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Elke Prochazka von Rat auf Draht über den Anschlag in Wien

Was macht das Miterleben eines Terroranschlages mit uns? Wie können wir Freund*innen helfen, die die Schüsse in Wien miterlebt haben? Wie gehen wir mit den Fotos und Videos vom Tatort um? Darüber reden wir mit der Psychologin Elke Prochazka von Rat auf Draht.

FM4: Zu Beginn erst einmal eine Frage an dich, wie du den gestrigen Abend erlebt hast und wie es dir jetzt im Moment geht?

Hilfe via Telefon

  • Psychiatrische Soforthilfe für Wien (24h Hotline): +43 1 31330
  • Corona-Sorgenhotline Wien (8.00-20.00 Uhr): +43 1 4000 53000
  • Notfallpsychologischer Dienst Österreich (24h Hotline): +43 699 188 554 00
  • Rat auf Draht (24h Hotline): 147
  • Servicetelefon der Kinder- und Jugendhilfe: +43 1 4000 8011
  • Kriseninterventionszentrum (10.00-17.00 Uhr): +43 1 406 95 95

Elke Prochazka: Ich habe eigentlich, kurz bevor es passiert ist, beschlossen, dass ich eine kurze Auszeit brauche von diesem ganzen Covid-Stress und habe dann eine Stunde später quasi davon erfahren und war vollkommen schockiert und betroffen, auch ein Stück weit starr vor dem Fernseher. Und danach habe ich einfach begonnen zu arbeiten und habe eigentlich bis jetzt nicht mehr aufgehört, um zu schauen: Was kann ich tun? Wie kann ich unterstützen und wie kann ich da sein? Ich bin jetzt auch ein bisschen zwischen nach wie vor das nicht so richtig fassen können und dazwischen noch sehr emotional und gleichzeitig auch sehr berührt, dass trotz alledem sehr viel passiert, wo man sieht, dass wir Menschen zusammenstehen.

FM4: Was waren denn die ersten Reaktionen, die du miterlebt hast auf den Anschlag, mit denen du auch dann vielleicht in deiner Arbeit konfrontiert warst?

Elke Prochazka: Es haben sich unglaublich Viele bei uns gemeldet, die pure Angst hatten. Es haben sich zum Teil junge Menschen gemeldet, die in der Innenstadt waren, die in einem Restaurant festgesessen sind, die gefragt haben, ob sie irgendwie raus gehen können und ob sie endlich nach Hause gehen können, was sie tun sollen. Viele waren verunsichert, ob jetzt auch in Graz, in Salzburg etwas ist, die nicht direkt in Wien waren. Dann kamen sehr schnell viele Fragen. Ich möchte man nicht in die Schule gehen. Ich möchte nicht zu meinem Arbeitsplatz. Was kann ich tun? In der Nacht Viele, die einfach nicht schlafen konnten, immer und immer wieder diese Bilder, wo wir wirklich individuell geschaut haben, dass wir Angst lösende Übungen gemeinsam machen, um da einfach ganz akut auch etwas tun zu können, dass man runterkommen kann.

FM4: Auf jeden Fall vielen Dank, dass du dich jetzt zur Verfügung stellst, um Fragen und Sorgen Fragen zu beantworten und vielleicht Sorgen oder Ängste zu bearbeiten, die vielleicht auch viele Hörerinnen und Hörer von uns haben. Uns hat FM4 Hörerin Aleks eine WhatsApp-Sprachnachricht geschickt:

„Ich wollte euch auch ein bisschen erzählen, wie es mir ging gestern. Und zwar ich war selber während der gestrigen Vorfälle sicher zuhause, bekam aber um 21 Uhr einen Anruf von einer Freundin, die in den Kammerspielen arbeitet. Und sie war völlig aufgelöst und hat von Schüssen erzählt, und dass das gesamte Theater mitten in der Vorstellung recht planlos geräumt wurde von der Wega und Polizei und dass alle auf die Straße gescheucht wurden und sie dann mit ihren Kolleginnen am Stephansplatz herumgeirrt ist. Und ich muss sagen, seitdem ich dann erfuhr, dass der Täter vorbestraft war und der Justiz schon bekannt war, ist bei mir die dominierende Emotion einfach nur Wut, Wut, Wut und Verzweiflung. Und zwar nicht einmal auf den Täter selber, weil böse Menschen wird es immer geben. Aber ich bin so traurig, dass die, die uns beschützen sollten, eben Justiz, Polizei, Regierung das offensichtlich nicht können. Und das macht mir ungeheure Angst und Ärger. Ich wollte fragen, wie ich mit dieser Wut und mit diesem Ärger umgehen kann.“

Elke Prochazka von Rat auf Draht

Elke Prochazka

Elke Prochazka ist Klinische und Gesundheitspsychologin in eigener Praxis und seit 19 Jahren bei Rat auf Draht. Dorthin könnt auch ihr euch mit diesen und allen anderen Problemen wenden. Die Telefonnummer: 147.

