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Johanna Hieblinger

Radio FM4 / Zita Bereuter

Johanna Hieblinger: „Die Allergie“

Johanna Hieblinger erreicht den zweiten Platz beim FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut.

Von Zita Bereuter

Allergien sind meistens mühsam, führen zu Ausschlägen, geschwollenen Augen und rinnenden Nasen. Johanna Hieblinger kennt das. Sie ist gegen ihren Neoprenanzug allergisch. Das ignoriert sie aber - „Der Ruf des Meeres ist stärker“ meint die Surferin da tapfer.
In seltenen Glücksfällen führt eine Allergie auch zu einem Preis. Johanna Hieblinger hat die ausgezeichnete Kurzgeschichte „Die Allergie“ geschrieben und damit den zweiten Platz bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb gewonnen.

Ob das Katzenhaare seien.
„Bitte?“, frage ich, und der Chef deutet auf mein Jackett: „Alles voller Katzenhaare.“
Ich sehe an mir hinunter und erst jetzt fallen sie mir auf, Ildikos weiße Haare auf dem Karomuster. Ich streife über den Ärmel.
„Bevor ich es vergesse, ich brauche drei Rechnungen“, sagt er, „je Hunderttausend an den Hubinger …“
„Warum drei“, frage ich, „und welche Leistung überhaupt, den Vertrag kenne ich noch nicht.“
Der Chef zieht am Kragen seines Pullovers.
„Das ist ein mündlicher Vertrag“, sagt er und steht auf.
„Ich habe noch ein paar Fragen“, sage ich.
„Ich kriege keine Luft“, sagt der Chef und reißt die Tür des Besprechungsraumes auf.

Johanna Hieblinger
*1981, lebt in Wien. Studierte Betriebswirtschaft und arbeitet als Controllerin in einer gemeinnützigen Organisation. Hat auch privat für alles eine Excel-Liste. In verschiedenen Schreibwerkstätten und AutorInnengruppen aktiv, mag das Feilschen um Worte, das Spritzer-Trinken. Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur. Schreibt an ihrem ersten Roman.

Kontakt

Johanna Hieblinger hat erst mal lange überlegt, bis ihr zum Wortlautthema „Kontakt“ eine Allergie eingefallen ist, „als Kontakt mit schwerwiegenden Folgen“.
Naheliegend - sie selbst hat seit sieben Jahren zwei Katzen und in ihrem Freundeskreis reagieren manche stark allergisch auf Katzenhaare.
Vielleicht liegt es daran, dass sie die Geschichte an einem Wochenende im Lockdown geschrieben und sich nach dem Büro gesehnt hat, Fakt ist jedenfalls: „Ich wollte das Ganze in ein Büro setzen und nicht zuhause spielen lassen.“

Das Büro als Schauplatz fasziniert Johanna Hieblinger: „Im Büro gibt es sehr viele Menschen, die dort zusammengepfercht werden und sich einander nicht unbedingt ausgesucht haben. Und das finde ich ein gutes Setting für Konflikte. Jede Geschichte braucht ja auch Konflikte.“

Der Soundtrack zum Text:

  • Theodor Shitstorm – Rock’n’Roll
  • Ani DiFranco – Manhole
  • Familie Lässig – Kopf im Sand

Der Chef ruft mich zu sich ins Büro, er bietet mir keinen Platz an.
„Dein Auftreten“, sagt er.
„Hat sich jemand über mich beschwert?“
„Die Katzenhaare, das geht nicht“, sagt er und beide schauen wir an mir hinunter, mein Pullover heute weiß und flauschig, genau wie Ildikos Fell.
„Ich habe doch gar keinen Kundenkontakt“, sage ich und ärgere mich, dass mir keine bessere Antwort einfällt.
„Ich bin stark allergisch“, sagt der Chef, „ich kann wohl erwarten, dass du Rücksicht nimmst.“
„Der hat sie doch nicht alle“, sage ich am Sonntag zu Bertram, während der Fernseh-Kommissar die Leiche mit einem Stock anstupst, „ich arbeite seit fünf Jahren dort, und auf einmal ist er allergisch?“
„Vielleicht psychosomatisch“, sagt Bertram, „hast du nicht gesagt, er hat Stress?“
„Bei dir ist immer alles psychosomatisch“, sage ich, „außerdem hat er eben keinen Stress, ich habe den Stress, weil er ein Vollidiot ist.“

Johanna Hieblinger

Radio FM4 / Zita Bereuter

Tatort Schreibakademie

Die Gewinner*innen 2020 im Überblick:

Johanna Hieblinger schaut regelmäßig „Tatort“, würde aber keine gute Kommissarin abgeben, viel zu nett wäre sie zu den Kriminellen. Dabei mag die Controllerin das Genaue und Gelistete - auch privat benützt sie gern Excel-Listen. „Weil Exel wirklich super ist, damit kann man alle Probleme lösen, die sich irgendwie stellen.“
Ein Problem kann aber auch Excel nicht lösen - sie findet nicht immer genügend Zeit zum Schreiben.

„Immer schon“ wollte sie schreiben, hat das aber lange nur halbherzig versucht. Mit knapp 30 hat sie dann eine Schreibwerkstatt an der Volkshochschule besucht und seither schreibt sie. Damals musste sie wöchentlich eine Geschichte schreiben. Mit Deadline. Daraus hat sich schließlich eine Routine entwickelt. Und aus einer längeren Geschichte ist schließlich ein Romanprojekt entstanden.

