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Matthias Gruber

Radio FM4 / ZIta Bereuter

Matthias Gruber ist der Wortlautgewinner 2020

Matthias Gruber gewinnt mit „Hinter dem Mond“ Wortlaut, den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Von Zita Bereuter

„Wortlautgewinner 2020“ - das klingt für Matthias Gruber nach wie vor ziemlich unglaubwürdig. Er hat das zwar gelesen, aber sofort an einen Fehler geglaubt. „Und wenn ich ganz ehrlich sein darf, bin ich mir immer noch nicht sicher, dass nicht spätestens morgen wer kommt und sagt: ‚Das war alles ein Irrtum und es hat wer anderer gewonnen.‘ Da denk ich aber: Jetzt war’s schon mal im Radio, jetzt kann man das wahrscheinlich nicht mehr wirklich zurücknehmen.“

Der Siegertext

„Hinter dem Mond“ von Matthias Gruber in voller Länge.

Dann hier nochmal schwarz auf weiß: Matthias Gruber hat mit „Hinter dem Mond“ Wortlaut, den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb, gewonnen.

Ich stehe in der Küche und lege Münzen auf die Tischplatte. Zweihundert Ein-Euro-Stücke und eine rote aus Plastik mit dem Logo einer Supermarktkette. Als ich fertig bin, rufe ich nach Emma.
„Ich hätte gedacht, dass das mehr sind”, sagt sie beim Eintreten und nimmt einen Schluck aus ihrer Teetasse.
„Trotzdem unrealistisch, dass du die rote erwischt, wenn du einfach so hingreifst”, sage ich.
„Und die willst du jetzt so dem Arzt geben oder was?”
„Dann fahren wir eben vorher noch mal bei der Bank vorbei.”
Ich beginne, die Münzen zurück in den Stoffbeutel zu schieben, in dem normalerweise die Scrabble-Buchstaben liegen.
„Willst du ziehen?”, sage ich und schüttle. Im Beutel beginnt es zu klimpern.
„Lass das. Das bringt Unglück.”

Ans Glück glauben

Matthias Gruber wirft weder Münzen noch zieht er sie. An Glück oder Unglück glaubt er allerdings schon. „Wenn man es bei grün noch über die Ampel schafft, dann passiert das oder das. Doch. An so Sachen glaub ich schon ganz fest. Sicher.“ Er lacht. Tatsächlich hat er zum Interview eine Art zufälligen Glücksbringer mit dabei. Im Zug habe er gemerkt, dass er etwas dabei hat, was er eigentlicht gar nicht braucht. Ein kleiner Fuchs, den seine Frau vor ein paar Jahren gestickt hat. Er hat keine Ahnung, wie der Fuchs in seinen Rucksack gekommen ist, aber er habe sich gefreut und gedacht: „Das zählt heute als Glücksbringer.“

Matthias Gruber

Radio FM4 / ZIta Bereuter

Gemeinsam mit seiner Frau und ein paar anderen betreibt Matthias Gruber das junge Stadtmagazin Fräulein Flora. Vor ein paar Jahren haben sie das als Hobby begonnen, mittlerweile machen sie es hauptberuflich. „Was sehr schön ist, immer noch.“ Dort produziert Matthias Gruber Videos und Podcasts und führt Interviews, in erster Linie aber schreibt er. So, wie seine Frau. Die hat ihm nach dem Wortlautstart im April erklärt, dass sie heuer wieder mal am Wettbewerb teilnehmen wolle und ihn dazu überredet, doch auch etwas zu schreiben. Matthias kam das etwas ungelegen, hatte er doch wenige Wochen zuvor mit einem längeren Schreibprojekt begonnen. Dennoch, schließlich haben beide was eingeschickt und beide sind unter den Großen Zehn - beide sind im Wortlautbuch vertreten. „Jetzt freut es mich doppelt. Einerseits, dass ich gewonnen habe, zum andern, dass wir uns die Freude teilen dürfen. Das ist echt, echt, echt cool!“

Der Soundtrack zum Text:

  • The National: About Today
  • Amanda Palmer: A Mother’s Confession
  • Nino aus Wien: Es geht immer ums Vollenden

