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Filmstills aus "Never Rarely Sometimes Always"

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Film

„Niemals Selten Manchmal Immer“: Sie ist 17, sie ist schwanger, sie will keine Mutter sein

„Niemals Selten Manchmal Immer“ erzählt von der 17-jährigen Autumn, die nach New York reist, weil sie dort auch als Minderjährige das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch hat. Mit ihrem Drama verhandelt die US-amerikanische Drehbuchautorin und Regisseurin Eliza Hittman nicht weniger als die Souveränität über den eigenen (weiblichen) Körper.

Von Anna Katharina Laggner

Der letzte Wunsch der Supreme Court Richterin Ruth Bader Ginsburg ist nicht in Erfüllung gegangen: Sie wollte so lange leben und im Amt bleiben, bis Trump abgewählt ist. Bader Ginsburg hat sich Zeit ihres Lebens für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und konkret für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch eingesetzt. Nun hat Präsident Trump eine dezidierte Abtreibungsgegnerin, die Richterin Amy Coney Barrett, als Bader Ginsburgs Nachfolgerin an den Supreme Court berufen. Diese Realität unterstreicht die politische Dimension des still verstörenden Dramas „Never Rarely Sometimes Always“, im deutschen Verleih als „Niemals Selten Manchmal Immer“.

Das erste Wort, das in diesem mit Worten sparsamen Film fällt, ist Schlampe. Bei einer Schulvorführung steht Autumn mit einer Gitarre auf der Bühne und singt, sehr schön, sehr einfühlsam, da schreit es ein Mitschüler heraus. In der nächsten Szene sehen wir Autumn mit ihren Geschwistern, ihrer Mutter und dessen Lebensgefährten, der zynisch ist und Autumn nicht einmal anschaut. Sie geht. In weiterer Folge zeigt Eliza Hittman minutiös die Stationen, die Autumn am Weg zu ihrem Schwangerschaftsabbruch durchlaufen muss.

Filmstills aus "Never Rarely Sometimes Always"

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Es sind offenkundige Hindernisse wie das Gesetz, das Autumn keinen Abbruch in ihrem Bundesstaat Pennsylvania ermöglicht und sie zwingt, nach New York zu reisen. Aus unerfindlichen Gründen müssen Autumn und die sie begleitende Cousine einen riesigen Koffer mit sich durch New York schleppen, über U-Bahn-Stations-Eingangsschranken hieven und immer wieder durchleuchten lassen. Als Metapher ist das mit der Zeit ein wenig nervig, vor allem, da alle anderen Erniedrigungen ohnehin schon Plage genug sind: der psychische Druck, den eine als empathische Frauenärztin getarnte Abtreibungsgegnerin auf Autumn ausübt genauso wie sexistische Belästigungen, die passieren, wenn junge Frauen nachts alleine unterwegs sind. Aber auch die hässlichen grauen Orte, Busbahnhöfe, Vorstadtstraßen, Wartezimmer setzen den zunehmend erschöpften jungen Frauen zu.

In der titelgebenden Szene wird das Drama der Hauptfigur angedeutet. Während einer Beratung soll Autumn persönliche Fragen wie „Hat dein Partner dich in letzter Zeit physisch bedroht oder eingeschüchtert?“ mit niemals, selten, manchmal oder immer beantworten. Allerdings erzählt uns der Film nicht viel mehr als die Beraterin von Autumn erfährt. Sie ist 17, sie ist schwanger, wir wissen nicht von wem, wir wissen nur: Sie will keine Mutter sein. Denn Eliza Hittman geht es in „Never Rarely Sometimes Always“ nicht darum, das Drama von Autumn auszuschlachten. Es geht ihr um die strukturelle Gewalt, mit der junge Frauen in Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch konfrontiert sind.

Eine Schwangerschaft ist per se nichts Ungewöhnliches. Was der minderjährigen Autumn passiert, kann fast jeder Frau passieren. Doch eine Schwangerschaft ist praktisch nie eine banale Tatsache und die Geschichte der Einzelnen immer ein Einzelschicksal. Dass wir von diesem Einzelschicksal in „Niemals Selten Manchmal Immer“ nur das Allernötigste erfahren, ist zunächst verstörend. Es ist aber letztlich auch das Geniale an diesem Film: Ihr Hauptaugenmerk kann Regisseurin Eliza Hittman so auf ein System legen, das jungen Frauen versagt, selbstverständlich über ihren eigenen Körper zu entscheiden.

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Das Drama ist nicht die Schwangerschaft, das Drama ist die Schlampe aus der ersten Szene, der böse Fluch, der über den Frauen liegt die – gewollt oder ungewollt – Sex haben. „Niemals Selten Manchmal Immer“ ist so etwas wie ein Gegenfluch, ein stiller Schrei für die Souveränität über den eigenen Körper und das Recht über das eigene Leben zu entscheiden.

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