geschafft, den Drop so hinzubekommen, wie wir wollen, denn wir versuchen ja, mit jedem Track uns neu zu erfinden – oder zumindest irgendwas zu machen, das uns selber flasht. Und das haben wir bei dieser Nummer nicht geschafft. Deshalb haben wir den Martin – Mefjus – an Bord geholt, weil wir schauen wollten, wohin er den Track führen kann. Und er hat ihn in eine ganz neue Richtung geführt und ihm viel mehr Tiefe gegeben.

Mefjus: Es war eine sehr coole Idee und es ist dann sehr schnell gegangen. Ich hab ein neues Drum-Kit gemacht, die Sounds etwas gechoppt und Dichte vor dem Drop aufgebaut. Ich hab es gefeiert, ihr habt es gefeiert. Dann haben wir gewusst, dass wir das Ding relativ zügig ausrollen können und es hat einfach total viel Spaß gemacht. Das war ein irrsinnig befriedigendes Projekt.

James-Bond-lastige Streicher-Opulenz bei „No Tomorrow“

FM4: Durch den Einsatz der Streicher klingt „No Tomorrow“ sehr kraftvoll und dramatisch. Habt ihr durch die Zusammenarbeit mit dem Max Steiner Orchester vermehrt Gefallen an opulenteren Sounds gefunden?

Krooked: Wir sind sowieso Fans von Streichern und die sind auch schon seit längerem in Camo&Krooked Tracks zu finden. Es hat sich allerdings die Herangehensweise, wie man Streicher schreibt, total geändert seit dem Symphonic-Projekt. Bei „No Tomorrow“ besteht die Streicher-Sektion aus zwölf verschiedenen Plug-Ins, wenn nicht mehr. Und es ist extrem kompliziert, das am PC so zu machen, dass es glaubwürdig klingt. Aber in diesem Segment haben wir jetzt extrem viel gelernt, und wir werden das in Zukunft mit Sicherheit mehr verwenden, weil wir selbst gern viel Musik mit Streichern und Piano hören – und wir es in unserer eigenen Musik eigentlich viel zu wenig verwenden. Und das war auch ein ausschlaggebender Punkt, diesem Track einen klassischen Touch zu geben. Die Chord-Progression ist für uns extrem James-Bond-lastig, und es passt einfach extrem gut zum Thema des Songs. Die Auswahl der Instrumente hängt immer ab von der Charakteristik des Tracks, der Melodie und der Klangfarbe.

Camo: Wir versuchen immer auch etwas Organisches in unsere Tunes hineinzubringen, denn heutzutage ist elektronische Musik sehr digital, und vermischt sich nicht zu sehr mit echten Instrumenten – gerade im Drum’n’Bass. Wir versuchen, den Tracks mit diesem Crossover mehr Eigenständigkeit und Leben einzuhauchen.

Mefjus: Ich für meinen Teil hab sehr viel dazugelernt, weil Camo&Krooked durch ihr Orchester-Projekt die Augen und Ohren geöffnet bekommen haben – beziehungsweise hinter die Kulissen blicken durften. Und so hab ich aus meiner Perspektive auch dazugelernt. Elektronische Musik lebt sehr stark von Kontrasten, und das ist mit dieser Streicher-Sektion sehr gut gelungen.

Neues Projekt SINTH

FM4: Ihr drei habt auch ein gemeinsames Projekt mit dem Namen SINTH gestartet. Vor kurzem ist die Single „Leben“ des deutschen Rappers Greeen herausgekommen, die ihr als SINTH produziert habt. Wie unterscheidet sich das SINTH-Projekt von Camo&Krooked featuring Mefjus?

Mefjus: Aufgrund der Corona-Krise haben wir reflektiert und versucht, mehr Musik zu schreiben, weil wir mehr Zeit hatten. Und wie wir vorhin schon gesagt haben, stehen wir auf unterschiedliche Stilrichtungen und produzieren auch sehr viel Musik in verschiedenen Genres. Deshalb haben wir beschlossen, ein gemeinsames Projekt zu starten, bei dem wir unsere Stärken zusammenlegen – und mit dem wir uns gleichzeitig von der Drum’n’Bass-Welt abgrenzen. Wenn wir die Greeen-Produktion als Camo&Krooked featuring Mefjus gemacht hätten, würden sich vielleicht unsere Drum’n’Bass-Fans nicht auskennen. Von wegen – warum produzieren die jetzt einen deutschsprachigen Hip-Hop-Track mit einer Reggae-Bassline? Das könnte vielleicht auch zu Missmut führen. Und mit diesem Alias wollten wir eine klare Trennung schaffen. Als SINTH sind wir ein Produktions-Trio, wir machen Ghost-Productions, Mastering und Mixing.

