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Albumcover "Andere"

Glitterhouse Records/Indigo

„Andere“ von All diese Gewalt ist ein dunkles und vielfältiges Gesamtkunstwerk

Max Rieger wurde mit seiner Band Die Nerven bekannt. Unter dem Namen All diese Gewalt spielt er mit der Ästhetik bedeutungsschwangerer Symbolik und der Schlagkraft melancholischer Popmusik. „Andere“ ist ein gewaltiges und überraschend vielfältiges Gesamtkunstwerk.

Von Alica Ouschan

Der Stuttgarter Produzent Max Rieger hat mit seiner Rockband Die Nerven im deutschsprachigen Raum bereits einen kleinen Durchbruch gehabt. Zwei Jahre ist es her, dass das Trio ihr ausgezeichnetes und in Kritiken hochgelobtes Album „Fake“ veröffentlicht und damit erneut frischen Wind in die deutsche Post-Punk Szene gebracht hat. Die Kombination aus expressiv-philosophischen Texten und hartem Noise-Rock hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Max Rieger Portrait

Bettina Theuerkauf

Max Rieger ist Produzent, Gitarrist, Sänger und steckt unter anderem hinter All diese Gewalt.

Ein Musiker mit vielen Gesichern

Durch den Erfolg von Die Nerven sind auch die Nebenaktivitäten der einzelnen Bandmitglieder ins Blickfeld gerückt. Besonders Sänger und Gitarrist Max Rieger ist dabei durch sein vielseitiges Produktionstalent aufgefallen und das, obwohl er laut eigener Aussage keine musikalische Ausbildung hat und nicht einmal Noten lesen kann. Max Rieger hatte zu diesem Zeitpunkt bereits für andere Projekte von vielversprechenden Newcomern wie Drangsal, Mia Morgan oder Ilgen-Nur produziert und die Soundtracks für einige Kurzfilme geliefert.

Unter dem Namen „All diese Gewalt“ hat er ebenfalls bereits eine ganze Reihe an Veröffentlichungen vorzuweisen. „All diese Gewalt“ ist als Gesamtkonzept dunkler, melancholischer, geheimnisvoller und mächtiger als „Die Nerven“ und musikalisch eher dem Darkwave und Indie-Synthpop zuzuordnen, also um einiges experimenteller und elektronischer.

Nachdem Max Rieger im letzten Jahr unter dem Pseudonym „Obstler“ noch ein nordisch klingendes Black-Metal Album rausgehauen hat, vor einigen Monaten ebenfalls ein weiteres Quarantäne-Album und außerdem als Teil eines neuen Bandprojekts Namens „Jauche“ eine Erstveröffentlichung verzeichnen kann, folgt bereits Anfang November diesen Jahres die Fortsetzung seines Soloprojekts, diesmal wieder als All diese Gewalt.

Dunkel, geheimnisvoll, mächtig und melancholisch

Auf dem aktuellen Album „Andere“ spielt Max Rieger mit der Ästhetik bedeutungsschwangerer Symbole und der Schlagkraft melancholischer Popmusik, verzichtet dabei aber auf Metaphern und setzt auf unmissverständliche Klarheit. Schon das Albumcover, auf dem eine Person, deren Gesicht und Körper mit einem blutroten Tuch verhüllt sind, ein Maschinengewehr hält, spiegelt die Wucht des Inhalts wider.

Albumcover "Andere"

Glitterhouse Records/Indigo

Andere ist am 6. November bei Glitterhouse Records erschienen.

Jeder Song ist in Großbuchstaben geschrieben und steht für sich. Gleichzeitig wird auf „Andere“ eine zusammenhängende Geschichte erzählt, die so wenig Sinn macht wie ein Christopher Nolan Film und einen gleichzeitig durch einen allgegenwärtigen, aber unbenennbaren roten Faden, immense Spannung und musikalische Variationen abholt. Zwischen wummernden Soundmauern und experimentellen Popsongs finden sich zerbrechliche Klavier-Balladen, die Musik ist ebenso zugänglich wie abweisend.

Dabei stets omnipräsent im Vordergrund ist die Welle an Emotionen, das faszinierend Rohe und Brachiale, das allen Songs gleichermaßen innewohnt: Trauer, Schmerz, Isolation, Einsamkeit, Aufbruch, Wut. Ob beim Titelsong „ANDERE“, der mit einem langezogenen Aufbau und einer sehnlich erwarteten Explosion besticht, dem gelungen Ausreißer „ERFOLGREICHE LIFE“, der über Social Media und die Leistungsgesellschaft sinniert oder „GRENZEN“, ein Song der ganz und gar für sich spricht.

Ein Anwärter auf das beste Album des Jahres?

Max Rieger hat mit „Andere“ ein gewaltiges und überraschend vielfältiges Gesamtkunstwerk geschaffen. Auch wenn das Projekt All diese Gewalt außerhalb des Kosmos von Nerven-Fans und Musiknerds* bisweilen kaum bemerkt wurde, ist es definitv ein Anwärter auf das beste deutschsprachige Album des Jahres. Max Rieger, der selbstkritisch wie immer mit „Andere“ natürlich extrem unzufrieden ist, würde da wohl widersprechen. Wenn ein schlechtes Album so klingt, steigt die Vorfreude jedoch umso mehr, auf alles, was dieser junge Produzent noch fabrizieren wird.

Für alle, die gerne gegen harte Textmauern laufen und sich dabei in musikalischer Selbstdekonstruktion verlieren wollen und vor allem die, die den perfekten Soundtrack für eine kalte Zeit, geprägt von Isolation suchen, vor allem aber für alle Nerven-Fans, die es gern etwas sanfter und mysteriöser mögen, ist der neueste Streich von All diese Gewalt eine große Empfehlung.

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