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Black Lives Matter Proteste in London

APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS

ROBERT ROTIFER

Was heißt hier „korrekt“? - Teil 2

Die Teilnahme an Black Lives Matter-Märschen oder LGBT-Pride-Paraden widerspreche dem Grundsatz der Unparteilichkeit, heißt es in den neuen internen redaktionellen Richtlinien der BBC. Auch „Virtue Signalling“ in sozialen Medien wird den Mitarbeiter*innen verboten. Befindet sich die nach rechts driftende britische Mutter aller Öffentlich-Rechtlichen an einem „düsteren Ort“?

Eine Kolumne von Robert Rotifer

„Als die Covid-Lockdowns seiner Arbeit als Hochzeits-DJ ein Ende setzten, hatte Jeremy Davis die Freiheit, sich in seine andere Leidenschaft zu stürzen – zu versuchen Migrant*innen-Boote aufzuhalten, die von Frankreich aus die Strände des Vereinigten Königreichs ansteuern.“

So beginnt eine Story mit dem Titel „The Wedding DJ who wants to stop migrant boats“, die am vergangenen Wochenende auf der Website der BBC News erschien.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

In scheinbar wertfreiem Ton berichtete die Reportage von Herrn Davis’ Initiative „Littleboats2020, inspiriert von den ‚kleinen Schiffen von Dunkirk‘, den 850 Booten, die auszogen, um 336.000 britische Soldaten zu retten, die im Mai 1940 im nördlichen Frankreich festsaßen.“

Die Autorin der BBC verzichtet auf jeden Kommentar zu dieser atemberaubenden Gleichsetzung der Heimholung von durch herannahende Nazi-Truppen bedrohter, britischer Soldaten mit dem Abwehren von Flüchtlingsbooten. Noch erwähnt sie den mehr als makabren Kontext, dass erst vor wenigen Tagen eine ganze vierköpfige Familie beim Versuch der Überfahrt aus Dunkerque ertrunken ist.

Flüchtlings auf einem Boot im Ärmelkanal

APA/AFP/Sameer Al-DOUMY

Stattdessen gibt sie dem Hochzeits-DJ Gelegenheit, Mitgefühl zu heucheln: „Er sagt, er könne die Leute verstehen, die sich auf diese gefährliche Reise begeben. ’Natürlich, wenn ich in deren Lage wäre, würde ich auch sagen: ‚Lass uns ein nettes Hotel, Essen und eine Zukunft besorgen.’“

So wurde auch noch der Mythos, dass Flüchtlinge von der Regierung nach ihrer Ankunft mit teuren Hotelzimmern bei voller Verpflegung verwöhnt werden, eine der bevorzugten Verschwörungstheorien der britischen Rechtsextremen, über die BBC-Website unkritisch verbreitet.

Im Gegensatz zur Wahrheit, dass nämlich derzeit 400 Asylsuchende in einer ehemaligen Armee-Baracke mit verstopften Toiletten nahe der Seestadt Folkestone hausen, aus der vor zwei Wochen ein akuter Covid-Ausbruch gemeldet wurde.

Man liest solche Geschichten, oder jene, wonach das UK nach vollzogenem Brexit „mehr EU-Bürger*innen mit Vorstrafen“ die Einreise verbieten würde (Übersetzung ins Faktische: für EU-Bürger*innen gelten künftig dieselben Regeln wie für Einreisende anderer Staaten, allerdings verliert die britische Grenzbehörde den Zugang zu den europäischen Datenbanken, in denen Vorstrafen verzeichnet sind). Und man fragt sich nicht einmal mehr, was da eigentlich bei der BBC los ist, denn das wissen wir ja nur zu genau.

Die konservative Seite Großbritanniens beschwert sich seit jeher über die angebliche linksliberale Schlagseite der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenorganisation, und in Zeiten gefährdeter Jobs sehen sich die Journalist*innen zunehmend versucht, wenn nicht gar angehalten, ihr Näschen nach dem Wind zu richten.

Anfang Oktober hatte ich hier unter anderem über den neuen konservativen BBC-Generaldirektor Tim Davie geschrieben, der eine Gleichberechtigung rechter Komiker*innen gegenüber der mutmaßlichen Hegemonie linker Comedy gefordert hat. Ich schrieb in dieser Kolumne weiter von „einer Art rechter politischer Korrektheit“, und wie „das routinierte Anprangern eines vorgeblich linken Gesinnungsterrors mit der neuen Realität der repressiven Dominanz der Rechten kollidiert.“

Letzte Woche setzte die BBC-Führung gleich zwei Zeichen zur Bestätigung der These. Da waren einmal die neuen Richtlinien bei der Verwendung sozialer Medien, die BBC-Mitarbeiter*innen sogenanntes „Virtue Signalling“ untersagen, definiert als „Retweets, Likes oder die Teilnahme an Online-Kampagnen, die eine persönliche Ansicht vermitteln, egal wie scheinbar wertvoll die Sache sein mag.“

London Pride

APA/AFP/Niklas HALLE'N

Pride in London, ganz im Hintergrund das Broadcasting House der BBC

Rein inhaltlich steht die BBC mit dieser Verordnung nun zugegebenermaßen international nicht völlig alleine da.

Allerdings stammt, wie zum Beispiel der sanft linksliberale Schriftsteller Jonathan Coe in einem Tweet richtig bemerkte, die Wortschöpfung „virtue signalling“, der Vorwurf des Signalisierens der eigenen Tugendhaftigkeit durch performatives, soziales Engagement, direkt aus dem Konversationslexikon rechter Online-Demagog*innen. „Wenn diese Phrase jetzt in einem offiziellen Dokument kodifiziert wurde, befindet sich die BBC wirklich an einem düsteren Ort“, schrieb Coe.

Am selben Tag drang noch eine weitere interne Verordnung an die Öffentlichkeit: Künftig droht BBC-Mitarbeiter*innen der Rauswurf, wenn sie an LGBT Pride-Paraden oder antirassistischen Aufmärschen teilnehmen. Und zwar wegen eines Verstoßes gegen das Prinzip der Unparteilichkeit.

Was natürlich die Frage aufwirft, ob es nach Ansicht der BBC-Führung denn wirklich eine legitime Diskussion über bzw. einen „neutralen“ Standpunkt zu Homophobie und Rassismus geben kann.

Nur falls es nötig sein sollte, das festzustellen: Die Antwort heißt entschieden nein. Im Vereinigten Königreich übrigens sogar ganz klar gesetzlich.

Vom Virtue-Signalling-Verbot ausdrücklich ausgenommen bleibt übrigens das unter BBC-Moderator*innen geradezu pflichtmäßig gewordene Tragen roter Mohnblumen am Revers, mit denen zum Remembrance Day das Gedenken gefallener britischer Soldaten ausgedrückt wird. Eine patriotische Geste, die in den letzten Jahren einen zunehmend nationalistischen Unterton angenommen hat.

In der neuen Welt der verordneten, rechten politischen Korrektheit gibt es eben Tugenden und Tugenden. Und wer seinen Job bei der BBC behalten will, muss sie voneinander zu unterscheiden wissen.

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