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Wortlaut 2020, Platz 3: Elisabeth Etz

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Elisabeth Etz: „Stadt Land Fluss“

Elisabeth Etz gewinnt mit einer Coming Of Age-Geschichte eines schwulen Burschens auf dem Land den „gmiatlichen“ Platz 3 bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Von Zita Bereuter

„Ich fühl mich sehr wohl am dritten Platz“, lacht Elisabeth Etz. Bereits 2016 wurde sie Dritte. Natürlich würde sie sich auch über den ersten Platz freuen, aber der würde sie auch stressen. Außerdem könnte sie dann nicht mehr bei Wortlaut teilnehmen. Beim zweiten Platz würde sie sich ärgern, dass sie nicht den ersten erreicht hat und den dritten findet sie „gmiatlich“.

Der Gewinn heuer bedeutet ihr noch mehr eine Bestätigung. „Das war dann beim ersten Mal auch kein Zufall. Da war nicht irgendjemand in der Jury, der gerade einen Aussetzer hatte, und mich gewählt hat…"
So viel darf verraten werden: Die Jury war einhellig begeistert und berührt von "Stadt Land Fluss“. Und so beginnt die Kurzgeschichte:

Ich bin fünfzehn, ich will Friseur werden und ich weiß, dass ich wahnsinnig werde, wenn Louis mich nicht bald küsst.
Fünfzehn geht vorbei.
Friseur an sich wäre auch nicht das Problem. Mein Vater ist Friseur und als Sohn darf man das werden wollen, auch wenns ein schwuler Beruf ist. Mein Vater lebt zwar in Berlin und Berlin ist weit weg, aber hier im Ort können sie sich noch erinnern, dass er Roland heißt, Friseur ist und mich gezeugt hat.
Mit Louis stehe ich vor einem Dilemma. Ich weiß, dass ich ihn ganz ganz dringend küssen muss. Aber ich weiß auch, dass ich nicht gleichzeitig schwul und Friseur werden kann.
Nicht auf dem Land.

Logotype Wortlaut 2020

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„Kontakt“ war 2020 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Über 1.200 Kurzgeschichten wurden eingereicht.
Hier ist die Longlist.
Hier die Shortlist.

Wie ist das, wenn man irgendwo nicht der Norm entspricht, aber trotzdem dort leben möchte? Diese Frage beschäftigt Elisabeth Etz in ihrem Text. „Es wär für den Protagonisten ja einfach, in die Großstadt zu gehen. Dann ist er halt der schwule Friseur in Berlin. Das möchte er aber nicht. Er fühlt sich einfach unheimlich wohl auf dem Land.“

Leute, die nicht den einfachsten Weg gehen, sondern in der Umgebung bleiben, die sie mögen, und sich in dieser einfach umso mehr behaupten müssen, interessieren Elisabeth Etz. Man sucht sich die Umgebung, in der man gerne lebt, ja nicht aus, erklärt sie. Und auch wenn man sich einer gewissen Gruppe zugehörig fühlt, muss man nicht all das mögen, was diese Gruppe angeblich mag. „Zuschreibungen und Klischees sind generell so ein Thema, das mich interessiert in meinem Schreiben. Und wie man die brechen kann.“

„Ich muss in die Großstadt, dort kannst du schwul und Friseur sein und trotzdem lassen sie dich in Ruhe. In Berlin gibt es sicher massenhaft schwule Friseure, auch wenn mein Vater keiner davon ist, im Gegenteil, mit all seinen Liebhaberinnen zählt der sicher für zehn Heten.
Aber in einer Kleinstadt wie unserer musst du dich entscheiden. Entweder du wirst Friseur oder Tänzer oder Flugbegleiter, oder du wirst schwul. Beides geht nicht. Wenn du am Land schwul sein willst, musst du Tischler werden oder Automechaniker, um allen deine Männlichkeit zu beweisen. Wenn du einen schwulen Beruf haben willst, tust du gut daran, so hetero zu sein wie nur möglich. Sonst bist du ein wandelndes Klischee, und egal was du tust oder sagst, die anderen werden immer denken, sie kennen dein wahres Ich besser als du selbst.“

