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Portraitfoto des österreichischen Autors Leander Fischer anlässlich seines Debüts "Die Forelle"

Andreas Gstettner-Brugger

BUCH

Leander Fischer „Die Forelle“: Manipulation, Kunst und ihr Preis

Das Fliegenfischen als Methaper für Kunst und Manipulation: Der junge Österreicher Leander Fischer hat mit „Die Forelle“ einen Roman geschrieben, der mit knapp 800 Seiten auf vielen Ebenen eine Themenvielfalt verbindet und gleichzeitig eine Stilfibel des literarischen Schreibens darstellt.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Eigentlich hätte ich Leander Fischer fragen sollen, ob er Puzzle liebt. Denn bei seinem knapp 800 Seiten starken Debüt „Die Forelle“ scheint alles ineinander zu greifen und sich zu einem schillernden, opulten Gesamtkunstwerk zusammenzufügen. Der junge Oberösterreicher, der mittlerweile in Hannover lebt, verflechtet in dem Roman nicht nur viele Themen miteinander, auch auf Stil- und Metaebene lässt sich das Buch auf verschiedene Art lesen. Und doch gibt es einen Dreh- und Angelpunkt: Das Fliegenfischen.

Update: Leander Fischers „Die Forelle“ ist am 8.11. beim Österreichischen Buchpreis mit dem Debütpreis ausgezeichnet worden.

Aus der Mitte entspringt die Fliege

Protagonist Siegi Heermann ist Mozarteumsabgänger und Violinist. Mit seiner Familie verschlägt es ihn in ein kleines Provinzdorf in Oberösterreich, wo er sich als Musiklehrer durchschlägt. Als er den Südtiroler Alkoholiker und Meister des Fliegenfischens Ernstl kennenlernt, wird er in der Kunst des Bindens von Fliegen unterwiesen. Was anfänglich Neugier auslöst, wird für Siegi zur Obsession. Die täglichen Treffen, bei denen Ernstl wie im Delirium über das Fliegenfischen als alternatives Lebenskonzept schwadroniert, sowie die Strenge und Radikalität seiner Ansichten werden auch für den Musiklehrer immer mehr zum Lebensinhalt.

Buchcover "Die Forelle" Leander Fischer

Wallstein Verlag

Das Debüt „Die Forelle“ von Leander Fischer ist im Wallstein Verlag erschienen.

Die beginnende Sucht, den perfekten Köder zu binden, wirkt sich bald auf alle Bereiche Siegis Lebens aus. Er vernachlässigt seine Ehe und Familie und die dilettantischen Schüler im Unterricht treiben ihn durch seinen extremer werdenden Perfektionismus in den Wahnsinn. Die befreundeten Fischerkollegen werden bald zu den Bezugspersonen, mit denen er versucht, ein bevorstehendes Staudammbauprojekt mit Sprengstoff zu sabotieren.

Entgegen so manch anderer literarischer Abhandlung über das Fliegenfischen, wie Norman Maclean’s „Aus der Mitte entpringt ein Fluss“ (bekannt geworden durch Redfords Verfilmung mit Brad Pitt), legt Leander Fischer den Fokus nicht auf die meditative Ausführung oder die Zen-artige Lebensphilosophie, die damit oft verbunden wird, sondern auf das Binden der Fliege.

Leander Fischer: „Das war für mich immer interessant, da ja die Fische den Köder mit echten Insekten verwechseln. Das ist ja die Kunstfertigkeit. So geht es zu einem gewissen Grad um Mimesis. Es ist auch so ein bisschen wie Frankensteins Monster. Der Köder wird aus verschiedenen Teilen von verschiedenen toten Tieren und auch anorganischem Material, das mit der Fliege gar nichts zu tun, gefertigt. Das soll aber aussehen, als wäre es aus einem Guss und natürlich gewachsen. Und das ist schon eine Metapher darauf, wie man überhaupt Kunstwerke erzeugt, die der Wirklichkeit ähneln.“

Wer hängt hier an welchem Haken?

Leander Fischer hat in seiner Jungend durchaus selbst Berühung mit dem Fliegenfischen gehabt. Als für ihn klar war, dass dies das Grundgerüst für seinen Debütroman bilden wird, hat es die anderen Themen wie ein Magnet angezogen. So ergibt sich zum Beispiel durch die Meister-Schüler-Geschichte von Ernstl und Siegi, die sich auch auf der Musiklehrer-Musikschüler-Ebene widerspiegelt, die Beschäftigung mit dem Thema Manipulation. Denn der Fliegenfischer Ernstl zieht den Musiklehrer immer mehr eine Scheinwelt, die ihm wirklicher vorkommt, als die ihn umgebende Realität.

Zum Autor:
Leander Fischer, geboren 1992 in Vöcklabruck, hat in Wien, Berlin und Hildesheim studiert. Mit dem Textauszug „Nymphenverzeichnis Muster Nummer eins Goldkopf“ aus seinem Debüt „Die Forelle“ ist er letztes Jahr bei der Bachmann Preis Lesung mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet worden. 2020 steht er auf der „Shortlist Debüt“ des österreichischen Buchpreises.

