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Die Ärzte 2020

Jörg Steinmetz

interview

Farin Urlaub im Interview über das neue Ärzte-Album

Die selbsternannte beste Band der Welt ist mit ihrem neuem Album „HELL“ von einer langen Pause zurückgekehrt. Farin Urlaub spricht im Interview mit Alica Ouschan über den mehrdeutigen Albumtitel, seine Beziehung zu Social Media und ob das überhaupt noch Punk ist.

FM4: Euer neues Album heißt „HELL“ und lässt ein bisschen Interpretationsspielraum offen, das Wort hat nämlich unterschiedliche Bedeutungen: das Gegenteil von „dunkel“ auf Deutsch, „Hölle“ auf Englisch und auf Albanisch heißt hell „Spieß“. Was hat es mit dem Albumtitel auf sich, sehen die Ärzte 2020 als einen hellen Lichtblick, ist es die absolute Hölle oder wolltet ihr einfach mal den Spieß umdrehen?

Farin Urlaub: Ja, natürlich war das Albanische gemeint! Verdammt, du bist die Erste, die’s rausgekriegt hat: Die Ärzte am Spieß! Es ist bewusst ambivalent, wir haben extra Großbuchstaben gewählt, auch bei einigen Titeln soll man nicht sofort wissen, worum es geht. Diese bewusste Ambivalenz setzt sich auch beim Artwork fort: Sind wir lebensbedrohliche Zombies, die aus der Hölle kommen oder haben wir einfach so viele Gute-Laune-Drogen genommen, dass man unsere Pupillen nicht mehr sieht? Das ist alles deiner Interpretation überlassen!

FM4: Ich hab generell das Gefühl, dass die meisten Songs auf dem Album viel Interpretationsspielraum offen lassen... Sie sind nicht mehr so in-your-face wie zum Beispiel „Rebell“ oder „Es ist nicht deine Schuld“, nicht so plakativ, sondern irgendwie codierter. Würdest du dem zustimmen, oder gibt es eh ein paar In-your-face-Songs auf „HELL“?

Album Cover "HELL"

Hot Action Records

HELL ist heute bei Hot Action Records erschienen.

Farin Urlaub: Was ein paar Songs betrifft, bin ich komplett deiner Meinung, das ist auch bewusst so. Unsere politische Botschaft ist ja nicht „Mach das so!“ und „Sieh das bitte so wie wir!“, sondern „Informier dich selber und denk drüber nach!“, deswegen wollen wir nicht zu viele, ich nenn sie immer Überstülp-Lieder machen. Aber es gibt natürlich trotzdem Songs auf dem Album, die sehr direkt sind. Aber das Schöne ist ja, dass Musik nichts Absolutes ist und jeder Hörer, jede Hörerin eine eigene Wahrnehmung mitbringt.

FM4: Welche Themenkomplexe habt ihr auf dem Album bearbeitet? Kannst du vielleicht kurz zusammenfassen, worum es auf „HELL“ geht?

Farin Urlaub: Eigentlich geht es um das Gleiche, worum es zum Beispiel in der Bibel geht oder in „Krieg und Frieden“: um alles! Es geht um Zwischenmenschliches, es geht um Gedanken, die Menschen haben, wenn sie fröhlich sind, wenn sie traurig sind, wenn sie verliebt sind, wenn sie enttäuscht sind. Es geht um Wut, es geht um Hass, es geht um Langeweile. Es geht selbstverständlich auch um Bier, worum sollte es sonst gehen? Und es geht auch um Gitarristen, dafür habe ich ganz lange gekämpft, aber es gibt jetzt endlich, obwohl sie so dermaßen langweilig sind, einen Gitarristen-Song auf dem Album.

Podcast

FM4

Das Gespräch gibt es auch im FM4 Interview Podcast.

FM4: Es ist euer großes Comeback, das erste Album seit 2012, aber genau genommen ist es das zweite Comeback eurer Karriere. Das letzte Mal 1993 nach der Trennung und jetzt 2020 nach einer längeren Pause. Wann habt ihr euch entschieden, wieder loszulegen und wie war der Entstehungsprozess des Albums?

