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VW-Bus parkt am Ufer

CCO

Im Roman „Volkswagen Blues“ bereist man Nordamerika und die Vergangenheit

Der frankokanadische Klassiker von Jacques Poulin aus dem Jahr 1984 ist erstmals auf Deutsch erschienen. Man begleitet darin zwei Reisende, die mit einem VW-Bus quer durch Nordamerika fahren. „Volkswagen Blues“ ist aber nicht nur Reisebericht, sondern auch Ausflug in die Vergangenheit Nordamerikas.

Von Lena Raffetseder

Jack Waterman ist Schriftsteller, gerade vierzig geworden und in einer Sinnkrise: „Es gibt eben Tage, da hat man das Gefühl, alles bricht zusammen… in und um einen. Dann sucht man etwas, um sich festzuhalten.“ Dieses Gefühl veranlasst Jack, nach seinem Bruder Theo zu suchen, von dem er vor 20 Jahren das letzte Lebenszeichen bekommen hat: Eine Postkarte aus Gaspé, einem Ort in Quebec. Hier landete der Franzose Jacques Cartier 1534 erstmals in Nordamerika und deklarierte das Gebiet für den französischen König.

Ein roter VW-Bus auf einer Landstraße

Hanser Verlag

Kanada war in der digitalen Ausgabe der diesjährigen Frankfurter Buchmesse Gastland. Deshalb ist die deutsche Übersetzung von „Volkswagen Blues“ bei Hanser jetzt - 36 Jahre nach der Erstveröffentlichung - erschienen. Aus dem Französischen übersetzt hat Jan Schönherr.

Jack fährt mit seinem VW-Bus nach Gaspé, um Theos Spur aufzunehmen. Unterwegs nimmt er noch eine Tramperin mit, eine Halb-Innu, die aufgrund ihrer langen Beine „Große Heuschrecke“ genannt wird. Gemeinsam mit der belesenen Mechanikerin und ihrem Kater startet Jack die Suche nach seinem Bruder, die ihn anfangs auf der Route der ersten Entdeckungsreisen der Franzosen quer durch Nordamerika führen wird.

Vom kanadischen St. Lorenz Strom bis an die US-Pazifikküste

Jack und die Große Heuschrecke besuchen Bibliotheken und Museen, sammeln in Polizeistationen Informationen, suchen Hinweise an Sehenswürdigkeiten und geben Zeitungsannoncen auf. So folgen sie Theos Spur immer weiter, von Quebec City, über Toronto, Chicago, St. Louis, den Oregon Trail bis nach San Francisco. Der VW-Bus wird auf der Reise nicht nur zum Zuhause, sondern auch zum dritten Protagonisten: „Bis er morgens richtig aufgewärmt war, fuhr er lieber langsam. Unter allen Umständen war es ihm ein Gräuel, über seine Reisegeschwindigkeit von hundert km/h hinausgetrieben zu werden, und der ungeduldige Fahrer, der diese Grenze überschritt, durfte sich auf allerlei Protest gefasst machen.“

Mehrere Monate dauert der Roadtrip von Jack, der Großen Heuschrecke und dem Kater. Natürlich läuft nicht immer alles glatt, unterwegs streikt der Bus, Jack will verzweifelt die Suche aufgeben, an einem Campingplatz verschwindet dann der Kater. Konstanten der Reise sind vor allem die Erzählungen der Großen Heuschrecke. Immer wieder erinnert sie Jack und Lesende an Verbrechen gegen die Ureinwohner*innen Nordamerikas. „Man fängt an, über die Geschichte Amerikas zu lesen, und findet überall Gewalt. Als wäre ganz Amerika nur auf Gewalt aufgebaut“, bemerkt auch Jack. Gezielt steuert die Große Heuschrecke für sie bedeutende Schauplätze an. Etwa das Grab des Häuptlings Thayendanegea im kanadischen Brantford, den Starved Rock State Park in Illinois und Fort Laramie in Wyoming.

Das Grab von Thayendanegea in Brantford, Ontario.

Lena Raffetseder

In Brantford, Ontario ist der Mohawk-Häuptling Thayendanegea begraben. Auch bekannt unter dem Namen Joseph Brant führte er andere Iroquois Nationen im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg an der Seite der Briten an. Nach der Niederlage erhielten sie von den Briten das Land um das heutige Brantford zugesprochen.

Reise durch Nordamerika und die Vergangenheit

Bereits nach knapp 70 Seiten überqueren Jack und die Große Heuschrecke die Grenze zur USA. Damit spielt der „kanadische Kultroman“, wie es vom Verlag heißt, nur kurze Zeit in Kanada. Die Reisenden werden aber laufend auf ihren Akzent und ihre Heimat angesprochen, sie singen französische Chansons und setzen sich eben mit der Vergangenheit auseinander - ihrer eigenen und der ihres Kontinents.

Damit ist „Volkswagen Blues“ von Jacques Poulin nicht nur ein nostalgischer Reisebericht aus den 80ern und die Beschreibung einer ungewöhnlichen Freundschaft, sondern auch streckenweise Aufklärung über die nordamerikanische Geschichte. Tempo verleihen nicht nur die kurzen Kapitel, sondern auch das Rätsel um Theos Aufenthaltsort und die Frage, ob Jack und die Große Heuschrecke am Ende das finden, wonach sie gesucht haben.

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