Elke Prochazka: Diese Wut ist ja absolut verständlich und ist auch eine Kanalisation für all die Gefühle, die da jetzt in uns stecken. Und ich glaube, es ist wichtig, die auch zu formulieren und die auch rauszulassen. Und man kann auch schauen: Wo kann ich das, was dahinter steckt, auch vielleicht deponieren? Wo kann ich das vielelicht formulieren für mich, was ich finde, was da nicht optimal gelaufen ist. Wo kann ich mich vielleicht auch engagieren? Und ich glaube, was uns aber schon noch ein Stück weit vielleicht bewusst sein muss, dass wir natürlich das mitbekommen, wenn etwas schiefläuft und dass wir oft vieles nicht mitbekommen, wo auch im Hintergrund viel verhindert werden kann zu unserem Schutz. Ich glaube, das ist wichtig, da auch hinzuschauen und gleichzeitig aber auch sehr ernsthaft aufmerksam machen, was hier nicht gut gelaufen ist, wo es einfach noch mehr braucht, und das uns als Gesellschaft auch ein Stück weit zu trauen, immer und immer wieder zu fordern.

FM4: Das klingt ja auch, dass man in so einer Situation, der oft hilflos ist, auch ein Stück weit die Selbstermächtigung braucht.

Elke Prochazka: Genau, das ist ganz wichtig. Natürlich diese Hilflosigkeit, die ist mal da, und es ist wichtig, die auch zu spüren und zuzulassen. Aber dann ist eben auch wichtig immer wieder dieser Blick: Wie kann ich jetzt wieder in eine Handlungsfähigkeit reinkommen? Da ist Wut ja auch so ein Gefühl, das uns ein Stück weit hilft, weil Wut einfach sehr viel Energie hat. Und wenn wir die schaffen, umzusetzen in Dinge, die vielleicht auch produktiv was weiterbringen können, dann ist das ein Schritt in einer Verarbeitung.

Auch FM4 Hörer Lukas hat uns via WhatsApp eine Nachricht hinterlassen: „Ich war jetzt grade zum ersten Mal mit meiner Freundin wieder spazieren, also wir haben uns rausgetraut sozusagen. Es war sehr beruhigend muss ich sagen, und schön zu sehen, dass die Leute trotzdem im Park unterwegs sind. Was mich halt belastet ist einfach, dass man so als Einzelperson jetzt nichts wirklich tun kann, so im Nachhinein. Ja, man kann drüber sprechen mit Familie und Freunden, aber man fühlt sich ein bisschen machtlos. Geht’s da noch wem so?“

Elke Prochazka: Es geht uns allen so. Und ich glaube, das ist auch etwas, was uns verbindet, diese Sprachlosigkeit, diese Machtlosigkeit in einem ersten Schritt. Aber gerade, wenn die ganze Welt um uns herum im Chaos ist, ist es so wichtig, auf unsere innere Welt zu schauen. Zu schauen: Wo kann ich jetzt zur Ruhe kommen? Das ist unglaublich wichtig. Wir haben das Gefühl, wir müssen so viel tun. Aber eines der wichtigen Dinge, die wir jetzt tun müssen, ist zu schauen: Wo fühle ich mich jetzt sicher? Wo kann ich jetzt mal für eine Stunde runterkommen? Eine Pause von diesem Wahnsinn, der da abgeht. Was Lukas ja sehr schön beschreibt, er hat ja sehr viel gemacht, er ist rausgegangen, er hat mit seiner Freundin gesprochen, weil das, was am stärksten gegen Terror steht, ist, wenn wir zusammenhalten. Und das ist etwas, was ich nicht „viel tun“ anfühlt, aber unglaublich wichtig ist und unglaublich stark und mächtig.

