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Filmstills aus "Hausen"

SKY

SERIE

„Hausen“ und der „neue deutsche Horror“

Gänsehaut-Kino made in Germany ist rar. Filme wie „Pelikanblut“ und die Serie „Hausen“ trauen sich endlich mit gruseligen Genrezitaten zu arbeiten.

Von Christian Fuchs

Lange Zeit wirkt der Film „Pelikanblut“ wie ein intensives Psychodrama. Eine Frau adoptiert ein aggressives kleines Mädchen, das anscheinend keine menschliche Nähe kennt, sich positiven Emotionen versperrt. Irgendwann im letzten Drittel kippt Katrin Gebbes zweiter Spielfilm aber ins Mystische, ins Rituelle, Metaphysische. Ein waschechter Horrorfilm ist „Pelikanblut“ letztlich zwar nicht. Aber doch ein Film voller Gänsehautszenarien, die dem Alltag entspringen.

Deutlichere Genrebezüge findet man in der mittlerweile abgeschlossenen Serie „Dark“, in der Sozialdrama, Science-Fiction und Grusel-Momente kollidieren. Und zwar international so erfolgreich, dass die Welt wohl auf weitere ähnliche Werke aus Deutschland wartet.

Filmstills aus den Serien  „Wasp Network“, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ und „Dark“

Netflix

„Dark“

Arthouse-Splatter, Coming-of-Age-Grusel & Hexendramen

Dabei war Horrorkino made in Germany lange Zeit inexistent. Zwischen seichter Beziehungskomödie einerseits und strenger Berliner Schule auf der anderen Seite gab es einen tiefen Graben. Wer Schreckensmomente und Nervenkitzel in deutschen Filmen suchte, musste in die Vergangenheit blicken, in den 60er und 70er Jahre, als einige wilde Exploitationschocker entstanden. Oder zumindest bis in die 80er zurück, als Punkrebellen wie Jörg Buttgereit auftauchten.

Mit ganz wenig Geld, viel Herzblut und noch mehr Kunstblut provoziert der Berliner Regisseur damals die Genrefans rund um den Planeten. Filme wie „Nekromantik“ oder „Der Todesking“ bieten Arthouse-Splatter mit morbidem Humor und existentialistischem Touch. Frei von gängigen Konventionen oder erwartbaren Jump Scares wird darin nach menschlichen Abgründen geforscht. Dazu passen später in gewisser Weise auch künstlerische Genre-Hommagen von Filmemachern wie Andreas Marschall („Masks“) oder surreal angehauchter Coming-of-Age-Grusel wie „Der Samurai“ von Till Kleinert.

Filmstill aus "Der Todeskönig"

Jörg Buttgereit

„Der Todesking“

Mehr Namedropping gefällig? In diese Reihe ambitionierter Genrehybride, die stets viel über das reale Leben in deutschen Städten erzählen, passen auch Streifen wie „Der Nachtmahr“ von Akiz oder „Luz“ von Tilman Singer. Österreichische Jungregisseure wie Marvin Kren ("Blutgletscher, „Freud“) oder Lukas Feigelfeld arbeiten ebenfalls für den deutschen Markt. „Hagazussa“ heißt das düstere Hexendrama des zweiteren Filmemachers, angesiedelt in stockdunklen Wäldern.

Für die Generation von Kren, Feigelfeld oder Katrin Gebbe spielen die alten Grenzen zwischen Kunst und Kommerz keine Rolle mehr, sie wollen einfach auf originelle Weise fesseln und verstören. Richtig kommerzielles Horrorkino gibt es in Deutschland aber bis heute kaum.

Mädchen Raya im Film "Pelikanblut"

Pelikanblut

„Pelikanblut“

Wohnblock voller dunkler Geheimnisse

Natürlich, perfekt zu aktuellen Sehgewohnheiten passend, ist es jetzt eine Serie, die diesbezüglich Neuland betreten will. „Hausen“, von SKY produziert, ist eine Art Horror-Kammerspiel mit einem einzigen Schauplatz: Ein anonymer Plattenbau am Rande einer unbekannten Stadt, die möglicherweise in der Ex-DDR liegt.

Es gibt kaum ein Außen in dieser Serie, nur ein Innen. Wenn am Anfang der zukünftige Hausmeister Jaschek (Charly Hübner) mit seinem Sohn Jurek (Tristan Göbel) im Block ankommt, werden wir diesen Schauplatz nicht mehr verlassen. Acht Episoden lang schleicht die Kamera durch die Gänge, Wohnungen, Keller und Lüftungsschächte des Wohnblocks.

Filmstills aus "Hausen"

SKY

„Hausen“

Wir lernen die Bewohner kennen, die allesamt dunkle Geheimnisse zu verbergen scheinen. Grimmige Pensionisten, geisterhafte Kinder, Junkiepärchen und kriminelle Gangs huschen durch das abgeranzte Gebäude. Jaschek und Jurek taumeln durch ein Pandemonium aus absurden, oftmals grauenerregenden Situationen. Wahn und Wirklichkeit verschwimmen, ein Baby verschwindet, schwarzer Schleim tropft aus den Wänden.

Eigentlich ist schon nach der ersten Folge klar, dass das Gebäude selber all den Horror verursacht: „Hausen“ ist eine Haunted-House-Serie. Aber - und das ist toll - endlich steht einmal keine übliche Gruselvilla abgedroschen im Zentrum. Sondern ein Hochhaus, in dem sich frei nach den Büchern des Autors J.G. Ballard („High-Rise“) die soziale Verwahrlosung so verdichtet, dass es monströse Züge annimmt.

Filmstills aus "Hausen"

SKY

„Hausen“

Das Desolate als Dauerzustand

Bei aller Begeisterung für den Mut, sich auf ein Terrain zwischen Stephen King und Lars von Trier („The Kingdom“) zu wagen, trotz gelungener Besetzung und beklemmendem Soundesign, lassen sich die Schwächen der Serie nicht verdrängen. „Hausen“ ist von der ersten Minute an dermaßen stylisiert, dass keine echte Spannung aufkommt. Denn wenn alles nur schäbig, verfallen und ekelhaft ist, gewöhnen wir uns bald an das Desolate.

Während etwa „Twin Peaks“, der ewige Serien-Geniestreich, zwischen poppiger Tagesstimmung und angstvollen Nächten pendelt, flackern im ostdeutschen Wohnblock die kaputten Neonröhren im Dauertakt. Regisseur Thomas Stuber, eigentlich für einfühlsame Indiefilme („In den Gängen“) bekannt, präsentiert im Grunde einen achtstündigen Videoclip einer düsteren Industrial-Metalband. „Hausen“ ist ein lobenswertes Serien-Experiment, sehenswert gescheitert.

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