FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Été 85, Viennale 2020, Summer of 85, Filmstill

Francois Ozon

Viele Tanzszenen auf der Leinwand, wenig Getanze nach den Filmen auf der Viennale 2020

In einem normalen Viennale-Jahr würden wir uns nach den Filmen zum gemeinsamen Diskutieren, Lachen und Party machen treffen. Immerhin zeigen einige Filme, wie es ist, im Club zu feiern. Viennale-Tagebuch Teil #3

Von Philipp Emberger

Hätte die Viennale ein eigenes Kindergartenlied, es müsstes dieses Jahr die Textzeile die Projektion ist aus, wir gehen nach Haus, rabimmel rabammel rabumm bumm bumm enthalten. Denn auf das Rahmenprogramm rundherum müssen wir heuer verständlicherweise komplett verzichten. Kein Eröffnungsfest, kein Festivalzentrum und keine Afterpartys. Immerhin, wenn schon keine laute Musik aus den Soundanlagen in der Kunsthalle dröht, gibt es in einigen Filme Szenen zu sehen, die ein bisschen Clubfeeling zu uns transportieren.

Da wäre zum Beispiel der Film „Été 85 (Summer of 85)“, der auf dem Roman „Tanz auf meinem Grab“ des Briten Aiden Chambers beruht, des französischen Regisseurs François Ozon. In diesem Der-Sommer-ist-so-schön-Film verliebt sich der 16-jährige Alexis in den zwei Jahre älteren David, nachdem der ihn bei einem missglückten Segelausflug aus dem kalten Wasser fischt und vor dem Ertrinken rettet. Alle, die bislang schon eine kleine nautische Abneigung haben, steigen nach dieser Szene wohl definitiv auf kein Boot mehr.

Bevor wir aber Alexis’ unfreiwillige Schwimmrunde sehen, starren wir etwas psychomäßig in seine rotgeschwollenen Augen, die uns rückblickend einen Einblick in die Ereignisse des Summers ’85 geben. In Feelgood-Manier erzählt der Film dann die Geschichte einer wunderbaren sechswöchigen Liebe und zeigt noch viel wunderbarere frisierte Haare. Seit Kollegin Pia Reiser in ihrem Viennale-Guide die beiden französischen Schauspieler Félix Lefebvre und Benjamin Voisin als Darsteller für ein zukünftiges Wham-Biopic ins Spiel gebracht hat, kann ich diesen Umstand den Film über nicht mehr nicht sehen.

Szenenbild "Summer of 85"

viennale

Alexis (Félix Lefebvre) und David (Benjamin Voisin) sind in „Été 85“ ziemlich fesch frisiert

Angesiedelt ist das Drama in einem französischen Badeort in der Normandie und, wie unschwer zu erraten ist, im Jahr 1985. Wobei die Jahreszahl zuerst gar nicht so geplant war. Regisseur Ozon wollte den Film ursprünglich im Sommer 1984 spielen lassen, aber The Cure-Sänger Robert Smith protestierte dagegen. Sein Wort ist ein nicht ganz Ungewichtigtes, denn das The Cure-Lied „In Between Days“ fungiert als Soundtrack für den Film, ist aber erst 1985 erschienen.

Na gut, dann eben ein Jahr später, hat sich François Ozon wohl gedacht und den Film in „Été 85“ umgetauft. Ob Sommer ’84 oder Sommer ’85 hätte jedenfalls für eine meiner Lieblingsszenen nicht viel geändert. Konkret geht es um eine Szene, in der die beiden Jugendlichen im Club miteinander tanzen und sich mit ausgefeilten Tanzmoves näher kommen. Und wenn ich eines in Filmen liebe, dann sind es 80er-Jahre-Clubszenen, wenn die Partycrowd auf der Tanzfläche in ihren neongrellen Oversized-Jacken abgeht.

Été 85, Viennale 2020, Summer of 85, Filmstill

Viennale

Ein Sommer wie eine Achterbahnfahrt in „Été 85“

Nicht nur in „Été 85“ spielt Musik eine wichtige Rolle (Rod Stewart!), sondern auch im Film „Druk“ des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg wird auf dem Piano geklimpert und Jazzballett getanzt. Klingt jetzt etwas sperriger als es ist. Wobei im Vergleich zu den beiden Jungspunden in „Été 85“ der Drive bei den Protagonisten in „Druk“ wirklich verloren gegangen ist.

