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Sevdaliza

Sevdaliza

Nachtfarbener R’n’B von Sevdaliza

Die niederländisch-iranische Musikerin Sevdaliza posiert auf dem Cover ihres neuen Albums mit einem blauen Auge. Auch der Titel der Platte definiert die inhaltliche Stoßrichtung: „Shabrang“. Das heißt auf Farsi, der Muttersprache von Sevdaliza, „nachtfarben“.

Von David Pfister

Googoosh ist eine der berühmtesten Sängerinnen und Schauspielerinnen des Nahen Ostens und eine Ikone der persischen Popkultur. Persien war bis zur iranischen Revolution so etwas wie das San Francisco des orientalischen Raums. Eine Hochburg psychedelischer Popkultur und alternativer Lebensentwürfe. Geherrscht hat damals der Schah von Persien. Da der aber nicht zimperlich war und jegliche Opposition im Land unterdrückte, kam es zur sogenannten Revolution von 1979, dem Sturz des Schahs und zur Gründung der islamischen Republik Iran.

Googoosh wurde es untersagt aufzutreten, ihre Musik wurde verboten. Zunächst versuchte Googoosh, sich den Lebensbedingungen anzupassen, inzwischen lebt sie in den USA, wo sie ihre Karriere fortsetzte. Ihr bitterzartes Liebeslied „Gole Bi Goldoon“ wurde zur Hymne der aus dem Iran geflüchteten Perser und Perserinnen. Darunter auch die Eltern der Musikerin, die wir uns nun genauer ansehen wollen: Sevdaliza. Sevdaliza covert auf ihrem neuen, zweiten Album dieses Lied „Gole Bi Goldoon“. Sevdaliza verhandelt die großen Themen: Identität, Liebe, Wahrhaftigkeit.

Sevdaliza "Shabrang" Cover

Sevdaliza

„Shabrang“ von Sevdaliza ist am 28.8.2020 bei Butler Records erschienen

Sevda Alizadeh stammt aus einer Künstlerfamilie, die Anfang der Neunziger aus der iranischen Hauptstadt in das niederländische Rotterdam flüchtete. Als Jugendliche spielte sie Basketball, erhielt ein Sport-Stipendium und war auf dem besten Weg, eine professionelle Sportlerin zu werden. Dieses Ziel musste sie aufgrund einer Verletzung aber wieder aufgeben und so begann die junge Frau, Kommunikationswissenschaften zu studieren.

Erst mit Mitte Zwanzig wird Musik für Sevdaliza eine ernsthafte Option. Im Berufszweig Popstar ist zwar alles möglich, aber meistens starten Pop-Karrieren bedeutend früher. Aber genauso wie ihr Lebensweg ist dann auch die Musik, die Sevdaliza macht, von einer universellen Autonomie bestimmt.

2017 veröffentlicht Sevdaliza ihr Debütalbum „Ison“. Experimenteller Elektro-Pop, R’n’B, Elemente aus der dissonanten Klassik und traditionelle persische Musik. Eine bemerkenswert souveräne, ernsthafte Produktion. Eine Musik, die nicht nur einen angenehmen, mystischen Nebel erschaffen will, sondern der es um Transzendenz um jeden Preis geht. In dem verbissenen Streben der ersten Platte lag aber auch eine kleine Schwäche. Sevdaliza kocht auf ihrer neuen Platte zwar nach demselben Rezept, lässt die Zügel aber ein wenig locker, ist entspannter und schafft dadurch ein Meisterwerk.

Sevdaliza

Sevdaliza

Schon auf ihrem Debüt-Album gab es Momente, die in Ansätzen an Indie-Pop-Volkstümlichkeit aus den Neunzigern wie Nirvana oder Portishead erinnerten. Dieses Salz verwendet Sevdaliza in ihren neuen Nummern nun ein wenig großzügiger. Mit der Betonung von Kurt Cobain-Melodien sind wir zwar noch immer lange nicht bei einer Springbreak-Party, aber die zunehmende Indie-Pop-Diktion lässt die artifizielle Dramatik von Sevdaliza nun besser atmen.

Sevdalizas neues Album „Shabrang“ ist aber nicht nur ein großes dramatisches Schnappen nach Transzendenz. Es ist auch eine enorm politische Platte, wie man sie lange nicht mehr gehört hat. Der USA/Iran-Konflikt, Rassismus, Exotismus oder Gewalt sind die sehr weltlichen Themen, an denen sich Sevdaliza ebenfalls abarbeitet. Und auch hier werden beklommen machende Momente durch populistische Elemente wie etwa ein waidwundes Autotune abgefedert bzw. unterstrichen. Vollkommene Popmusik für das Jahr, an dem an der Zivilisation gekratzt wurde.

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