Elisabeth Etz lebt in Wien und schreibt schon seit längerer Zeit kurze und lange Geschichten – die kurzen gewinnen manchmal Preise, die langen werden inzwischen tatsächlich verlegt. Leben kann sie davon ein bisschen, aber besser geht’s mit zusätzlicher Lohnarbeit – sie unterrichtet Deutsch für geflüchtete Menschen und hält Workshops mit Jugendlichen an Schulen. Beides macht sie zum Glück sehr gerne. 2016 gewinnt sie den dritten Platz bei Wortlaut. Elisabetz.at

Elisabeth Etz ist in Wien aufgewachsen, ihre Familie kommt aus einem Bergbauerndorf im Lungau. Dort hat sie als Kind häufig ihre Ferien verbracht und fährt auch nach wie vor gern auf Besuch hin. Vom Landleben habe sie sich die Rosinen herausgepickt, grinst sie. Gelebt hat sie immer in Städten.

Sie unterrichtet Deutsch für geflüchtete Menschen bei der Diakonie und hält Schreibworkshops für Jugendliche an Schulen. Über Sichtbarkeit in der Literatur, darüber, wie sich die Jugendlichen darin repräsentiert fühlen bzw. was eine solche Literatur bieten müsste und was sie gerne lesen würden, sind ihre Inhalte.

Elisabeth Etz schreibt Jugendliteratur im besten Sinn: Fünf Jugendbücher, zwei Bilderbücher und zwei Kinderbücher hat sie bereits veröffentlicht.

Das reizvolle an Jugendliteratur ist für sie, dass so vieles zum ersten Mal passiert: „Man verliebt sich das erste Mal. Man wird das erste Mal verlassen. Man scheitert das erste Mal. Man gewinnt das erste Mal.“ Alles sei noch viel dramatischer und habe eine wahnsinnige Bedeutung. „Man glaubt auch, man kennt die Welt und dann später merkt man, man hat sie nicht gekannt.“

„Ich will aber nicht in die Stadt. Ich mag es hier, wo ich lebe. Mag es, dass man alle paar Meter jemanden trifft, den man kennt und an jeder Straßenecke in ein Gespräch verwickelt wird. Ich mag, dass ich die Milch für den Kaffee vom Bauern hole und die Frühstückseier auch. Ich mag meine Mutter und ich mag Manfred und ich kann mir tatsächlich vorstellen, auf unserem Grundstück noch ein Haus zu bauen und dort zu bleiben bis ich alt bin.
Noch vor einem Jahr dachte ich, dass das bedeutet, dass ich nicht schwul sein kann. Weil ich weiß, dass Schwule laute Partys lieben und Opern und ständig in die Sauna gehen. Deshalb ziehen sie ja auch in die Großstadt.
Noch vor einem Jahr habe ich Julie beim Flaschendrehen geküsst und mir eingeredet, dass ich das gut fand.
Aber inzwischen weiß ich, dass man auch am Land bleiben darf als Schwuler, wenn man so ist wie ich. Wenn man ein Familienmensch ist und Gartenarbeit mag und lieber mit einem Glas Milch mit dem Nachbarn am Zaun steht als mit dem Bier in der Hand an der Bar.
Darf man alles.
Man darf dann bloß nicht Friseur werden.“

Wortlautjury 2020

Die Jury ...

Elisabeth Etz kann sich so überzeugend in die Rolle eines Fünfzehnjährigen denken, dass die Jury davon ausging, der Text sei von einem jungen Burschen geschrieben und ist voll des Lobes: „Ganz nah dran an den Figuren“, „eine luftige, Tagebuchartige Erzählung“, „wurde nicht zu oft korrigiert“, „man gerät in einen Lesefluss, der einen sehr gut reinholt in das Leben eines 15jährigen schwulen Mannes“, „jugendliche Ängste fühlen sich nicht zu schwer an“, „sehr authentisch gewirkt“, „dem Autor aus dem Herzen geschrieben“, „sehr fein und einfühlsam umgesetzt“, „zieht einen in eine berührende Coming Of Age Geschichte vom Land“, "man steigt mit einer guten Laune aus“.

