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Ingrid Brodnig

APA/GEORG HOCHMUTH

interview

Man muss sich immer fragen: „Was sind die Konsequenzen, wenn ich das teile?“

Die Publizistin und Digitalexpertin Ingrid Brodnig erläutert, was gestern auf Social Media passiert ist, und wie man sich derzeit auf Facebook, Instagram und Co bewegen soll.

Von Ambra Schuster

Auch auf sozialen Medien und in WhatsApp-Gruppen haben sich gestern Abend die Ereignisse überschlagen. Da wurde viel geteilt. Positives - etwa haben Menschen ihre Wohnungen als Zufluchtsort angeboten. Aber leider auch viele Fotos und Videos des Angriffs. Die Polizei hat deshalb schon frühzeitig darum gebeten, keine ungesicherten Informationen mehr zu teilen. Denn leider wurden auch viele Falschnachrichten verbreitet. Viele Videos sind zwar schon wieder gelöscht worden, aber der Nachhall auf Social Media ist auch heute verständlicherweise groß.

Wir sprachen mit der Publizistin und Digitalexpertin Ingrid Brodnig über die Kettenreaktionen und Mechanismen auf sozialen Medien im Ausnahmezustand und wie man sich derzeit auf Facebook, Instagram und Co bewegen soll.

Gestern haben sich die Ereignisse auch auf sozialen Medien überschlagen. Es ist viel geteilt worden, auch viele Fotos und Videos. Was ist da passiert?

Ingrid Brodnig: In solchen Ausnahmesituationen, wenn ein Terroranschlag stattfindet, ist das Informations- und Gesprächsbedürfnis immens groß. Nahezu alle Menschen strömen auf soziale Medien, wollen wissen, was los ist, und wollen eigentlich auch darüber reden. Da passieren dann zwei Dinge: Erstens wollen Terroristen auch, dass ihre Aufnahmen, ihre Videos verbreitet werden, eben um Terror zu säen. Und zweitens kursiert auch sehr viel Ungewisses, Spekulatives, oft auch einfach Falsches. Das heißt, es besteht die Gefahr, dass vor allem in den allerersten Stunden Trittbrettfahrer beginnen zu spekulieren oder gar Dinge erfinden. Das heißt, es ist auch sehr viel ungesicherte Informationen auch geteilt worden.

Wie soll man sich in solchen Situationen im Idealfall verhalten auf sozialen Medien?

Ingrid Brodnig: Im Idealfall ist man sich dessen bewusst, dass wir alle gerade emotionalisiert sind. Und es gibt etwas, das nennt sich „Emotional Contagion“. Wenn Emotionalität durch soziale Netzwerke geht, dann ist das ansteckend. Ein emotionalisierendes Posting löst weitere aus. Im Konkreten kann man Folgendes machen: Immer überlegen, ob es sich um wirklich gesicherte Information handelt und ob es schlau ist, wenn ich das teile.

Ingrid Brodnig

APA/HANS PUNZ

Ingrid Brodnig ist Autorin und Journalistin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gesellschaft.

Es ist etwa nicht gut, wenn ich genau das tue, was ein Terrorist möchte, nämlich berühmt werden mit seinem Attentat. Man muss sich fragen: Was sind die Konsequenzen, wenn ich das teile? Helfe ich vielleicht jemanden, dem ich nicht helfen möchte?

Wo liegen die momentanen „Fehlerquellen“ auf Social Media?

Es gibt eigentlich drei große Probleme beim Sharing auf Social Media derzeit. Erstens, dass man manche Sachen teilt und damit tut, was sich ein Terrorist wünscht, nämlich ihm Aufmerksamkeit geben. Zweitens sind manche Dinge, die verbreitet werden, falsch oder spekulativ. Das heißt, ich verbreite womöglich Dinge, die Leuten Angst einjagen oder die etwas Falsches behaupten, und ich trage eigentlich zu einer weiteren Eskalation und auch zum Unwissen bei. Und drittens - wenn tatsächlich wahre, aber verstörende Videos geteilt werden, ist das natürlich belastend. Die Frage ist: Möchte ich wirklich diese furchtbaren Bilder verbreiten? Will ich anderen Menschen womöglich damit zusetzen?

Also am besten soll man dem Ruf der Polizei folgen, die gestern mehrmals darum gebeten hat nichts zu teilen?

Ingrid Brodnig: Genau. Im Zweifelsfall ist es sicher vernünftig, weniger als mehr zu teilen. Aber ich glaube schon, dass es Möglichkeiten des Sprechens über dieses Event gibt. Ich sehe sehr viele Menschen, die ihre Solidarität mit den Opfern zeigen und die zum Beispiel ihr Profilbild auf Facebook ändern, oder trotzig reagieren. Das klingt jetzt skurril aber es ist etwas dran, dass dieser Terrorist jetzt „Orschloch“ genannt wird und nicht bei seinem Namen genannt wird. Es ist sinnvoll, sich zu überlegen, wie über das Event gesprochen werden kann, ohne dem Terroristen noch mehr Macht und Aufmerksamkeit zu geben.

Facebook hat eine Funktion freigeschalten, mittels der man angeben konnte, in Sicherheit zu sein. Außerdem konnteüber das Tool Hilfe angeboten werden und auch um Hilfe gebeten werden. Ist das sinnvoll, unter Anbetracht der Tatsache, dass auf diesem Wege erst wieder Videos und Fotos geteilt wurden?

Ingrid Brodnig: Grundsätzlich ist es sinnvoll zu sagen, dass man ist in Sicherheit ist. Viele von uns haben Anrufe von der Verwandtschaft bekommen oder Nachrichten von Freunden, ob es einem gut geht. Das Crisis Response Feature ist einfach eine effizientere Art, zu entwarnen.

Problematisch ist meines Erachtens, dass das Tool eigentlich wie ein öffentliches Forum zum Thema auf Facebook ist. Und dort sehe ich extrem viel Spekulation, auch Falsches oder einfach mal zutiefst Emotionales. Da brodelt die Gerüchteküche. Hier wäre es besser, wenn Facebook diesen Teil des Feature abdreht oder umgestaltet, dort einfach Panik gesät wird.

Andererseits versuchen viele Leute derzeit Facebook konstruktiv zu nutzen und sich vorrangig Information zu holen und Solidarität zu bekunden. Leider wollen einzelnen Trittbrettfahrer Aufmerksamkeit und sehen, dass sie viele Likes und Interaktionen bekommen, wenn sie etwas Spektakuläres posten. Es wäre wichtig, dass Facebook hier stärker moderiert.

Kann man sagen, dass Facebook die eigene Verantwortung verabsäumt hat?

Natürlich ist auch die Rolle von klassischen Medien nicht zu unterschätzen. Einzelpersonen können auf Sozialen Medien zwar verunsichern, klassische Medien haben aber natürlich eine viel größere Reichweite und Auswirkung - Stichwort OE24 - wo sich inzwischen auch der Presserat eingeschalten hat.

Ingrid Brodnig: Ja. Ich glaube bei jedem Feature, dass eine Plattform einführt, muss sie überlegen, welche Verwendungsformen es geben könnte, die man eigentlich nicht will. Eine Verwendungsform des Crisis Response Tools ist eben, dass Leute dort auch Gerüchte reinposten. Und da müsste Facebook schon besser darüber nachdenken, welche Sicherheitsmechanismen sie noch einführen könnten.

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