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neunerhaus

Die Gesundheitsversorgung für alle stößt an ihre Grenzen

Die Pandemie trifft obdachlose und nichtversicherte Menschen besonders hart. Institutionen wie das Gesundheitszentrum „neunerhaus“ in Wien bieten medizinische Hilfe für alle an, doch der Bedarf ist so groß, dass die Kapazitäten schon jetzt an ihre Grenzen stoßen.

Von David Riegler

Jeden Morgen um halb 9 in der Früh bildet sich eine Schlange in der Margaretenstraße in Wien, vor dem Gesundheitszentrum „neunerhaus“ bis hinein zur Rezeption. Seit der Pandemie hat sich die Ordination etwas verändert, auf dem Boden sind schwarze Klebestreifen, die für Abstand beim Warten sorgen sollen, die Sessel wurden auseinandergeschoben und ihr Platz ebenfalls mit Klebeband markiert. Unverändert ist das Motto, das über der Rezeption hängt: „du bist wichtig“.

Eingang

Christoph Liebentritt

„Die psychosozialen Belastungen sind gestiegen“

Im Gesundheitszentrum neunerhaus bekommen knapp 40 Patient*innen täglich eine kostenlose Versorgung, auch wenn sie keine Versicherung haben. Zusätzlich dazu kümmert sich ein Team von Sozialarbeiter*innen um die Sorgen und Anliegen der Menschen, die vor allem für obdachlose Menschen deutlich mehr wurden sagt Geschäftsführerin Elisabeth Hammer: „Wir sehen, dass die psychosozialen Belastungen enorm gestiegen sind. Die Menschen hier haben einerseits gesundheitliche Ängste, andererseits auch Ängste was ihr Einkommen, ihre Wohnsituation oder das Aufhalten im Freien betrifft.“

Auch die neuen Ausgangsbeschränkungen in der Nacht sorgen für Unsicherheit bei obdachlosen Menschen, die auf den öffentlichen Raum angewiesen sind. Die Sozialarbeiter*innen machen jetzt vermehrt darauf aufmerksam, wie wichtig es ist in der Nacht einen Schlafplatz zu organisieren, zum Bespiel in der Notschlafstelle, um mögliche Konflikte mit der Polizei zu vermeiden.

Aber es gibt auch viele andere Fragen, bei denen die Sozialarbeiter*innen helfen, denn obdachlose Menschen trifft die Pandemie besonders hart. Es beginnt schon mit der Maske, erzählt Juri, der regelmäßig zum Gesundheitszentrum kommt. Er kennt zwar einen Masken-Automaten, doch jede Maske kostet zwei Euro. Darum kommt er zum „neunerhaus“ um sich hier eine kostenlose Maske zu holen.

Kapazitäten der Grenze

All diese Leistungen hat das Gesundheitszentrum „neunerhaus“ durch die gesamte Pandemie hindurch angeboten, doch mittlerweile sind die Kapazitäten am Limit. Immer mehr Patient*innen kommen hierher, fast 40 Prozent mehr als noch im Vorjahr, und an manchen Tagen müssen Menschen sogar auf den nächsten Tag vertröstet werden. „So einen großen Anstieg gab es noch nie“, sagt Elisabeth Hammer.

Untersuchung

Christoph Liebentritt

Sie erklärt sich die große Nachfrage durch die steigende Armut in Folge der Corona-Krise: „Wir merken hier schon die Auswirkungen der Pandemie im Bezug auf eine gestiegene Zahl von wohnungslosen Personen.“ Es kommen auch vermehrt Menschen zur Beratung, die an der Kippe zur Wohnungslosigkeit sind, weil sie erst vor kurzem ihr Einkommen verloren haben.

Je länger die Pandemie andauert, desto mehr Menschen werden auf Institutionen wie das „neunerhaus“ angewiesen sein, doch es fehlt an finanziellen Mitteln, um die Nachfrage zu decken. Die Finanzierung läuft über Spenden, Mittel des Fonds Soziales Wien und Patient*innen, die eine Versicherung haben, können über die Krankenkasse abgerechnet werden. Die Mittel des Fonds Soziales Wien wurden auch erhöht, doch laut Elisabeth Hammer reicht das nicht aus, um den Rekordanstieg auszugleichen.

Ein Recht auf Gesundheitsversorgung für alle

In diesem Gesundheitszentrum arbeitet man mit angestellten Ärzt*innen, doch es gibt auch viele ähnliche Institutionen, die auf Freiwilligenarbeit aufbauen, was die Sache noch erschwert. Hier im „neunerhaus“ ist man stolz darauf, dass durchgehend geöffnet war, auch zu Beginn der Pandemie, wo viel Unsicherheit herrschte und einige andere Einrichtungen auf Telefonberatung umgestiegen sind oder nur in einem eingeschränkten Zeitraum erreichbar waren.

„Das widerspricht dem Gedanken ein Recht auf Gesundheitsversorgung für alle zu haben. Es kann nicht sein, dass das nur ein nice to have ist.“ Elisabeth Hammer fordert, dass auch armutsgefährdete und obdachlose Menschen uneingeschränkt Zugang zu Gesundheitsversorgung bekommen. Es soll ausreichend Förderung geben, damit man hier niemanden mehr abweisen oder auf den nächsten Tag vertrösten muss, egal wie lang die Schlange jeden Morgen vor dem „neunerhaus“ wird.

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