Manuela hat uns via WhatsApp die folgende Nachricht geschickt: „Hallo, ich habe ein bisschen das Problem, mit gestern fertigzuwerden mit dem Gedanken ‚Was wäre gewesen, wenn unser Stammlokal unter den angegriffenen gewesen wäre?‘ Der Gedanke lässt mich nicht los: ‚Was wäre gewesen, wenn wir doch dort gewesen wären?‘“

Elke Prochazka: Das ist ganz normal, dass Angst einen manchmal nicht mehr loslässt. Manchmal kann es helfen, wirklich ganz banal etwas zu tun. Also sprich anfangen zu putzen, anfangen, irgendetwas zu erzählen, ganz banal, unseren Geist mit etwas Anderem zu beschäftigen. Klingt komisch, kann aber helfen, dieses Mal zu durchbrechen. In diesem Chaos, was da herrscht, können wir als erstes für Ruhe in uns sorgen. Also wirklich zum Beispiel sich mal hinsetzen und schauen ‚Was ist etwas, was mir jetzt Sicherheit bringt?‘ Manchmal ist das: Man setzt sich hin, nimmt seine Knie so und legt den Kopf drauf. Das klingt alles zu banal. Aber wir haben oft Positionen, Gerüche, die uns auch aus der Kindheit ein Gefühl von Sicherheit geben. Und diese Sicherheit ist etwas, das sich unserer Angst entgegenstellt.

Und Angst wird immer befeuert durch Atmung. Das heißt, wenn man schaut, dass man wirklich versucht, ruhig zu atmen. Das klingt alles so einfach, ist aber unglaublich machtvoll gegen Angst. Und am Anfang ist es schwierig, wenn die Gedanken da sind. Aber dann merkt man, wie man runterkommt, wie man sich beruhigt.

Es gibt zum Beispiel auch auf YouTube ganz viele Meditationen, zum Beispiel gegen Angst, wo man sich einfach etwas anhört und wo man dieser Angst dann etwas entgegensetzen kann. Ich glaube, es ist ganz wichtig, uns mit unserer inneren Sicherheit auseinanderzusetzen und durch körperliche Betätigung wieder ganz in den Körper kommen. Also laufen gehen, spazieren gehen an die frische Luft. Wenn das möglich ist.

Eine wichtige Frage ist auch, wie man am besten mit Social Media in so einem Fall umgeht, weil ja dann viele Videos kursieren, oft dann mal auch Falschmeldungen, die dann auch Angst machen. Wie geht man am besten mit den Informationen von Social Media um?

Elke Prochazka: Wichtig ist, dass man sich auf eine oder zwei Quellen fokussiert. Und sich eine vertrauenswürdige Quelle anschaut, wo ohne Emotionen wirklich sachlich kommuniziert wird. Wo ethische Grundsätze gelten, sprich keine Videos gezeigt oder geteilt werden.

Gerade in solchen Situationen ist es wichtig, darauf zu schauen, nur Dinge zu teilen, die für andere Menschen wichtig sein könnten. Zum Beispiel, dass man angibt, wo man die Videos an die Polizei weiterleiten kann. Oder den Aufruf, drinnen zu bleiben. Man sollte nur solche Sachen teilen.

Und wie geht man damit um, wenn man selber so etwas geschickt bekommt von einer Freundin oder einem Freund? Was macht man in dem Fall?

Für sich selber wäre es am besten, sich das gar nicht erst anzuschauen. Vielleicht nachfragen: Warum schickst du mir das? Vielleicht geht es der Person mit dem Gesehenen schlecht, dann kann ich dafür da sein. Aber ich muss mich nicht dieser Angst zusätzlich aussetzen und das anschauen. Was solche Anschläge machen sollen - sie sollen uns Angst machen. Und wenn wir das alles weiter verteilen, wird auch diese Angst mehr. Da können wir etwas dagegen machen. Ich glaube, wir alle brauchen wirklich ganz dringend eine Pause von den Emotionen, von den Informationen. Wir können uns ja nicht tagtäglich den ganzen Tag mit diesen Informationen auseinandersetzen. Das hält keiner von uns durch. Das heißt bewusst überlegen: Wie oft am Tag schaue ich rein und sich da auch stoppen. Wenn man nur mehr in Social Media hängt und nach Nachrichten sucht, dann ist man dieser Spirale mittendrin.

Man braucht also dringend Ruhe, um das aushalten zu können. Wie man mit Freunden umgeht, die da vielleicht schwer rauskommen, wie man sie unterstützen kann, das können wir vielleicht auch gleich besprechen. Jasmin hat uns angerufen. Hallo Jasmin, was ist denn deine Frage oder deine Bitte an die Elke?

"Ich habe halt schon ein bisschen Angst, dass der Anschlag, dass das Gleiche auch in Niederösterreich passiert. Was kann man gegen diese Angst machen?