Als ich aufstehe, sitzt Emma schon in der Küche und stochert in ihrem Müsli herum. Ich öffne den Schrank, um eine Kaffeetasse herauszunehmen, aber es ist keine mehr da. Emma nickt Richtung Abwasch, in der sich das dreckige Geschirr stapelt. Wir haben nicht so viele Gemeinsamkeiten, dass es uns als Paar unsympathisch machen würde, aber wir teilen die Fähigkeit, eine dreckige Küche zu ertragen. Ich frage Emma, was das für Leute sind, die immer gleich nach dem Abendessen abwaschen und stierle mit den Fingern Salatblätter vom Boden des Spülbeckens, damit das braune Wasser abfließt.
„Leute wie unsere Eltern zum Beispiel”, sagt sie und beobachtet, wie ich mir die nassen Hände an der Jogginghose abwische. Ich befreie eine Tasse und den kleinen Kochtopf aus dem Geschirrturm, spüle beides ab und zünde das Gas an. „Immerhin mach ich mittlerweile die Milch für den Kaffee warm, das ist ja auch schon was”, sage ich und fülle eine Handbreit in den Topf. Es zischt, als die Milch das heiße Metall berührt.
„Scheiß Snob”, sagt Emma.

Biographische Anker

Matthias Gruber schreibt nie über etwas, was er direkt erlebt hat, aber oft haben seine Inhalte einen biographischen Anker.

Matthias Gruber

Radio FM4 / ZIta Bereuter

Matthias Gruber hat Theaterwissenschaft studiert, als man in der Uni noch rauchen durfte und macht seitdem immer irgendwas mit Medien. Vieles hat er dann auch wieder gelassen, aber das Schreiben ist ihm geblieben. Aktuell verbringt er seine Nachmittage auf Kinderspielplätzen und seine Abende mit der Arbeit am ersten Roman.

Im Vorjahr haben seine Frau und Matthias ihr erstes Kind bekommen und sind dabei in die Welt der Pränataldiagnostik eingetaucht. Da geht es um Methoden, wie man möglichst viel über den Gesundheitszustand eines ungeborenen Kindes herausfinden kann. Sie hätten damals nur das Notwendigste gemacht, erzählt Matthias. Aber er hat enormen Druck mitbekommen, der da teilweise auf Leuten lastet. Einerseits wisse man sehr viel über dieses ungeborene Kind. Andererseits stehe man letztlich alleine da und wisse nicht, was man mit den Ergebnissen tun solle. Häufig kommt es dann zur sogenannten selektiven Abtreibung.

Matthias hat recherchiert, die Belastung vieler Eltern gesehen und auch die Worte des Frauenarztes seiner Frau sind ihm in Erinnerung geblieben: „Wenn die Ultraschallgeräte jetzt dann noch besser werden, gibt’s bald keine glücklichen Schwangeren mehr.“ Das hat ihn damals bewegt. Als er das Wortlautthema „Kontakt“ gehört hat, war ihm sofort klar, worüber er schreiben würde: Er wollte zwei junge Menschen in diese Situation schicken.

„Hab ich nicht mehr. Bienenstich oder Apfelstrudel“, sagt die Kellnerin knapp.
„Topfenstrudel?”, fragt Emma. Ich weiß, dass sie das absichtlich tut. Wenn man ihr Druck macht, stellt sie auf stur.
Die Kellnerin klopft mit dem Stift ungeduldig auf ihren Block. „Bienenstich oder Apfelstrudel”, wiederholt sie, diesmal ohne Fragezeichen.
„Es sind nur Wahrscheinlichkeiten. Das muss erst einmal gar nichts heißen”, sage ich.
„Eh. Aber es kann.” Emma sticht mit der Gabel ein Stück vom Strudel und balanciert es vor ihrem Gesicht. „Das Ganze nervt mich jetzt schon. Vor zwei Monaten wollten wir nicht mal Kinder und jetzt können wir übers Abtreiben nachdenken”, sagt sie und schiebt den Strudel in den Mund. Am Nebentisch bestellt eine Pensionistin viel zu laut Eier im Glas.
„Ich glaube, ich würde es schon kriegen wollen”, sage ich und greife nach Emmas Hand.
„Du kriegst es aber nicht. Ich krieg es”, sagt Emma und schneidet einmal mit der Kreissäge durch die Tischmitte.

Logotype Wortlaut 2020

Radio FM4

„Kontakt“ war 2020 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Über 1.200 Kurzgeschichten wurden eingereicht.
Hier ist die Longlist.
Hier die Shortlist.

Die Leichtigkeite der Sprache schiebt Matthias Gruber den Protagonisten zu. „Ich mag die einfach. Das sind Leute, mit denen ich gern privat Zeit verbringen würde, mit denen ich gern befreundet wäre.“ Insofern hat er gern an diesem Text geschrieben und komme auch der Humor sehr natürlich.

