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CC0 / radio fm4

„Es wird sehr schwierig, auf Dauer durchzuhalten“

Absagen, Absagen, Absagen. Hannes Tschürtz über die aktuelle Lage der Musikszene.

Von Susi Ondrušová

„Ich würd mir wünschen, dass wir alle an einem Ort stehen, ohne Angst wegen Aerosolen zu haben!“, sagt Hannes Tschürtz und lacht. Es ist der erste Montag im November, aber es könnte auch der letzte Montag im März sein. Alles wird abgesagt. Was vom Frühling in den Herbst und den traditionell stärksten Konzertmonat November verschoben wurde, muss wegen der aktuellen Ausgangsbeschränkungen wieder verschoben werden.

Ist das Konzertjahr 2020 damit gelaufen? Über die aktuelle Lage und seine Einschätzung spricht Susi Ondrušová mit Hannes Tschürtz, er ist im Vorstand der Ifpi, dem Verband der Österreischichschen Musikwirtschaft, und hat 2001 die Wiener Musikagentur Ink Music gegründet. Heute hat er sieben Mitarbeiter*innen und arbeitet mit Bands wie Oehl, Leyya, My Ugly Clementine und Garish zusammen.

FM4: Du hast schon gepostet, welche eurer Konzerte aufgrund der neuen Regelungen nicht stattfinden können. Plant ihr jetzt Verschiebungen? Wie plant man 2020 überhaupt noch?

Hannes Tschürtz: 2020 ist ein beständiges Schauen was noch kommt. Es wird Zeit, dass dieses Jahr endlich vorbei ist. Wobei meine Sorge groß ist, dass 2021 gar nicht deutlich besser beginnen wird. Jetzt akut werden natürlich wieder eine Menge Konzerte abgesagt und verschoben. It’s march all over again.

Wie schaut das in der Praxis dann aus? Seid ihr schon in Gesprächen mit den Venues, um für 2021 Termine zu blocken?

Wir sind seit letztem Wochenende dabei, mit den Veranstalter*innen, Partner*innen und Künstler*innen Alternativen zu suchen für die Termine, die jetzt tatsächlich nicht stattfinden können. Es ist individuell sehr verschieden was da passieren wird. Im besten Fall gibt es eine Verlegung in einen Zeitraum, wo es dann wieder stattfinden kann. Im schlimmsten Fall dann auch Absagen. Es gibt so Fälle wie beispielsweise das Bluebird Festival, wo Garish gespielt hätten, das wird wahrscheinlich nicht so einfach nachgeholt werden können. Es ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Man improvisiert so wie man schon das restliche Jahr improvisiert hat.

Hannes Tschürtz

Elisabeth Anna

Dieses Rettungspaket für Unternehmen - 80 Prozent des Umsatzes vom November 2019 - ist das ein Rettungspaket, das auch für euch greift? Für Branchenkolleg*innen? Hilft das, mit der angekündigten Kurzarbeit, das Krisenjahr zu überstehen?

Ob und wie diese Regelung auch auf uns anwendbar ist oder auch auf Künstlerinnen und Künstler, das wissen wir schlicht und ergreifend noch nicht. Mein Verständnis ist, dass das im Moment noch verhandelt und diskutiert wird. Man darf nicht vergessen, dass wir da von einem sehr komplexen Vorgang sprechen. Ein Konzert ist nicht so einfach abzuwickeln wie etwa ein Restaurant, das auf und zu macht. Da hängt ja sehr viel dran, wo dann entsprechend viele Leute betroffen sind. Ich denke, das wird noch eine längere Debatte, wie und in welcher Form das dann abgegolten wird. Wenn es zu einer Umsatzabgeltung kommt, dann wäre das natürlich sehr positiv und auch wahnsinnig wichtig, weil wir schon über das ganze Jahr hinweg sehr viel Arbeit geleistet haben, die jetzt letztlich unbezahlt bleibt. Und so wird es – Maßnahmen hin oder her – sehr schwierig, auf Dauer durchzuhalten.