Saufen für die Wissenschaft

In der dänischen Tragikomödie beschließt der ambitionslose Lehrer und Familienvater Martin, gespielt von Mads Mikkelsen, mit seinen drei Lehrerkollegen Tommy, Peter und Nikolaj, die fiktive (?) Hypothese, wonach der Mensch mit einem halben Promille zu wenig geboren wird, zu untersuchen. Die vier stellen sich mit samt ihrer Leber fortan also in den Dienst der Wissenschaft und kippen sich akademisch einen hinter die Binde. Das klappt zu Beginn auch wunderbar, der Alkoholpegel ist leicht erhöht und die vier middle aged Männer laufen zu Höchstform auf. Im Unterricht begeistern sie ihre Schüler*innen und Martin nähert sich seiner Frau und Familie beim gemeinsamen Campingtrip wieder an.

Mads Mikkelsen, Druk, Der Rausch, Viennale 2020, Filmstill

Viennale

Mads Mikkelsen gibt in „Druk“ den Lehrer Martin

Aber weil der Mensch nun mal der Mensch ist, bleibt es nicht bei dem leicht erhöhten Alkoholspiegel, sondern die vier Männer greifen immer öfter zur Flasche, mit all den tragischen Folgen und Konsequenzen. Vinterberg könnte an dieser Stelle sehr einfach den moralischen Zeigefinger heben, tut er aber nicht. Stattdessen liefert er auf charmante Art eine Verschmelzung von Tragödie und Komödie und sorgt für gute Kinominuten mit ohrwurmverdächtiger muskalischer Untermalung.

Druk, Der Rausch, Viennale 2020

Viennale

„Druk“ (dt. Titel „Der Rausch“) startet am 29.01.2021 österreichweit in den Kinos.

Den Soundtrack zum Film, und für mich auch ein kleines bisschen den Soundtrack für die Viennale, liefert Scarlet Pleasure mit „What A Life“, eine musikalische Hommage an das Leben, eine Huldigung des Kinos in einem schwierigen Jahr. Glücklicherweise gibt es auf YouTube auch bereits eine einstündige Version des Songs. Das verkürzt die Anzahl, die ich auf den Replay-Button drücken muss.

Verbrechen und Strafe

Auf den filmischen Wiederholungsbutton drückt dann auch der Historienfilm „Dorogie Tovarischi!“ („Dear Commrads!“) des russischen Filmemachers Andrei Konchalovsky, für den er bei den Filmfestspielen von Venedig dieses Jahr den Spezialpreis der Jury abgeräumt hat. Für alle Anwesenden an diesem Tag im Filmmuseum ist der Film ein Grund, warum es Filmfestivals wie die Viennale so dringend braucht: Um solchen Filmen, die es sonst hierzulande wohl nur zu nischiger Aufmerksamkeit schaffen würden, eine größere Plattform zu geben. Für mich ist der Film jedenfalls die Möglichkeit, die zwei russischen Wörter, die ich verstehe, prestuplenie (Verbrechen) und nakazanie (Strafe), in den nächsten 120 Minuten zu erkennen.

Filmstill, DOROGIE TOVARISHCHI! Viennale 2020

Viennale

„Dorogie Tovarischchi!“ zeigt die Aufstände im sowjetischen Nowotscherkassk 1962

Gut für meine Sprachkenntnisse, schlecht für alle Beteiligten, gibt es in dem Historienfilm doch sehr viele Verbrechen und noch mehr Strafen. Der Film beschäftigt sich nämlich mit den aufständischen Ereignissen aus dem Jahr 1962 im sowjetischen Nowotscherkassk. Aus der Perspektive der parteitreuen Lyudmila erzählt Regisseur Konchalovsky, wie Lyudmila während eines Aufstands in der örtlichen Fabrik Zeugin eines Massakers gegen die Bevölkerung wird, was sie in ihren kommunistischen Grundfesten erschüttert.

Getanzt wird in „Dorogie Tovarischi!“ verständlicherweise eher weniger, dafür ist der Film ein interessanter Einblick in eine vielleicht doch fremde Welt. Aber auch musikalisch bleiben die Kinozuseher*innen an diesem Tag nicht ganz auf sich alleine gestellt. Die sowjetische Hymne erklingt gleich mehrere Male und auch nach diesem Filmscreening merkt man, dass es vielleicht doch kein ganz normales Viennale-Jahr ist: Die Projektion ist aus, alle gehen nach Haus.

Aktuell: