Fantasy-Epos zum Vorkosten
Von Rainer Sigl
Dungeons & Dragons - das bedeutet zwanzigseitige Würfel, verschworene Freundesrunden und gemeinsame Rollenspielpartien bis tief in die Nacht. Seit fast 50 Jahren gibt es das Urgestein des Pen&Paper-Rollenspiels, bei dem sich Menschen jeden Alters zu gemeinsamen Abenteuern versammeln. Computerspielversionen zu D&D existieren seit den späten Achtzigerjahren, eine der berühmtesten davon heißt „Baldur’s Gate“.
Die zwei unter diesem Namen 1998 und 2000 veröffentlichten Videospiele gelten nach wie vor als perfekte Rollenspielklassiker, die wie kaum andere Spiele für eine Goldene Ära isometrischer Rollenspiele stehen. Für die Fans dieser Kultspiele kommt Weihnachten dieses Jahr etwas früher: Zwanzig Jahre nach „Baldur’s Gate 2“ ist nämlich nun ein dritter Teil erschienen, und der entführt wieder in die „Forgotten Realms“, eine riesige Fantasywelt voller Drachen, Krieger und Magie.
Body-Horror zum Einstieg
In „Baldur’s Gate 3“, das nicht von den Schöpfern der Originale, sondern von den Rollenspielspezialisten Larian entwickelt wird, steuere ich einen frei gestaltbaren Helden und bis zu drei Begleiter durch ein Abenteuer, das von der ersten Sekunde an höchst dramatisch ist: Ein ekelhaftes Monster hat einen Parasiten in meinen Kopf gepflanzt; wenn ich keine Heilung finde, ist es bald aus mit dem Heldenleben. Schon die bombastische Eingangssequenz macht mit viel Body-Horror und spektakulären Monstern klar, dass sich die Macher der „Divinity“-Reihe hier der ganz großen Bühne bewusst sind, auf der sie dank des kultigen Namens ihres Spieles auftreten dürfen.
Dass die Belgier sich mit der Übernahme dieser berühmten Reihe einen langgehegten Wunsch erfüllen, zeigt sich auch im Spiel selbst, denn das bemüht sich, die Stärken der „Divinity“-Reihe mit der großen D&D-Tradition zu verbinden. Auf der Suche nach Rettung bekämpfe ich hier große und kleine Ungeheuer, erforsche eine riesige offene Spielwelt und interagiere mit Menschen, Elfen und jeder Menge anderen Charakterköpfen.
Larian Studios
Würdiger Neustart
Auch wenn „Baldur’s Gate 3“ zeitgemäß auf Hochglanz poliert ist, steckt in ihm nach wie vor ein komplexes und damit wirklich klassisches Computerrollenspiel. Weil regelmäßig und gut sichtbar sogar ein virtueller Würfel über das Gelingen mancher Aktionen entscheidet, erinnert das Spiel mehr als die Vorgänger ans analoge Dungeons & Dragons - und treibt, so viel sei gesagt, durch diese absolut D&D-traditionelle Betonung des Würfelglücks so manchen Perfektionisten zur unheilvollen Quicksave-Quickload-Obsession.
„Baldur’s Gate 3“, entwickelt und vertrieben von Larian Studios, ist für Windows und Mac im Early Access erschienen.
Wie das epische Fantasy-Abenteuer endet, ist momentan allerdings noch ungewiss, denn „Baldur’s Gate 3“ ist noch lange nicht fertig. Wer das Early-Access-Spiel schon jetzt kauft - und das zum Vollpreis -, darf nur bis zum Ende des ersten Aktes spielen und muss noch mit einigen Baustellen und Bugs rechnen.
Die mindestens 20 Stunden, die man mit diesem eigentlich sehr umfangreichen Early-Access-Happen beschäftigt ist, unterhalten allerdings besser als so manches fertige Spiel. „Baldur’s Gate 3“ wird schon jetzt seinem großen Namen gerecht - wer seine Geduld bis zur endgültigen Veröffentlichung 2021 nicht mehr zügeln kann, findet hier schon jetzt einen mehr als anständigen Vorgeschmack.
Publiziert am 22.10.2020