Camo: SINTH ist alles, was Camo&Krooked featuring Mefjus nicht ist. Und so genau haben wir es noch gar nicht definiert. Es ist ein leeres Blatt, und wir schauen, was daraus wird. Wir lassen uns damit alle Freiheiten und es wird sich schon zeigen, wohin es sich entwickeln wird. Entweder mehr in Richtung Sound-Production oder vielleicht Pop-Ghostwriting. Es macht total viel Spaß und ist auch in Hinblick auf die Zukunft entstanden. Wer weiß, ob es dann – wenn wir 35, 40, 50 werden – noch so lustig ist, auf den ganzen Festivals und in ganz Europa herum zu pendeln. Vielleicht sind wir – oder das ganze Genre – einmal nicht mehr so angesagt? Deshalb ist es gut, zu diversifizieren, denn wir wollen für immer im Musik-Business bleiben. Der Track „Leben“ mit Greeen war der offizielle Startschuss für SINTH, und wir sind selber gespannt, was als nächstes passieren wird.

Krooked: SINTH ist alles, was Camo&Krooked featuring Mefjus nicht sein darf. Über all die Jahre hinweg gräbt man sich ja mehr oder weniger sein eigenes musikalisches Grab, mit jeder Nummer, die man herausbringt - insofern, dass es eine gewisse Erwartungshaltung der Fanbase gibt – und man seinen eigenen Sound prägt. Wenn man dann etwas macht, dass in die komplett andere Richtung geht, dann würde man die Leute vor den Kopf stoßen. SINTH ist eine klare Abgrenzung, denn wir schreiben oft coole Melodien und Beats, die auf dem schnellen Drum’n’Bass-Tempo nicht funktionieren.

Corona - Quo Vadis?

FM4: Sprechen wir über Corona. Ihr seid sehr gut in der internationalen und heimischen Drum’n’Bass-Szene vernetzt. Wie geht’s euch, und euren Kollegen und Kolleginnen, die jetzt alle nicht auftreten können?

Camo: Die Stimmung ist sehr getrübt. Es ist eine große Krise für das gesamte Business. Auch für uns natürlich. Unsere Arbeit ist extrem eingeschränkt, unser Einkommen ist zu 90% von den Gigs abhängig. Und das ist jetzt alles weg – in der ganzen Szene. Seien es Festival-Promoter, Artists,… da hängt ja extrem viel dran. In England kracht es ganz gewaltig, und dort ist ja ein Großteil der Drum’n’Bass-Szene zuhause. Dort gibt es gar keine Unterstützung – sondern im Gegenteil! Die Obrigkeit verhöhnt sozusagen die Musik-Schaffenden – und lässt durchsickern, dass es doch am Besten wäre, wenn sich alle Künstler umschulen lassen würden, in IT-Berufe oder etwas Nachhaltigerem. Das ist schon sehr frech, denn in England wurde mit der Musikkultur ja auch viel Geld gemacht. Niemand weiß, wie es weitergeht. Man kann nichts planen. Wir drücken allen die Daumen.

Mefjus: Mir tun alle Kollegen, Kolleginnen, Veranstalter, Venue-Besitzer,… fürchterlich leid, weil man zum Teil durchs Raster fällt. Weil man eben kein Angestellter ist, sondern eine EPU auf Werksvertragsbasis. Niemand hat eine Lösung, es ist echt brutal. Gerade in UK. Dort sind die Clubs der Stadt ja zum Teil ein Dorn im Auge, und ich kann mir schon vorstellen, dass eine Venue wie das Fabric in London jetzt ausgehungert wird, denn den Club wollen sie schon seit zehn Jahren nicht in Farringdon haben. Jetzt haben sie den Grund, die Bude abzudrehen. In Österreich ist die Situation besser. Man muss noch nicht hungern. Aber ich glaube auch nicht, dass es im Sommer 2021 schon überstanden ist. Ich glaube, es wird 2022, bis wir wieder dort sind, wo wir im März 2020 waren.

Krooked: Britische Kollegen von uns, die schon seit 20 Jahren erfolgreich im Drum’n’Bass-Business als Household-Names unterwegs sind, sind zu einem 9-to-5 Job zurückgekehrt, weil es sich vorne und hinten nicht mehr ausgeht. Im UK gibt’s verglichen mit Österreich gar keine Unterstützung. Die britische Regierung hat ja auch verlautbart, dass alles, was nicht ohne Förderung über die Krise hinwegkommen kann, sowieso nicht wirtschaftlich nachhaltig ist. Das ist eine bodenlose Frechheit. Aber auch, wenn Corona vorbei ist, wird es schwer. Es wird die Liquidität von Club-Betreibern und Veranstaltern extrem niedrig oder vielleicht ganz weg sein. Das kann zu höheren Eintrittspreisen führen, die das Publikum vielleicht nicht zahlen kann, weil sie selbst nicht soviel Geld haben. Künstler können in Zukunft nicht mehr so hoch bezahlt werden, genauso wie alle, die in diesem Event-Spektrum arbeiten. Ich glaube, dass die Szene für Jahre hinweg leiden wird – und man auch noch gar nicht sagen kann, wer nach Corona überhaupt übrigbleiben wird. Fingers crossed – dass alles bald wieder gut wird!

FM4: Danke für das Gespräch!

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