Farin Urlaub: Also der Reihe nach: Als wir auseinandergegangen sind 2013 oder 2014, nach den letzten Konzerten - ich weiß gar nicht mehr genau, wann das war - war ein bisschen die Luft raus. Nicht so, dass wir uns gegenseitig Prügel angedroht hätten, aber schon so, dass man nicht mehr sehr achtsam miteinander umgegangen ist. Jeder war so in seiner eigenen kleinen Mimimi-Blase gefangen: „Die anderen beiden sind doof, weil...“ und das hat besonders bei mir eine Weile gedauert, bis Bela mich da rausgekitzelt hat, mit lustigen Nachrichten, die er mir geschrieben hat: „Hey, wir müssen reden!“ Irgendwann haben wir dann geredet und aus dem Reden wurde ein sehr spontaner Auftritt, wo wir „Schrei nach Liebe“ gespielt haben. Weil das Lied mittlerweile so viel größer als die Band selbst ist, ging es da nicht mehr drum, ob irgendjemand Befindlichkeiten hat. Wenn Bela sagt, wir müssen das Lied zusammen spielen, dann spielen wir das zusammen!

Nachdem wir mal wieder zusammen auf der Bühne standen, ging es dann Schritt für Schritt: „Es gibt Festivals, die euch gerne dabei hätten, hättet ihr Lust?“ Da haben wir uns noch zwei Jahre geziert, weil plötzlich aus der Versenkung aufzutauchen, um große Festivals zu headlinen, das war nicht so unser Ding. Deswegen haben wir gesagt: Okay, wir spielen Festivals, aber vorher gehen wir auf eine Clubtour und haben das gemacht. Auf dieser Clubtour hatten wir so viel Spaß, dass wir gedacht haben: Mit dieser Einstellung könnten wir uns vorstellen, dass wir nochmal ins Studio gehen und ein neues Album machen, das uns wieder mal ein bisschen weiter bringt. Dass ich nochmal mit den Ärzten auf die Bühne gehe, das war nicht so klar. Aber mittlerweile ist wieder alles ganz toll.

FM4: Stichwort „auf die Bühne gehen“ - das spielt sich in nächster Zeit erstmal nicht, deswegen passt es vielleicht gut, wenn wir über eure große Liebe zu Social Media reden. Vor allem dich hat es ja ganz arg erwischt. Die Ärzte haben lang Abstand von sozialen Medien gehalten, erst seit zwei Jahren gibt es eure Musik auf Streaming-Diensten, ihr habt aber während dem Lockdown einen Quarantäne-Song hochgeladen und dann auch noch mit der letzten Single „True Romance“ eine Social Media Challenge gestartet. Was kommt als nächstes? Die Ärzte auf Instagram? Ein Streaming-Konzert?

Farin Urlaub: Nein. Über das Streaming-Konzert haben wir tatsächlich mal nachgedacht, es gibt aber so viele traurige Beispiele, wo wirklich tolle Bands sich mit bester Absicht und mit guten Ideen hingestellt haben. Das ist - sorry - aber einfach echt eine blutleere Geschichte. Ich wüsste nicht, wie wir das machen sollten, dass es dann trotzdem speziell und interessant ist. Ansonsten bleibe ich bei meiner kompletten Social-Media-Abstinenz, mich interessiert das einfach nicht. Trotzdem will ja die Musik mit Text versehen werden und dann hatte ich diesen schrecklichen ersten Reim auf „Alexa“ und dachte mir: Na, vielleicht mach ich da jetzt mal einen Song draus. Bela ist, glaub ich, auf Instagram, ich kenn mich damit nicht so aus, aber ich hab dahingehend keinerlei Absichten und ich glaube auch nicht, dass die Ärzte das unbedingt brauchen.

FM4: Hat sich eure Einstellung zu Social Media durch die aktuelle Situation verändert?

Farin Urlaub: Ne. Ich hab doch ein echtes Leben, was soll ich auf Social Media? Keine Ahnung, ich kann damit einfach wirklich nichts anfangen. Vielleicht, wenn ich jetzt nochmal 16 wäre, dann würd ich sagen: Social Media ist super! Ich kann meine Freunde in Südamerika anschreiben! Oder: Ich schreib eine Nachricht und alle meine Freunde können sie lesen! Aber ich hab gar nicht so viele Freunde. Die kann ich auch noch anrufen, das passt.

