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Mynth: Von dunkler Elektronik zum strahlenden Pop

Vom live eingespielten Bandalbum über die elektronische Transformation zum großen Popwerk. Der Weg des dritten Albums „Shades | Mynth“ war für das Salzburger Duo ein langer und harter. Aber es hat sich ausgezahlt.

von Andreas Gstettner-Brugger

Es ist einigen Musiker*innen in den letzten Monaten passiert, dass ihre Songs, Alben, Videos oder Titel für die Veröffentlichungen durch die plötzliche Pandemie prophetisch wirkten. Im Fall des Elektro-Pop Duos Mynth war es das Video zur ersten neuen Single „Laurel“. Zwei Wochen vor dem Lockdown haben sie mit Gabriel Hyden in einem Hotel gedreht. Giovanna mimt darin eine Person, die sich eingesperrt fühlt, keinen Kontakt zur Außenwelt zu haben scheint und wirkt, als wäre sie in ihren Träumen verloren.

Entgegen der augenscheinlichen Isolation, die das Video vermittelt, ist „Laurel“ musikalisch ein versöhnlicher, an die 1980er angelehnter, großer Pop-Song geworden.

Giovanna: „Der Song hört sich eigentlich fröhlich an. Uns war generell wichtig bei diesem Album, dass es nicht mehr diese offensichtliche Schwere hat, sondern eine Leichtigkeit. Aber textlich ist es natürlich immer noch ein Kampf - wobei das klingt zu negativ. Es ist ein mit sich selbst Auseinandersetzen, sich selbst begegnen und sich reflektieren. Das ist ja ein fortlaufender Prozess, der auch bei diesem Album eine große Rolle gespielt hat.“

Der verschlungene Pfad in die Traumwelt

Diese Selbstreflexion hat auf vielen unterschiedlichen Ebenen stattgefunden. Das Geschwisterpaar Giovanna und Mario Fartacek sammeln Ideen und Inspiration für die Songs und Texte immer noch oft getrennt voneinander, in der Einsamkeit und Stille.

Album Cover "Shades | Mynth"

Mynth

Das neue Album „Shades | Mynth“ von Mynth erscheint am 6.11. auf Assim Records. Jeder Song ist übrigens einer Grün-Farbschattierung zugeordnet. Daher der Albumtitel.

Ein Prozess, der schon bei den letzten beiden Alben die Arbeitsweise bestimmt hat. Vor allem Giovanna braucht die Abgeschiedenheit, um in die Tiefe ihrer Innenwelt abtauchen zu können und die Gefühle zu erforschen, die dort schlummern.

Das spiegelt auch der neue Sound des Albums „Shades | Mynth“ wider. Denn die zehn Songs erlauben uns, in die verträumte Atmosphäre der Pop-Songs abzutauchen. Nichts wird uns beim Durchhören aus diesem trance-artigen Zustand herausreißen. Wir sind eingebettet in eine reduzierte, weiche Klanglandschaft, die vor allem durch Klangteppiche aus Gitarrensounds und sanfte Rhythmen bestimmt wird. Durch diesen wohligen Strom an Melodien und verhallten Tönen trägt uns die starke Stimme von Giovanna, die uns von Träumen erzählt, uns an ferne Orte führt oder an dem inneren Entwicklungsprozess teilhaben lässt, der von Zweifeln und Erkenntnissen geprägt ist.

In dem Song „Ivy, Meet Me In Your Dreams Tonight“ versuchen Mynth zu vermitteln, dass man die oft bedrückenden Erwartungshaltungen von außen abzuschütteln sollte, um den eigenen Weg zu gehen. Denn unsere Zeit auf diesem Planeten ist begrenzt, wie Giovanna singt: „we just exist for some time...“

Der Weg zu diesem in sich stimmigen, verträumten und gleichzeitig sehr starken Album war lang und hart, wie Giovanna und Mario bestätigen. Denn eigentlich sind die Songs mit den beiden Live-Bandmitgliedern, Schlagzeuger Günther Paulitsch und Bassist Fabian Wintersteller im Studio eingespielt worden. Anfänglich haben Mynth an dem rohen und energiegelandenen Sound großen Gefallen gefunden. Aber nach einer Zeit haben die Zwillingsgeschwister gemerkt, dass etwaS fehlt. In einem zweiten Prozess sind Giovanna und Mario wieder in die elektronische Richtung gegangen und haben die Songs komplett umgebaut. Als diese Versionen eine Zeit lang liegen geblieben sind, haben Mynth für sich erkannt, dass sie weder nur das eine oder das andere sind und haben in einem dritten Schritt versucht, die Welt der Live-Band mit der elektronischen Tüftelei zu verbinden. So finden sich originalen Aufnahmen der Live-Sessions in den Songs, allerdings bearbeitet und etwas entfremdet. An manchen Punkten haben Mynth ihre eigenen Sessions geremixt.

Ein schönes Beispiel für diese Verschmelzung ist das reduzierte, sphärische und berührende Stück „Tulum“, das an eine Sommerliebe in einer mexikanischen Küstenstadt erinnert, wobei reale Erfahrungen und erträumte Erinnerungen der Erzählstimme verschwimmen.

Zurück zu den emotionalen Wurzeln

Das Stück „Tulum“ ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass bei allen Songs von „Shades | Mynth“ die Gitarre und der Gesang die Basis sind.

Giovanna: „Ich war viel mehr im Produktionsprozess eingebunden und wir haben uns viel ausgetauscht. Alleine, dass Mario wieder zu seinem Instrument, der Gitarre zurückgekehrt ist, hat uns viele Möglichkeiten aufgemacht, den Sound zu verändern. Es sind Marios musikalische Wurzeln. Und wo er, so wie ich mit der Stimme, am Besten sein Gefühl ausdrücken kann.“

Dabei sind die Gitarre und ihr Klänge nachträglich oft bearbeitet worden, um breitere Klangwelten zu erschaffen. Manchmal hört man gar nicht heraus, dass die Gitarre die ursprüngliche Tonquelle ist. Bei einem Song wie „Paris“ ist das Saiteninstrument wiederum eher perkussiv eingesetzt worden.

Da die zehn Stücke des neuen Mynth-Albums durch den langen, mühsamen Produktionsprozess sehr reduziert und auf das Wesentliche eingedampft worden sind, hat auch die Stimme mehr Platz und steht im Gegensatz zu den beiden Platten davor viel mehr im Vordergrund.

Portrait Mynth

Patricia Narbon

Mario: „Was für uns oft schräg war, dass bei den Rückmeldungen zu unseren Songs es bisher immer geheißen hat: ‚Die im Sound eingebettete Stimme von Giovanna‘, oder die ‚fragilen Vocals‘ - das war für uns nie so stimmig. Denn eigentlich hat Giovanna alles andere als eine zerbrechliche Stimme. Sie hat vielmehr eine große Stimme, die sowohl sehr tief als auch sehr hoch gehen kann und dabei kräftig klingt. Es war uns wichtig, dass wir bei dem Album der Stimme auch wirklich ihren gebührenden Platz geben.“

Diese Neuerungen, die Hinwendung zum Ursprungswerkzeug, um Emotionen auszudrücken, die Reflexion und Geduld, das Sich-nicht-gleich-Zufriedengeben und Weiterforschen, das Durchhaltevermögen und die Verbundenheit der beiden Geschwister, das alles hat uns ein großes, verträumtes Popalbum beschert, in das man sich nicht nur fallen lassen kann, sondern das einen auch bei all den schwierigen Themen, die es verhandelt, auch umarmt und ermutigt, auf sein Herz zu hören.

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