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Eminem vor den MTV Awards 2001

HECTOR MATA / AFP

20 Jahre „Stan“ von Eminem

Eminems berühmtester Song feiert Geburtstag. Praktisch, dass es dazu jetzt auch ein schlaues Büchlein von Antonia Baum gibt.

Von Martin Pieper

Seit einigen Jahren ist „Stan“ ein Synonym für einen obsessiven Fan. Insbesondere auf Social Media können die „Stans“ von Taylor Swift, BTS oder Beyoncé eine echte Macht entwickeln. Der originale Stan, vielleicht auch eine Mischform aus Stalker und Fan, wurde von Eminem erfunden. Sein gleichnamiger Song mit dem markanten Dido-Sample war die dritte Single des „Marshall Mathers“-Albums und wahrscheinlich der Höhepunkt der frühen Eminem-Jahre. Eminem war damals, Anfang der 2000er-Jahre der dunkle Fürst des Hip-Hops, moralzersetzend, jugendgefährdend, misogyn, homophob und noch dazu ein weißer Rapper, der sich als Protegé von Dr. Dre auch den Respekt der Hip-Hop Szene erobert hatte. Außerdem war (und ist) Eminem extrem erfolgreich. Wenn man sich Charts-Statistiken und Plattenverkäufe ansieht, ist er sogar der erfolgreichste Rapper aller Zeiten.

Die in „Stan“ beschriebene Schauergeschichte wird in Briefen erzählt, die ein obsessiver Fan von Slim Shady an sein Idol schreibt. Eine unerwiderte Liebe sozusagen, die im Selbstmord und Mord endet, immer wieder konterkariert von dem sanft schwermütigen Refrain, den Dido, eine damals noch recht unbekannte britische Musikerin, via Sample beisteuerte und „Stan“ auch letztendlich das notwendige Mainstream-Airplay verschaffte. Eminem führte mit „Stan“ sein künstlerisches Roleplaying zu einem Höhepunkt. Der Hauptprotagonist des Songs ist Stan, der obsessive Fan seines Alter Egos Slim Shady, Eminems clownesk übersteigerter Bösewicht voller Gewaltphantasien und Frauenhass. In der letzten Strophe rappt/schreibt Eminem als Eminem einige aufmunternde und einfühlsame Worte an dieses verstörende Fangegenüber, der Slim Shady bleibt im Schrank. Sigmund Freud hätte seinen Spaß dabei, das Über- und Ober- und Unter-Ich auseinander zu dröseln. Die Rolle der bösen Mutter in Eminems Lyrics haben wir da noch gar nicht besprochen.

Stan wurde übrigens nicht von Dr. Dre sondern von Mark The 45 King produziert, eine weniger bekannte Producerlegende des 90er-Jahre-Hip-Hop.

Stan hat Eminem auf die respektablen Bühnen des amerikanischen Entertainment-Business gebracht. Bei seinem Auftritt bei den Golden Globes singt Elton John den Refrain am Klavier. All die faggots und anderen gay slurs aus den Eminem-Songs werden damit ganz offiziell „genehmigt“ und für akzeptabel erklärt. Die Skills des Rappers und die verschachtelte Rollenprosa bieten genügend Möglichkeiten, Eminem als popmusikalisches Phänomen zu genießen, auch das Feuilleton liegt ihm zeitweise zu Füßen. Die Pet Shop Boys widmen Eminem einen Song namens „The Night I Fell in Love“. Darin hat ein schwuler junger Fan einen One Night Stand mit einem nicht näher benannten Rapper. Der fragt: „Hey man, your name isn’t Stan, is it? We should be together!“ Die Antwort von Eminem folgt im Diss-Track „Canibitch“, in dem Eminem und Dr. Dre die Pet Shop Boys mit dem Auto überfahren. „[Crash Geräusch] - What was that? The Pet Shop Boys“.

Auch Rapper der nachfolgenden Generationen haben sich an „Stan“ abgearbeitet. Zu erwähnen wäre Lil‘ Wayne, der in „Dear Anne – Stan Pt.2“ seine Version des „Brief-Raps“ zum Besten gibt.

Cover von "Antonia Baum über Eminem"

KIWI Musikbibliothek

„Antonia Baum über Eminem“ ist ein in der KiWi Musikbibliothek erschienen. Weitere Neuzugänge dieser Reihe: Chilly Gonzales über Enya (!) und Markus Kavka über Depeche Mode.

Jetzt hat Antonia Baum ein kleines feines Büchlein über Eminem geschrieben. Das gleichnamige Buch ist in der schönen Reihe „Musikbibliothek“ des KiWi Verlags erschienen und beschäftigt sich in einem langen Essay mit ihrer Faszination für Eminem, der sie beim Aufwachsen in Deutschland begleitet hat. Antonia Baum ist Autorin („Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren“) und Journalistin (Die Zeit/FAZ). Wie ihr Anspruch, Feministin zu sein, mit den misogynen Texten von Eminem zusammengeht, das argumentiert sie selbstkritisch, differenziert und unterhaltsam. Eminems erste Erfolge sind noch ohne die Omnipräsenz von Social Media entstanden. Die Gestaltung seiner Skandale und Schock-Values war noch ihm selbst überlassen, die Rückkanäle liefen noch gefiltert über die traditionellen Medien.

Wenn man Stan in dem Video einen Brief (in Handschrift!) an das „Eminem-Fan Service“ schreiben sieht, ist das aus heutiger Sicht pure Nostalgie. Antonia Baums Blick auf ihr eigenes Fantum wird allerdings nie nostalgisch. Das unterscheidet ihren Essay auch wohltuend von den üblichen Jungs/Männer Pop- und Fanbiografien, die fast immer vom Glanz der eigenen Vergangenheit handeln. Sie nimmt Eminem als Autor ernst, rechnet gnadenlos mit seinem Spätwerk ab und hat gute Antworten auf die ewige Frage, warum gerade Mittelschichts-Kids so gerne reinkippen in die ferne und fremde Welt der Unterprivilegierten und die „Realness des Struggle“. Eminems anderer Klassiker „Lose Yourself“ enthält die Zeile “You only get one shot, do not miss your chance to blow. This opportunity comes once in a lifetime”. Damit konnte man sich auch prächtig auf die mündliche Matura vorbereiten.

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