FM4: Wie ist es für euch, dass ausgerechnet die ironische Liebeserklärung an Social Media, „True Romance“, als fünfte Ärzte-Single überhaupt, direkt auf die Nummer 1 in die deutschen Single-Charts eingestiegen ist?

Farin Urlaub: Also bei jeder Nummer 1 ist die erste Reaktion erstmal Demut. Für mich sind Singles aber irgendwie gar nicht so wichtig und ausschlaggebend. Wir müssen das halt machen, um ein bisschen Aufmerksamkeit aufs Album zu lenken, aber ich kann jedem nur raten, das ganze Album mal von vorne bis hinten durchzuhören, weil da sind so viele fantastische Songs drauf, das kann man gar nicht in eine einzige Single packen. Das geht nicht, das ist viel zu vielfältig, und vielleicht bin ich als Songwriter auch einfach zu schlecht, um zu sagen: Okay, wir machen jetzt eine Single, wo ALLES drin ist! Ich krieg das nicht hin.

FM4: Die Ärzte sind auf jeden Fall absolut unbestritten die „beste Band der Welt“. Eine Frage, über die aber sehr wohl immer wieder gestritten wird, ist, ob ihr eine Punk-Band seid. Gleich auf der ersten Single „Morgens Pauken“ habt ihr dazu ein klares Statement abgegeben, nämlich heißt es da „Alles ist Punk“. Was bedeutet es denn, „Punk“ zu sein?

Farin Urlaub 2020

Jörg Steinmetz

Farin Urlaub, Songwriter, Sänger & Gitarrist bei den Ärzten, ist sehr glücklich darüber, dass ein Song über Gitarristen es endlich auf ein Ärzte-Album geschafft hat.

Farin Urlaub: Als ich mit 16 nach London gefahren bin und mir die Haare geschnitten und gefärbt habe, da war der Begriff „Punk“ völlig anders besetzt als heute. Und mit „heute“ meine ich jetzt, in diesem Jahr, was auch anders ist als vor 10 Jahren, was anders ist als vor 20 Jahren und so weiter. Wir können uns jetzt, schon alleine aus Gründen des Alters nicht ernsthaft hinstellen und sagen: Grüß Gott, wir sind die Ärzte und wir sind die totalen Punks, wir zeigen euch jetzt, wo’s langgeht! Das wäre super absurd und albern und lächerlich. Punk ist die Musik, die uns sozialisiert hat, die uns gezeigt hat, dass du nicht der Beste an deinem Instrument sein musst, Hauptsache, du hast was zu sagen und du hast eine Idee, dann mach einfach!

Dieser Do-it-yourself-Spirit trägt uns auch immer noch sehr, sehr weit, aber mittlerweile gibt es so Publikationen wie Golf-Punk oder Business-Punk, und wenn sich da keiner beschwert und die Redaktionen anzündet, dann haben wir auch aufgegeben. Dann haben wir den Punk eben an den Mainstream verloren und jeder, der sich irgendwie für was Besonderes hält oder bisschen rebellisch sein will - was ja schon mal gar nicht geht, entweder du bist ein Rebell oder du bist es nicht - der schmückt sich mit diesem Attribut „Punk“. Deswegen haben wir Punk einfach verloren und denken uns jetzt einfach was anderes aus.

FM4: Es ist euer zweites Comeback. Was fühlt sich denn im Vergleich zum ersten Mal anders an? Was ist neu?

Farin Urlaub: Neu will ich nicht sagen, aber seit langer Zeit war die gute Laune innerhalb der Band nicht mehr so intensiv. Wir haben total viel Spaß, Bela und ich fahren gerade von Radiostation zu Radiostation und lachen unheimlich viel. Die Interviews machen wir gerade leider getrennt und das ist bisschen traurig, weil die werden immer lustiger, wenn wir zu zweit unterwegs sind. Diese Freude, dieses Wieder-verliebt-Sein in die Idee der Ärzte, das ist schon was sehr, sehr Schönes. Das ist sehr speziell und dafür bin ich sehr dankbar.

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