Sind Kulturschaffende jetzt stärker betroffen als andere Branchen? Und was würde der Kulturbranche helfen?

Mir kommt vor, die Kulturlandschaft hat sich über den Sommer mit dem arrangiert was im Frühjahr passiert ist. Natürlich war die Situation für niemanden lustig, aber man hat irgendwo kleine Schlupflöcher und Lücken gefunden, um doch ein kleines Open Air zu machen, so wie wir das Picknick im Grünen gemacht haben oder eben Sitzplatzkonzerte. Das hat einem Teil der Kulturschaffenden ein wenig geholfen. Auch was die psychologische Komponente betrifft, war das sehr, sehr wertvoll, dass man überhaupt signalisieren kann, man tut irgendetwas.

Wie sich das jetzt im November verhalten wird, wird sich weisen. Einerseits kennt man die Situation schon ein bisschen, andererseits ist der November eine der Hochsaisonen im Konzertjahr. Und es sind sehr viele Konzerte aus dem Frühjahr in den November verschoben worden, die jetzt wieder verschoben oder abgesagt werden. Es war ein bisschen vorhersehbar, dass es so enden wird, es ist aber trotzdem schwer zu sagen, welche Auswirkungen das jetzt haben wird.

Ich gehe davon aus, dass 2020 und wahrscheinlich auch noch eine Weile darüber hinaus kein normaler Konzertbetrieb möglich sein wird. Das heißt, dass alle Folgeerscheinungen – von Merchandiseverkauf, von Tonträgerverkauf und Tantiemenbezug von diesen Konzerten – auch noch in den kommenden Jahren sehr große Auswirkungen haben werden.

Veranstalter*innen und Kulturschaffende haben im Sommer ja sehr breite Sicherheitskonzepte erarbeitet und auch immer wieder angepasst. Die waren deutlich aufwändiger als etwa in einem Supermarkt. Fühlst du dich ungerecht behandelt, dass trotzdem nur das eine als gefährlich angesehen wird? Hätte es da eine bessere Evaluierung dieser Sicherheitskonzepte geben müssen?

Man hört sehr wenig über die Clusterbildung in der Gastronomie und auch im Kulturbetrieb. Und meine oberflächliche Betrachtung und auch eine Stimmungsumfrage unter den Kolleginnen und Kollegen hat zumindest ergeben, dass es im Kulturbereich tatsächlich wenige bis gar keine Fälle gegeben hat, die jetzt aus dem Konzert- oder Theaterbesuch entstanden wären. Insofern ist es natürlich massiv unverständlich, dass wir jetzt wieder draufzahlen und eingesperrt werden. Wenn man sich die Gesamtsituation anschaut, ist es aber, glaube ich, ausweglos. Also es nützt jetzt nichts zu jammern: Warum lasst ihr uns nicht weiterhin veranstalten? Das wäre aus meiner Sicht trotzdem naiv.

Was mich an der Politik aktuell ärgert, ist, dass sehr wenig drauf geachtet wird, was eben alles getan worden ist und mit welchen Konsequenzen das dann auch behaftet ist, wenn wieder zugesperrt wird. Da ist das ganze Jahr über schon mein Eindruck, dass die Kultur sehr wenig Stimme innerhalb der Regierung hat. Das Staatssekretariat ist eigentlich sehr dialogbereit und kooperativ, aber innerhalb des Gesamtkomplexes der Regierung spielt die Kultur offensichtlich eine relativ geringe Rolle.

Das merkt man dann an einzelnen Maßnahmen. Wenn etwa die Kirchen offen haben dürfen, dort aber massenhaft Fälle auftauchen und Konzerte nicht stattfinden dürfen, obwohl es da ausgeklügelte Sicherheitskonzepte gibt, dann ist das schon ein bisschen bedrückend und seltsam. Ich gönne jedem die Freiheit, seine Religion auszuüben oder einkaufen zu gehen, aber ich vermisse da ein bisschen die Gleichheit.

