Neue Musik von Pippa, Diskoromantik, Protestant Work Ethic u.v.m.

Eine Ode an das Scheitern, komplexer Mix aus Prog-Rock und Singer/Songwritertum, Disco-Cloud-Pop über die Schwierigkeiten der Liebe und Rap als innerer Blitzableiter bei emotionalen Gewittern. Das sind die neuesten Singles und Videos aus Österreich.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Nebelige Nachmittage, kalte Luft, die nach Schnee riecht, und das Verschwinden der Sonne schon vor fünf, bieten die perfekte Voraussetzung dafür, sich mit einer Tasse heißen Tees und ein paar Lebkuchen auf die Couch zu pflanzen und Musik zu hören. Wer da musikalische Inspiration braucht, der sollte sich das FM4 Gästezimmer mit unserem Soundpark Act des Monats November, der großartigen Band Sharktank anhören. Das Spektrum ihrer Lieblingssongs reicht dabei vom kitschigem Lovesong über spannenden Rap bis zu Neuer Deutscher Welle.

Wer das gepflegte und spannende Gespräch bevorzugt, sollte sich das Interview mit Giovanna und Mario von Mynth anhören, die mit mir über ihr neues Album „Shades | Mynth“, über ihren einschneidend neuen Sound und über die Erfahrung in einem Schweigekloster geplaudert haben. Zu finden in unserem neuen Podcast FM4 Soundpark im Gespräch. Oder aber ihr switcht einfach durch die neuesten Singles und Videos, die ich hier wieder für euch zusammengestellt habe.

Pippa - „Coco Chanel“

Das „Idiotenparadies“, in das uns die Sängerin und Schauspielerin Pippa auf ihrer neuen Platte entführt, ist glitzernd, vielfältig, lustig, macht nachdenklich und zeichnet ein liebevoll humanistisches Bild von unserer Gesellschaft und vom Innenleben der quirligen Musikerin. Ein Song daraus, die neue Single „Coco Chanel“, enthält so einen wundervollen Satz wie: „Die Erde ist eine Diskokugel und strahlt das Universum an.“ Man müsste meinen, es ist ein perfekter Popsong. Doch weit gefehlt, geht es doch um das Scheitern als Nährboden für Kreativität, für inneres Wachstum und als notwendiger Bestandteil unseres Lebens, so sehr wir uns auch dagegen wehren. Dementsprechend ist „Coco Chanel“ auch live eingespielt und aufgenommen. Ein berührendes, herzöffnendes Lied, wie eine sanfte Umarmung.

Protestant Work Ethic - „Power Move“

Mit „My Idea Of Fun“ veröffentlicht Simon Usaty, der Mastermind von Protestant Work Ethic, sein neues Album, das einen markanten Einschnitt in seiner musikalischen Entwicklung hörbar macht. Waren seine bisherigen Werke noch sehr vom Folk und Indiepop geprägt, so entfaltet „My Idea Of Fun“ vor allem durch die starken Brüche in den Songs, durch die unvorhersehbaren Harmonieänderungen und durch eine unglaubliche Experimentierfreude sein großes Potenzial. Ein geniales, komplexes und zugleich zugängliches Werk, dass sich mit jedem Mal Hören mehr erschließt. Neben Prog-Rock-Anleihen aus den 70er Jahren sind auch noch die Spuren ruhiger Singer/Songwritervorbilder herauszuhören. Der Song „Power Move“ entwickelt durch sein ungewöhnliches, zerklüftetes Arrangement eine unglaubliche Spannung.

Diskoromantik - „Nichts“

Das Label Heiße Luft ist immer für Überraschungen gut, bei denen man nie so ganz weiß, wie ernst es dem Label und ihren Künstler*innen mit den Veröffentlichungen wirklich ist. Die Songs von Diskoromanik pendeln zwischen satirischen Momenten, künstlerischem Humor und eingängigen, manchmal schon massentauglichen Pop-Momenten. Inhaltlich bilden die Songs die Liebe in all ihren Licht- und Schattenseiten ab, wobei „Nichts“ musikalisch zumindest auf der hell strahlenden Seite des Tanzbodens beheimatet ist. Im Gegensatz dazu werden im Text Beschwichtigungsversuche wie ein Mantra der geliebten Person entgegengeschleudert, um zu beteuern, dass da wirklich nichts gewesen ist. Ob wir Diskoromantik da auch wirklich glauben können?

Dacid Go8lin - „It’s Your Birthday (Visual EP)“

Mit ihrem Song „Immigrant“ hat die Künstlerin und Rapperin Duffy Sylejmani alias Dacid Go8lin für Aufsehen gesorgt. In dem horrorartigen Video dazu verarbeitet die in Wien lebende Musikerin ihre Erlebnisse von Krieg und Flucht aus dem Kosovo. Seit 2014 arbeitet die autodidaktische Produzentin an eigenen Hip Hop Tracks. Ihre neue EP „It’s Your Birthday“ ist jetzt als visuelles Gesamtkunstwerk veröffentlicht worden. Die meist langsamen und kunstvollen Bewegungen der Tänzerin Natalia Catanea bieten einen Kontrapunkt zu den oft dunklen Lyrics und Stimmungen. Ein spannendes Werk, für das man sich Zeit nehmen sollte, um in diese Welt einzutauchen.

