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Frauen beim Frauenstreik in Bern im Juni 2019

STEFAN WERMUTH / AFP

30 Texte darüber, dass Frauen in der Schweiz erst seit 50 Jahren wählen dürfen

1971 haben zwei Drittel der Männer dafür gestimmt, auch den Schweizerinnen das Wahlrecht zuzugestehen. Um daran zu erinnern, dass Frauen in der Schweiz erst seit 50 Jahren wählen dürfen, haben zwei Publizistinnen das Buch „Gruß aus der Küche“ herausgegeben. 31 Frauen schildern darin ihre Gedanken zu dieser späten Errungenschaft.

Von Lena Raffetseder

Während es in anderen Ländern reicht, dass eine Mehrheit des Parlaments oder die Regierung über Wahlrechtsänderungen entscheidet, braucht es in der Schweiz die Zustimmung des Wahlvolks. Das bestand seit 1848 aber ausschließlich aus Männern, und so mussten Schweizerinnen ihre Väter, Brüder und Ehemänner davon überzeugen, die politische Macht mit ihnen zu teilen.

Nach Petitionen, Demonstrationen, Kampfschriften war es schließlich auch Druck aus dem Ausland, der zur Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz führt. Als die Schweiz 1963 dem Europarat beitritt, kann die Europäische Menschrechtskonvention nicht unterzeichnet werden, weil die Hälfte der Bevölkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen ist.

Das Bild dieses Beitrags ist vom Frauenstreik in Bern im Juni 2019. Die Organisatorinnen des Streiks hatten die Schweizerinnen aufgefordert, Job und Hausarbeit einen Tag lang zu vernachlässigen. Mehrere Hunderttausend Frauen in verschiedenen Städten der Schweiz waren auf der Straße, um für mehr Gleichberechtigung zu demonstrieren.

Bei der Abstimmung zum Frauenwahlrecht 1971 war keine Partei mehr offen gegen die Einführung, trotzdem stimmen nur zwei Drittel der wahlberechtigten Männer für das Frauenwahlrecht auf nationaler Ebene. Und die Einführung auf nationaler Ebene bedeutet nicht, dass Frauen automatisch auch auf kantonaler Ebene stimmberechtigt sind. Vor allem Kantone der Deutschschweiz führen das Wahlrecht auf kantonaler Ebene 1971 noch nicht ein. Damit sind Frauen weiterhin von einigen Referenden und Volksinitiativen ausgeschlossen und auch bei kantonalen Gesetzesvorhaben können sie nicht mitbestimmen. Im Kanton Appenzell Innerrhoden wird Frauen erst am 27. November 1990 das Wahlrecht auf kantonaler Ebene zugestanden. Aber nicht, weil man dann die Mehrheit der Männer überzeugt hatte – das Bundesgericht gab einer Beschwerde von Frauen aus dem Kanton recht. Im selben Jahr hatten die Männer noch dagegen gestimmt.

Cover von "Gruß aus der Küche"

Rotpunktverlag

„Gruß aus der Küche – Texte zum Frauenstimmrecht“ (224 Seiten) ist im Rotpunktverlag erschienen. Illustriert hat das Buch Nora Ryser.

Gedanken zur späten Errungenschaft

Das 50-Jahr-Jubiläum im nächsten Jahr haben die Publizistinnen und Journalistinnen Rita Jost und Heidi Kronenberg zum Anlass genommen, um Bilanz zu ziehen. Entstanden ist die Anthologie „Gruß aus der Küche – Texte zum Frauenstimmrecht“. „Eigentlich ist es ja beschämend, dass man es feiern muss, nachdem praktisch alle Staaten das viel früher hatten“, sagt Rita Jost. Aber viele Zeitzeuginnen könnten jetzt noch erzählen, wie es damals war und deshalb sei nun ein guter Zeitpunkt zum Zurückschauen gewesen: „Wo stehen wir, was ist noch zu tun, wo haben wir noch blinde Flecken, deswegen haben wir gedacht, doch das muss jetzt einfach sein.“

Jost und Kronenberg haben 31 Frauen – Kolumnistinnen, Historikerinnen, Spoken-Word-Literatinnen – gebeten, ihre Gedanken zu dieser späten Errungenschaft aufzuschreiben. Die Autorinnen sind zwischen 28 und 80 und kommen aus verschiedenen Fachgebieten.

„Patriarchat verschwindet nicht mit dem Stimmrecht“

Slam-Poetry-Beiträge, historische Texte über Errungenschaften der Vorkämpferinnen, Reden, Briefe, Schilderungen persönlicher Erlebnisse, sozial- und wirtschaftspolitische Analysen: „Gruß aus der Küche“ gibt Nicht-Schweizer*innen einen Einblick in das gesellschaftliche und politische System der Schweiz und auch bestehende Defizite werden deutlich.

Dass nämlich allein durch die Einführung des Stimmrechts nicht das Patriarchat verschwinde, wie Slam-Poetin Fatima Moumouni in ihrem Beitrag schreibt: „Es verschwindet überhaupt nicht allein mit rechtlichen Anpassungen.“ Es aus dem Kopf zu bekommen sei schwieriger. Vor allem die jüngeren Autorinnen betonen, wie viel es noch zu tun gibt. Und das gilt nicht nur für die Schweiz.

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