Du hast vor ein paar Wochen in einem Interview gemeint, dass es in der Musikwirtschaft zu einem brutalen Kahlschlag kommen wird. Dass die Folgen von Corona nicht nur jetzt spürbar sind, sondern sich auch auf die kommenden Jahre stark auswirken werden. Kannst du die Langzeitfolgen einer nicht vorhandenen Veranstaltungsszene vielleicht kurz skizzieren?

Wenn man sich hier unterschiedliche Studien anschaut, die international herumgeistern, ist immer wieder die Rede davon, dass ein Teil von Kreativschaffenden und von der Kulturlandschaft in Form von Clubs und Konzertvenues tatsächlich sehr, sehr stark betroffen sind. Viele müssen dann einfach aufhören, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Das ist extrem gefährlich. Wenn ich höre, dass in Großbritannien ein Drittel der Kreativen den Job an den Nagel hängen und sich was anderes suchen muss, dann finde ich das echt krass.

Und wenn man sich anschaut, was an logischen Folgeerscheinungen für die Club- und Konzertlandschaft kommen kann, dann ist das auch echt krass. In Wirklichkeit das ganze blühende Leben, das wir jetzt in Österreich und insbesondere in Wien haben, in den letzten Jahren erst so bunt und so vielfältig geworden. Viele Clubs, Konzertvenues, Kulturvereine am Land, das sind überhaupt die Träger, die Initiatoren, dass es jetzt so viel spannenden Musik aus Österreich gibt. Wenn das wegfällt, fällt natürlich auch die Möglichkeit weg, neue Dinge zu entwickeln und abzubilden. Von den tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen, Arbeitsplätzen, die da verloren gehen, will ich gar nicht beginnen.

Du bist selbst Corona positiv getestet worden. Hat sich dein Blickwinkel auf die Thematik dadurch verändert? Und wie geht’s dir jetzt?

Mir geht es jetzt an sich gut. Den Blickwinkel auf die Krankheit oder die Pandemie hat das eigentlich kaum bis gar nicht verändert. Ich habe gelernt, dass auch sehr viel Vorsicht und sehr viel Wissen nicht ausreicht. Ich habe das immer wieder mit der Schule verglichen, wo es aber nur ein „Sehr gut“ und ein „Nicht genügend“ gibt. Und wenn du das „Sehr gut“ um einen halben Punkt verpasst, ist es eben gleich ein „Nicht genügend“. Also „okay, aufpassen“ und „okay, vorsichtig sein“ ist einfach nicht gut genug. Und das ist ziemlich frustrierend.

Hast du abschließend noch eine Botschaft an alle Konzertgeher*innen?

Ich würde mir wünschen, euch an einem Ort wiederzusehen, wo wir alle wieder zusammenstehen, mitschreien und mitgrölen können, ohne Angst wegen Aerosolen zu haben. Das ist natürlich ein naiver Wunsch, aber ich hoffe, dass wir bald die Möglichkeit haben, wieder zueinander zu finden und dann auch wieder dort weiterzumachen, wo wir aufgehört haben, weil es eigentlich wirklich viel Spaß gemacht hat in den letzten zwei Jahren zu sehen, wie sich das alle entwickelt und wie die unterschiedlichen Bands mehr und mehr Publikum gewinnen konnten.

Jetzt kommt ja bald Weihnachten – vielleicht bringt das Wünschen ja was. Wir haben im März eine sehr, sehr große Solidaritätswelle bemerkt, wo Menschen dann wirklich direkt in den Labelshops einkaufen, sich direkt bei den Künstlern melden, Spenden anbieten. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie man diesen Leuten immer noch was Gutes tun kann und das ist in den nächsten Monaten sicher immer noch sehr wichtig.

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