Nora Mazu - „Volatil“

Mit der Single „Egal“, bei der Nora Mazu ein Duett mit Pippa zum Besten gegeben hat, dürfte die Rapperin wohl ihre Fangemeinde erweitert haben. Auch ihre eigenen Songs bestechen durch clevere und lyrische Texte, schöne Produktionen, geschmackvolle Sounds und erzeugen so ein Kopfkino der besonderen Art. Das neueste Stück „Volatil“ macht ein Gefühl hörbar, das sehr schwer zu fassen ist. Die Flüchtigkeit des Moments, die andauernde Veränderung, der permanente Wechsel verschiedener Phasen des Lebens und die allumfassende Gewissheit, dass es nichts Fixes und Festgeschriebenes gibt auf dieser Welt. Auch die Flüchtigkeit der zwischenmenschlichen Liebe ist Thema. Und gleichzeitig scheint man einen erdenden, festigenden Strom der inneren Sicherheit aus diesem schönen Track herauszuhören. Wie ein „innerer Blitzableiter“, mit dem man laut Nora Mazu besser durch die emotionalen Gewitter des Lebens kommt.

The Fictionplay - „Mirror Mirror“

Irgendwie ist der Indierock der Nuller Jahre noch immer gut anzuhören. Diesen Style mit Pop und mit zeitgeistiger Produktion zu verbinden, das ist The Fictionplay bei ihrer neuen Single „Mirror“ richtig gut gelungen. Inhaltlich halten Fictionplay uns und sich selbst den Spiegel vor und fragen, „Who is the fairest of them all“, frei nach dem Märchen von Schneewittchen. Übersetzt in unsere gegenwärtige Welt sind es wohl die spiegelnden Social-Media-Blasen, von denen umhüllt wir durch die Straßen spazieren. Das Hinterfragen unserer Bubbles mittels energetischer Indierockmusik ist vielleicht ein ganz guter und einfacher Weg, sich mal aus der eigenen Komfortzone herauszutanzen.

Auch noch gut und gut zu wissen

• Das Musikerkollektiv Euroteuro rund um Produzenten Peter T. widmet sich in ihrer neuen Single einer österreichischen Band der 60er Jahre, den Beatniks 62, und covern ihren Song „Natascha“. Eine Sehnsuchtsballade, die auch 2020 Trost spenden kann, wie Peter T. uns verraten hat.

• Kaffee, Musik, schöne Filme, Schokolade - viele Dinge, die wir lieben, kommen mittlerweile direkt aus der Maschine oder weiter gefasst aus dem virtuellen Raum, in dem wir uns verlieren können. Das weiß auch Rapper Alix oder Nix, der sich von seinen Projekten dunkelbunt und Erwin&Edwin verabschiedet hat, um solo weiterzumachen. Die neue Single „Maschine“ überzeugt durch druckvolle Produktion und starken Text.

• Schönen Neo-Soul und Pop haben Euphoniques in ihren neuen Song „Something In Your Smile“ verpackt. Erinnerungen an soulige Talkin’-Loud-Labelveröffentlichungen werden da wach. Wunderschön smoothes Stück!

• Der Grazer Musiker und Produzent Titus Probst liebt es, seine elektronischen Tracks mit schrägen Visuals und schrägem Gesang zu mischen. Zumindest hat er das bei der neuesten Single „Only One“ gemacht. Ein Liebeslied der anderen Art.

• Auch aus Graz stammt die Musikerin und Sängerin RONIA, die auf Seayou Records ihre berührende Debütsingle „Trapped“ veröffentlicht. Aufgenommen in einem 7-Quadratmeter-Zimmer mit einfachen Mitteln, entfaltet dieses kleine Lied eine unglaubliche Magie.

• Clemens Wenger, bekannt von den 5/8erl in Ehr’n, hat sein zweites Soloalbum „Physics Of Beauty“ veröffentlicht. Ein über 30 Tracks starkes Werk, auf dem er mit dem Klavier die verschiedensten Musikstile von Electronica, Ambient Techno bis zu Jazz kunstvoll verarbeitet.

• Am 20. November wird Clara Luzia eine neue EP veröffentlichen. Darauf zu finden Coverversionen von HVOB, Farce und PJ Harvey sowie auch ein neues, eigenes Stück. Wir sind gespannt.

• In der letzten Soundpark-Sendung am Donnerstag habe ich euch gemeinsam mit Giovanna und Mario das neue Album von MYNTH vorgestellt, SK Invitational war frisch aus New York zu Gast, um über die Zeit der Wahlen und der Pandemie in den USA zu berichten, aber auch über sein neues Projekt mit einem bulgarischen Frauenchor.

• Und vergangenen Sonntag hat Stefan Trischler in der Soundpark-Nacht Rapper Antru & Chill-Ill zum Interview gebeten. Skero, Orgis Debris und Yung Hurn verraten uns, wie sie ihre hittigsten Songs geschrieben haben, und es gab eine Menge neue Singles zu hören.