Elisabeth Etz freut sich „unheimlich“ über die Wirkung des Textes. Sie kann sich allerdings nicht vorstellen, dass das autobiographisch sein könnte von jemandem, der da nah dran ist. „Ich glaube, dass man da eine gewisse Distanz braucht, um sich selbst so reflektieren zu können, oder?“
Die Kurzgeschichte sei auch nicht in einem Guss entstanden. „Da steckt sicher mehr Arbeit drin, als man merkt.“ Letztlich sei das aber ein riesiges Kompliment, wenn man das nicht merke.

Schreiben ist Arbeit

Die Gewinner*innen 2020 im Überblick:

Wie sie zu ihren Ideen kommt, kann Elisabeth Etz nicht erklären. „Die sind einfach da. Ich kann bestimmen, was sie tun, aber woher das kommt, kann sie nicht sagen.“ Es gibt nichts, was sie inspiriert. „Wenn ich nichts schreibe, dann fällt mir nichts ein. Wenn ich mich hinsetze und weiß, jetzt hab ich einen Tag. Dann fällt mir auch was ein.“ Sie ist nicht die Person, die herum geht und sich Notizen macht. „Wenn ich nicht schreib, dann hab ich frei vom Schreiben.“ Sie stellt es sich anstrengend vor, wenn man ständig Ideen hat, die man notieren muss. Das wäre dann ja ständige Arbeit. „Eines darf man nicht vergessen: Schreiben ist wunderbar, aber es ist schon auch Arbeit.“

Arbeit, die sich in ihrem Fall lohnt. Derzeit schreibt sie an einem Jugendorman. Eine nächste Idee hat sich auch schon und dann könnte es sein, dass sie nochmal über Luis und Sebastian schreibt, weil sie durchaus auch auf ältere Texte zurückgreift. Aber bis dahin passiert noch viel...

Der Soundtrack zum Text:

  • Danso Key – Flowers
  • Iva Nova - The Witch
  • Katalena - Enci Benci

„Glaubst du, dass verlässliche Menschen keinen Sex haben?“, fragt Louis, als ich ihm davon erzähle, und gleich bereue ich, dass ich von dem Thema angefangen habe. Ich weiß nämlich nicht, ob ich mit Louis über Sex reden will. Besser gesagt, weiß ich, dass ich mit Louis nicht über Sex reden will. Weil mich das nervös macht.
Ich weiß überhaupt nicht, wie ich auf Louis reagieren soll. Vormittags in der Schule läuft er weiterhin alleine herum und tut so, als bräuchte er nichts und niemanden. Aber nachmittags taucht er immer wieder bei mir auf, setzt sich neben mich ins Gras und macht, dass die Härchen auf meinen Armen sich aufstellen. Manchmal schlendern wir gemeinsam zum Fluss und werfen Steine ins Wasser und die Wellen, die sich dort ausbreiten, wo der Stein auf das Wasser schlägt, ziehen ihre Kreise bis in mich hinein. Abends kann ich nicht einschlafen, weil mein ganzer Körper summt und sich anfühlt, als würde er gleich explodieren.“

Wortlaut 2020 - Die besten drei:

Platz 1 - Donnerstag, 19. November
Platz 2 - Mittwoch, 18. November
Platz 3 - Elisabeth Etz

Buchpräsentation und Online Lesung

Die ganze Kurzgeschichte „Stadt Land Fluss“ liest Elisabeth Etz am Freitag, 20. November, bei der Buchpräsentation. Eigentlich hätte die im Literaturhaus Wien stattfinden sollen. Aus bekannten Gründen ist das aber nicht möglich. Stattdessen zeigen wir euch ein prächtiges Video. Mit den Lesungen der besten drei Texte und Überraschungsgästen. Moderation von Zita Bereuter. Das Video wird außerdem auf der Webseite vom Literaturhaus Wien gestreamt und auch von der Tageszeitung Der Standard.

Beginn ist um 19 Uhr und danach könnt ihr daheim feiern!

Elisabeth Etz gewinnt

Der Standard

WERBUNG

Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

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