Leander Fischer: „Die Hauptfigur Siegi verliert sich im Fliegenfischen genau so, als hinge er selbst an einem Haken. Es gibt einen Satz in dem Buch: Als die Forelle biss, fühlte ich zwischen meinen Zähnen die eigene Zunge. Sozusagen ist auch dieser Ich-Erzähler mehr oder weniger ein Geköderter.“

Womit wir beim Schreibstil des Buches wären. Manche Sätze erstrecken sich über eine Seite und entwickeln durch die vielen neuen Wortkreationen und durch ihre überlegte und oft schnell aufeinanderfolgende Montage einen Sog, der auch den Leser ködert.

„Hirschfaschiertes frisch aus dem Fleischwolf, tiegefrorenes Fichtenkreuzschnabelfrikassee, feuersturmfordernde Schweineschwanzstücke für den Grill, filigrane Froschschenkel in Frischhaltefolie, frittierfettspritzende Forstschwerarbeiterschnitzel, feinfaserige Filets, schwarze Schulterschinkenwälder, verpackt von fachkundigen, fliegenden, richtigen Fingern in Fettpapier...“ (Auszug Leander Fischer „Die Forelle“)

Auch der Ort und die Zeit der Geschichte haben einen magnetischen Einfluss auf die Themenvielfalt. Im ländlichen Oberösterreich der 1980er-Jahre hat Leander Fischer die Naturschützer und sich als Künstler empfindenden Fliegenfischer den bäuerlichen und teils einfältigen Einwohnern gegenübergestellt, die oft rabiat in die Natur eingreifen und die die oben beschriebenen Fleischkreationen den Fischen vorziehen. Durch das Thema Tier- und Naturschutz blitzt auch die Besetzung der Hainburger Au im Roman auf. Leander Fischers Fund eines 2-Euro- Buches über die Wahlstrategie Waldheims findet nicht nur mit der Waldheim-Affäre Einzug in das Buch, sondern verknüpft den damals schon beginnenden Wandel der politischen Strategie, nicht mehr auf Themen zu setzen, sondern auf die Grundemotionen der Wähler, wie etwa auch bei Donald Trumps Präsidentschaft zu sehen. Aber das Buch reicht sogar geschichtlich noch weiter zurück, in die NS-Zeit. Schließlich befinden wir uns mit „Die Forelle“ nicht nur in den Stromschnellen vom Fischwunderland Oberösterreich, sondern auch in zeithistorischen Schromschnellen der Zweiten Republik, die sowohl die gesellschaftlichen wie auch wirtschaftlichen Brocken der Vergangenheit abschleifen und somit neue Wege bahnen.

Die Kunst und ihr Preis

Der erwähnte Sog des Schreibstils und die Sprachspiele können einen schon mal erschlagen und bei manchen detaillierten Schilderungen droht man fast in der Wörterflut zu ertrinken. Dafür schafft es Leander Fischer, nicht nur eine Stilfibel des literarischen Schreibens vorzulegen, sondern auch einen Roman, der auf viele Arten gelesen werden kann. Als Sittenbild Österreichs der 80er-Jahre, das den Ursprung vieler heutiger Probleme deutlich macht, als Parabel über die Manipulation im Meister-Schüler-Kontext, als Reflexion über Kunst, das Streben nach ihrer Perfektion und den hohen Peis, den man oft dafür zahlen muss. Um all das zu Papier zu bringen, hat auch Leander Fischer selbst einen Preis zahlen müssen.

Das Interview mit Leander Fischer gibt es in einer ausführlichen Version auch im FM4 Interview Podcast zu hören.

Leander Fischer: „Als das Buch irgendwann fertig war und in den Druck ging, hieß es in drei Wochen sei es da. Und das Erste, was ich gemacht habe war, mir ein Zugticket zu kaufen, um all die Freunde zu besuchen, die ich über sehr sehr lange Zeit vernachlässigt habe. Es ist auch oft so, dass ich dann während der Schreibphase in Gespräche hineingekommen bin, wo mir jemand sein Leid erzählt, weil ihm schilmme Dinge passiert sind, und nach zwei Minuten habe ich gemerkt, dass ich gar nicht zugehört habe. Ich hab mir eigentlich in dem Moment nur überlegt, ob die Figur auf Seite 250 ‚sagen‘ oder ‚sprechen‘ sollte, was sie sagt oder spricht.“

In diesem Zustand ist Leander Fischer nur über eine gewisse Zeit gewesen. Allerdings versucht er sich schon wieder an neuen Themen und Geschichten. Bis allerdings so ein Grundgerüst wieder gefunden und ausgearbeitet hat, freut sich der Junge Autor auf den Abend des 9. November. Da wird der österreichische Buchpreis vergeben und Leander Fischer steht mit „Die Forelle“ auf der „Shortlist Debüt“. Dann wünschen wir ihm viel Glück für den Fang dieser Auszeichnung.

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