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JOHN THYS / POOL / AFP

Kommt die Verknüpfung von EU-Budget und Rechtsstaatlichkeit?

Im Sommer wurde mühsam das neue EU-Budget ausverhandelt, ohne die so wesentliche Frage, ob und wie das Budget mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit verknüpft werden sollte, im Detail abzuklären. Das rächt sich jetzt. Polen und Ungarn blockieren den Budgetbeschluss. Vorwürfe der Erpressung kommen von beiden Seiten. Wie kommt man da wieder raus?

Von Florian Bayer

„Unerträglich, inakzeptabel und uneuropäisch“, nennt Othmar Karas (ÖVP), einer von 14 Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, die Blockade des neuen EU-Budgets durch Polen und Ungarn. Von „Mini-Trumps“ spricht er gar mit Blick auf Jarosław Kaczyński und Viktor Orbán, die „starken Männer“ der beiden Staaten. Im Zentrum des Budgetstreits steht die Frage: Wie soll die EU mit Ländern umgehen, die die Rechtsstaatlichkeit, eine der Grundfesten der Union, mit Füßen treten?

Seit Jahren beschneidet die polnische Regierung die unabhängige Justiz, seit Jahren unterwandert Orbán die ungarischen Institutionen und zerstört die Medienfreiheit. Die bisherigen Maßnahmen der EU blieben zahn- und wirkungslos, für viele Sanktionen braucht es schließlich Einstimmigkeit.

Im Juli haben sich die 27 Regierungschefs auf den 1,8 Billionen Euro schweren EU-Haushalt für 2021-2027 geeinigt, inklusive 750 Milliarden an Corona-Hilfsgeldern. Erstmals haben sie die Ausschüttung der Gelder an die Rechtsstaatlichkeit geknüpft, wenngleich diese Bedingung noch nicht im Detail ausformuliert wurde. Das rächt sich jetzt, denn allerspätestens mit Jahreswechsel sollte das neue Budget stehen. Ein per Videokonferenz abgehaltener EU-Gipfel von letzter Woche brachte keine Einigung.

Kommt der Polexit?

„Polen und Ungarn setzen aus nationalem Egoismus das gemeinsame Europa aufs Spiel“, sagt Renata Mienkowska, Politikwissenschaftlerin an der Universität Warschau. Dabei sei völlig klar, dass das von Corona hart getroffene Polen die Pandemie ohne finanzielle Unterstützung nicht bewältigen werden könne.

Anfänglich rechnete Mienkowska damit, dass die harte Position der polnischen Regierung nur Verhandlungstaktik sei, mittlerweile zweifelt sie daran. Von einer „Erpressung Polens durch die EU“ war die Rede in der polnischen Regierung, auch von einer „Neokolonialisierung“. Regierungsnahe Magazine titeln mit einem Duell zwischen Kaczyński und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, darüber droht der Titel: „Veto oder Tod“. In anderen Wochenzeitschriften wird offen mit einem Polexit, also einem EU-Austritt Polens, kokettiert. So ähnlich begannen auch die Kampagnen vor dem EU-Referendum in Großbritannien, das schließlich zum Brexit führte.

„Kaczyński macht sich nichts aus Europa. Sollte er mit seiner Forderung scheitern und Polen künftig weniger Geld erhalten, könnte er es auf einen EU-Austritt anlegen“, sagt Mienkowska. Zwar sind die Polen mehrheitlich EU-Befürworter, doch könne antieuropäische Stimmungsmache durchaus zu einer Mehrheit für einen Austritt führen. Schon jetzt unterstützen 57 Prozent das Budget-Veto der polnischen Regierung, wie Umfragen zeigen. Führende Politiker meinen, Polen sei auf das Geld aus Brüssel gar nicht angewiesen, wiewohl Polen tatsächlich einen Gutteil seiner großzügig ausgeweiteten Sozialpolitik mit EU-Geldern finanziert.

Durchaus wahrscheinlich ist es laut Mienkowska, dass die polnische Führung auf Zeit spielt. Kommt es bis Jahresende zu keiner Einigung, wird die bisherige Verteilung der Gelder verlängert – nicht zum Nachteil Polens, das aktuell mit mehr als 12 Milliarden Euro pro Jahr mehr als alle anderen Staaten aus EU-Töpfen erhält. Mit Anfang 2021 wandert die EU-Ratspräsidentschaft von Deutschland an Portugal, das auf eine rasche Auszahlung der Corona-Hilfsgelder angewiesen ist und zu größeren Zugeständnissen als Angela Merkel bereit sein könnte.

Ungarn braucht die EU-Gelder dringend

Auch Ungarn wettert gegen den geplanten Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit. „Wir haben die EU nicht erschaffen, um am Ende in einer zweiten Sowjetunion zu leben“, sagte Ministerpräsident Viktor Orbán. Für ihn geht es um viel, denn schon jetzt erhält Ungarn 4,33 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts aus Brüssel, relativ gesehen mehr als alle anderen Staaten. Aus diesem Grund gebe es eine gewisse Kompromissbereitschaft, sagt der Budapester Politikwissenschaftler András Schweitzer. „Auch wenn er es nicht zugibt: Orbán braucht das Geld dringend und wird alles tun, um es zu bekommen.“ Nachdem die EU in der Vergangenheit „flexibel“ in der Frage der Rechtsstaatlichkeit war, könne es auch diesmal eine Einigung geben. Wie diese aber aussehen könnte? „Ich weiß es beim besten Willen nicht“, sagt Schweitzer.

Im „extrem unwahrscheinlichen Fall“, dass Ungarn vom neuen EU-Budget komplett ausgeklammert werden sollte, könnte Orbán das Land aus der EU führen, sagt der Politikwissenschaftler. Dann würde Orbán wohl die Nähe zu seinem Verbündeten Russland oder auch China suchen. Wahrscheinlicher aber sei es, dass der Ministerpräsident für minimale Zugeständnisse bereit sei und rechtsstaatliche Änderungen versprechen würde. Auch weiterhin werde die Regierung darauf bestehen, dass die ungarische Demokratie hervorragend funktioniere, wiewohl Experten und alle Analysen das Gegenteil bescheinigen. Ein Kompromiss sei für Orbán jedenfalls allemal besser, als die für Ungarn so wichtigen EU-Gelder zu verlieren, sagt Schweitzer.

Am 10. und 11. Dezember trifft der Europäische Rat wieder in Brüssel zusammen, um neuerlich nach einer Lösung zu suchen. Die Fronten haben sich indes verhärtet: Slowenien schlägt sich in der Frage der Rechtsstaatlichkeit neuerdings auf die Seite von Polen und Ungarn. Ihnen gegenüber stehen mehrere Staatschefs, darunter der niederländische Premier Mark Rutte und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und vor allem das Europäische Parlament, das das neue Budget letztlich noch absegnen muss und auf die Rechtsstaatlichkeitsklausel besteht. Die EU dürfe sich nicht erpressbar machen, sagen führende Parlamentarier. Der Ball liegt nun in Brüssel und Berlin.

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