Der Chef bleibt im Türrahmen stehen und wedelt mit den Hubinger-Rechnungen, die ich ihm am Morgen auf den Schreibtisch gelegt habe.
„Die Rechnungen brauche ich rückdatiert“, sagt er, „April, Mai, Juni.“
„Ich kann nicht rückdatieren“, sage ich, „wie soll ich das machen, die Nummern sind fortlaufend und die Umsatzsteuervoranmeldung ...“
„Manchmal würde ich mir wirklich wünschen, dass du strategischer denkst“, sagt er.
„Die Zentrale sagt, ich darf das nicht“, sage ich.
„Die Zentrale sagt, ich darf das nicht“, äfft er mich nach, wirft die Rechnungen in die Luft und geht. Die Blätter segeln auf den Teppichboden. Ich hebe sie auf und folge ihm in sein Büro. Als er mich sieht, streckt er die Hand aus.
„Stopp! Ich bin stark allergisch“, schreit er.
Ich lege die Rechnungen auf den Küchentisch und kleckse Tipp-Ex auf das heutige Datum. Ildiko springt auf den Tisch und legt sich auf den gefälschten Mai.
„Nicht“, rufe ich und schiebe sie von dem Papier. Haare kleben auf der ausgebesserten Stelle.

Logotype Wortlaut 2020

Radio FM4

„Kontakt“ war 2020 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Über 1.200 Kurzgeschichten wurden eingereicht.
Hier ist die Longlist.
Hier die Shortlist.

Nach wie vor besucht Johanna Hieblinger immer wieder Schreibwerkstätten und sie hat auch die Leondinger Akademie für Literatur absolviert. Mit ehemaligen Mitstudierenden trifft sie sich immer wieder zu Arbeitswochenenden, an denen sie schreiben und sich gegenseitig Feedback geben. Das hat ihr enorm geholfen und war „auch eine Möglichkeit, dem Schreiben mehr Raum zu geben.“

Nicht nur das konsequente Schreiben über acht Monate ist hilfreich, das Kennenlernen von Gleichgesinnten war für sie äußerst motivierend. „Es gibt auch andere, die diesen gleichen Traum haben.“
Mittlerweile hat Johanna Hieblinger in der Arbeit Stunden reduziert, damit sie mehr Zeit zum Schreiben hat. Allerdings erfordert es sehr viel Disziplin, diese frei gewordene Zeit auch wirklich dafür zu nützen. Vorzugsweise schreibt sie in der Früh. Direkt nach dem Aufstehen. Das geht mal besser, mal weniger gut. „Das ist interessant. Es ist eigentlich etwas, was ich sehr gerne mache und was wunderschön ist und trotzdem findet man immer eine Ausrede, warum man es gerade nicht machen kann.“

Montagmittag ist im Freibad nicht viel los. Es ist die letzte Woche vor dem Saisonende und eigentlich schon zu kalt zum Baden, aber den ganzen Sommer über war ich kein einziges Mal im Freibad, denke ich, während der Wind die Seiten meiner Zeitschrift verblättert.
Die Regentropfen wecken mich. In der Umkleidekabine sehe ich die SMS der Sekretärin: ‚der chef liegt im krankenhaus‘
‚was ist passiert?‘ tippe ich mit zitternden Fingern und warte, aber es kommt keine Antwort.

Die Jury

Wortlautjury 2020

„Das Konzept ‚Kontakt‘ wurde ganz anders gedacht“, ‘Kontakt‘ nicht auf Beziehungsebene, sondern auf einer sehr witzigen Ebene“, zeigte sich die Jury beeindruckt. Sehr schnell waren sie sich einig, dass die Geschichte unter die besten drei muss.
„Sehr viele der Texte hatten eine gewisse Schwere und was Rückschauendes. Die Allergie ist ein gutes Gegenstück“, „ein Text, der sehr filmisch geschrieben ist“, „an den richtigen Stellen überrascht“, „sehr angenehm zu lesen“, „dynamisch, dialogisch erzählt“, „wahnsinnig lustig“, „schön irrer Text, der mit großer Leichtigkeit fast filmisch erzählt“, „das kriminelle Protokoll eines potentiellen Verbrechers“, „zu originell, um es nicht auszuzeichnen.“

Also zeichnen wir „Die Allergie“ aus.

Johanna Hieblinger gewinnt

Der Standard

WERBUNG

Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Wortlaut 2020 - Die besten drei:

Platz 1 - Donnerstag, 19. November
Platz 2 - Johanna Hieblinger
Platz 3 - Elisabeth Etz

Buchpräsentation und Online Lesung

Johanna Hieblinger liest die ganze Kurzgeschichte „Die Allergie“ am Freitag, 20. November, bei der Buchpräsentation. Eigentlich hätte die im Literaturhaus Wien stattfinden sollen. Aus bekannten Gründen ist das aber nicht möglich. Stattdessen zeigen wir euch ein prächtiges Video. Mit den Lesungen der besten drei Texte und Überraschungsgästen. Moderation von Zita Bereuter. Das Video wird außerdem auf der Webseite vom Literaturhaus Wien gestreamt und auch von der Tageszeitung Der Standard.

Beginn ist um 19 Uhr und danach könnt ihr daheim feiern!
Johanna Hieblinger wird das mit den Katzen auf dem Schoß anschauen und die Korken knallen lassen.
Gratulation!

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