Elke Prochazka: Das ist völlig natürlich bei uns allen. Was wir wissen ist, dass die Behörden jetzt sehr, sehr viel versuchen werden, um das möglichst zu verhindern. Und ehrlicherweise müssen wir aber auch sagen, dass niemand von uns sicher sein kann, dass das nie wieder passiert. Gleichzeitig ist es aber so, dass man sich ansehen muss, wieviele Tage, wie viele Jahre auch nichts passiert und das für sich, für sein Bewusstsein immer wieder in Erinnerung rufen.

Wir haben das Gefühl, wir wollen die ganze Welt aufräumen. Wir wollen versuchen, das alles in Zukunft zu verhindern, und das ist etwas, was uns überfordert. Das, was Sie aber können, ist zu schauen, dass es uns jetzt gut geht. Zu schauen: Was kann ich heute tun, damit ich mich heute sicher fühlt? Was kann ich morgen tun, damit ich mich morgen sicher fühle? Was wird jetzt alles getan, damit es nicht mehr passiert, das Schritt für Schritt zu machen? Das ist das, was wir schaffen. Das ist das, was wir tun können. Und da müssen wir ehrlich sein mit uns selber und gleichzeitig schauen, was wir jetzt im Kleinen jeden Tag und jede Stunde für uns tun können.

Ich kenne diese Anliegen, wir sind jederzeit da, es melden sich bei uns ganz viele, wo wir einfach drüber sprechen oder wirklich manchmal ganz konkret Übungen machen, um zu schauen: Was passt zu dir? Es ist sehr unterschiedlich, was einem hilft oder womit man sich auch wohlfühlt. Es gibt nicht die eine Übung, sondern wir schauen, was ist etwas, was dir eigentlich sonst auch immer Sicherheit gegeben hat? Wo hast du dich wohlgefühlt? Genau dieses Gefühl brauchen wir alle jetzt ganz dringend. Und da sind wir immer da. Wenn du in der Nacht merkst, die Angst kommt hoch, dann kannst du dich jederzeit melden.

Rat Auf Draht ist unter der Nummer 147, aus ganz Österreich erreichbar und da wirst du immer eine Ansprechperson finden. Und wir wollten jetzt noch klären: Was mache ich, wenn ich jemanden in meinem Umfeld habe, dem es schlecht geht? Es muss ja nicht nur mir schlecht gehen. Es kann ja auch irgendwie den Familienmitgliedern oder Freunden schlecht gehen und vielleicht auch jemandem, der das überspielt und sagt ‚Es ist ja alles okay‘. Aber ich merke irgendwie so: Vielleicht braucht er doch Hilfe. Was kann ich tun?

Elke Prochazka: Das Wichtigste ist da sein und aushalten, dass jeder anders mit der Situation umgeht. Ich kann einfach vorbeikommen und sagen, komm, lass uns jetzt eine Runde spazieren gehen, oder ist es vielleicht ein Mensch, der einen Hund hat? Wir gehen jetzt eine Runde Gassi.

Ich bin einfach da. Man bringt Essen vorbei. Oder wenn es Menschen sind, die einfach immer und immer wieder erzählen wollen, dass man auch das einfach mal aushält und mit ihnen dann gemeinsam nach einer Zeit eine Pause macht und schaut, dass man Musik auflegt zum Beispiel oder auch Schweigen aushält, wenn einfach Sprachlosigkeit da ist. Gemeinsam diese Schwere, die jetzt da ist, einfach auszuhalten und jemanden an seiner Seite zu haben, ist etwas, was unglaublich stützt und dass sich jemand einfach meldet, das kann schon sehr viel helfen.

Und das ist natürlich in Zeiten wie diesen doppelt schwer, wo wir uns jetzt vielleicht körperliche nicht so unterstützen können mit Umarmungen. Aber es gibt ja auch verschiedene Nummern, die ihr wählen könnt, wenn ihr Hilfe braucht oder vielleicht auch mal alleine seid. Das ist der Hinweis 147, das ist die Nummer von Rat auf Draht und der Elke. Du hast mir erzählt, ihr habt auch einen Chat heute, der verstärkt bis 20 Uhr offen ist.

Elke Prochazka: Genau. Auch bei uns im Chat melden sich viele. Wir wissen, viele schreiben einfach lieber, als zu reden.

Und das geht heute noch bis 20 Uhr und auch jeden Tag, diese Woche bis Freitag, jeden Tag von 18 bis 20 Uhr. Vielen herzlichen Dank, Elke, dass du so kurzfristig für uns Zeit gehabt hast am Nachmittag!

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