Etwas schwierig ist die Schreibzeit. Denn wenn er auf einige Stunden am Stück und eine ruhige Umgebung warten würde, könnte er gar nicht mehr schreiben. Matthias hat ein kleines Kind, einen Job, den er gerne macht und nur wenige Stunden am Abend, an denen er schreiben kann. Also hat er sich angewöhnt, jede freie Minute zu nutzen und im Bus oder bei Spaziergängen Notizen zu machen. Die erste Version von „Hinter dem Mond“ hat er bei einem Spaziergang entlang der Salzach ins Handy getippt.
Danach dann einige Wochen abends am Text gefeilt. Schreiben ist nichts, was Matthias Gruber nur leicht fällt. „Ich plag mich da oft. Es ist oft sehr herausfordernd und anstrengend.“ In solchen Stunden hört er gern den Nino aus Wien mit „Es geht immer ums Vollenden.“

„Neulich habe ich eine Doku gesehen über die Mondlandung.”
„So was schaust du?”, fragt Emma, aber ich erzähle einfach weiter.
„Da gab es die beiden Astronauten, die gelandet sind. Und dann war da noch ein dritter, den immer alle vergessen. Jedenfalls ist der, während die beiden anderen am Mond waren, einmal rundherum geflogen, um sie danach wieder abzuholen. Und auf der Rückseite vom Mond gab es nichts. Kein Funksignal, keinen Kontakt. Nichts. Er war ganz alleine im Weltraum. Der einsamste Mensch des Universums haben sie ihn in dieser Doku genannt. Aber wenn er nicht zurückgekommen wäre, dann wären die anderen beiden am Mond verloren gewesen.”
„Stimmt”, sagt Emma leise, obwohl das als Antwort eigentlich gar nicht passt. Vielleicht ist sie auch schon eingeschlafen. Aber dann sagt sie viel später doch noch etwas.
„Mich würde das freuen.”
„Was?”
„Na, wenn ich ganz alleine bin und auf der anderen Seite des Mondes warten zwei sehnsüchtig darauf, dass ich bald komme."
„Ich glaube, die haben sich nicht gefreut. Die hatten einfach eine Scheißangst”, sage ich.
„Vielleicht beides”, sagt Emma.

Die Jury war berührt und schnell überzeugt

Dieses titelgebende Bild „Hinter dem Mond“ berührt nicht nur die Jury, sondern auch Matthias Gruber. „Das ist auch meine Lieblingsstelle in dem Text. Jedes Mal, wenn ich die lese, geht die mir auch sehr nahe.“

Wortlautjury 2020

Die Jury dazu: „Der Text behandelt ein modernes Tabuthema, das viele junge Eltern diskutieren.“ „Es geht thematisch um selektive Abtreibung. Hier geht der Autor offensiv damit um und exerziert das ganz schön an der Serie an Wahrscheinlichkeiten durch“; „es geht um Einsamkeit, es geht um Angst, um Hoffnung“; „es behandelt dieses Thema mit einer Leichtigkeit und einem Witz“; „über die Traumsequenzen sehr klug am Ende gelöst“; „das sprachliche Können überzeugt“; „das ist die dunkle Seite des Mondes, die immer da ist und die wir nicht sehen“; „und das alles, ohne dass ein Wort zu viel verloren wird. Und genau das macht einen guten Text aus.“

Matthias Gruber gewinnt

Der Standard

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Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Wortlaut 2020 - Die besten drei:

Platz 1 - Matthias Gruber
Platz 2 - Johanna Hieblinger
Platz 3 - Elisabeth Etz

Buchpräsentation und Online-Lesung

Matthias Gruber liest die ganze Kurzgeschichte „Hinter dem Mond“ am Freitag, 20. November, bei der Buchpräsentation. Eigentlich hätte die im Literaturhaus Wien stattfinden sollen. Aus bekannten Gründen ist das aber nicht möglich. Stattdessen zeigen wir euch ein prächtiges Video. Mit den Lesungen der besten drei Texte und Überraschungsgästen. Moderation von Zita Bereuter. Das Video wird außerdem auf der Webseite vom Literaturhaus Wien gestreamt und auch von der Tageszeitung Der Standard.

Beginn ist um 19 Uhr und danach könnt ihr daheim feiern! Matthias Gruber befürchtet: „Wahrscheinlich schaut meine Frau zu und ich versteck mich irgendwo, weil ich mir nicht zuschauen kann.“

Wir schauen gerne zu und wünschen uns, dass er seinen ersten Roman, von dem die erste Fassung schon fertig ist, im Literaturhaus vorstellen wird.
Gratulation!

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