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His House

Netflix

Die Heimkino-Tagebücher: New Black Horror

Dank Jordan Peele greift das Gruselkino zunehmend afroamerikanische Thematiken auf. „Black Box“, „His House“ und „Antebellum“ sind aktuelle Beispiele.

Von Christian Fuchs

Ob es Familien sind, die in desolate Gespensterhäuser einziehen, junge Frauen, von denen der Teufel Besitz ergreift, Highschool-Studentinnen, die in Slashermovies von einem Killer verfolgt werden: Die Schlüsselfiguren in Horrorfilmen sind fast immer weiß.

Eine Tatsache, die vielen erst so richtig bewusst wurde, als Jordan Peele mit „Us“ einen Home-Invasion-Schocker mit afroamerikanischer Besetzung vorlegte. Der US-Regisseur hat sich seit seinem Durchbruchsfilm, der grimmigen Rassismus-Satire „Get Out“, zu einem der zentralen Fädenzieher des „New Black Horror“ entwickelt. Ein etwas vager und ziemlich diffiziler Begriff, schon klar, aber Hollywood denkt kalkulierend, richtet sich nach Trends und Einspielergebnissen.

Jordan Peele leiht als Talent der Stunde seinen Namen auch TV-Serien wie „Lovecraft Country“, in denen schwarze Protagonist*innen mit dem Horror des weißen, rückständigen Amerika konfrontiert werden. Und mit jeder Menge computeranimierter Monstren.

Get Out

Universal

„Get Out“

Welcome to the Blumhouse

Am Erfolg des Oscar-Gewinners „Get Out“ ist einer der ambitioniertesten Genrefilm-Produzenten nicht unbeteiligt. Jason Blum wurde vor allem im Horrorbereich zu einer Art Marke, die für billiges, aber cleveres Gänsehaut-Entertainment steht. Bisweilen auch inklusive gesellschaftspolitischem Engagement.

Jetzt präsentiert er mit „Welcome to the Blumhouse“ eine neue Anthologie im Filmformat, die auf Horror-Newcomer und Shootingstars setzt. Acht schaurige Geschichten verspricht der Produzent, allesamt für den Streamingkanal Amazon Prime gedreht. Im zweiten Teil gibt Blum dabei dem jungen schwarzen Regisseur Emmanuel Osei-Kuffour die Chance eines Debütspielfilms.

Black Box“ überrascht mit wirklich konsequentem Casting: Die gesamte Besetzung besteht aus colored people, wirklich bis in die letzte Nebenrolle. Weniger überraschend ist die Story rund um einen Mann, der bei einem Autounfall seine Frau - und sein Gedächtnis - verloren hat. Mühsam versucht sich Nolan mit Hilfe seiner kleinen Tochter wieder ins Leben zu integrieren, bis das Unfallopfer auf eine Wissenschaftlerin stößt, die mit einer wundersamen Prozedur zu helfen verspricht.

"Black Box - Welcome to the Blumhouse"

Amazon

„Black Box“

Nolan, dessen Name wohl auf einen einflußreichen Regisseur verweist, vertraut sich der Forscherin an und unterwirft sich einem Experiment. Mit Hilfe einer Maschine dringt er in seine Erinnerungen ein, was in bedrohlichen Situationen mündet. Ein mysteriöses Wesen lauert in der virtuellen Realität auf ihn.

Zirka in der Mitte des Films wartet auch ein kapitaler Twist auf den Zuseher, der alles in ein anderes Licht rückt. Spannender wird „Black Box“ dadurch aber nicht, richtiger Horror stellt sich nie ein. Der Film wirkt wie eine billige TV-Version von Blockbustern wie „Total Recall“ oder „Inception“. Großartig, dass die Firma Blumhouse afroamerikanisches Genrekino pusht, ein neuer „Get Out“ ist „Black Box“ aber auf keinen Fall.

Migrationsdrama und Haunted House Movie

Ziemlich beeindruckend ist dagegen ein britischer Mix aus Rassismuskritik und Schocktaktiken. „His House“ heißt das Werk von Remi Weekes, ebenfalls ein Debütfilm, auf Netflix veröffentlicht.

Ruhig sein, nicht auffallen, sich unterordnen, dass sei jetzt das Wichtigste, wird den Protagonisten Bol und Rial darin eingehämmert. Das verängstigte Paar hat die Flucht aus dem kriegerischen Südsudan ins friedliche Großbritannien geschafft. In London bekommen die beiden „Asyl auf Probe“. Nicht eine winzige Wohnung wird ihnen zugeteilt, sondern ein ganzes Haus. „So würde ich auch gern wohnen“, meint der Sozialarbeiter bei der Übergabe gönnerhaft.

"His House" Filmstill

Netflix

„His House“

Die Situation hat einen Haken: Das Gebäude, in dem Bol und Rial untergebracht werden, ist nicht nur schäbig und verfallen. Es spukt auch darin. Dabei sind die geisterhaften Erscheinungen für die beiden Bewohner direkt mit den Umständen ihrer Flucht verknüpft, mit dem Krieg, der Angst, der Panik. Vor allem das furchtbarste Trauma kehrt immer wieder in gespenstischer Form zurück: Bei der gefährlichen Reise über das Mittelmeer ist die Tochter der beiden ertrunken. Jetzt erscheint sie Bol und Rial in deren Albträumen.

Ein todernstes Migrationsdrama, ein sozialkritischer Film, ein Haunted House Movie: Regisseur Remi Weekes verknüpft völlig unterschiedliche filmische Zugänge. Zusammengehalten wird der „His House“ von der bestechenden Kamera, dem beklemmenden Sounddesign und von den beiden HauptdarstellerInnen. Wunmi Mosaku („Lovecraft Country“) und Sope Dirisu („Gangs of London“) brillieren mit kleinen und großen Gesten. Nur ein paar kitschige Effekte und übertriebene Wendungen hätte es gegen Ende nicht gebraucht.

His House

Netflix

„His House“

Der Schrecken der Sklaverei

Mein persönlicher Lieblingsstreifen unten diesen aktuellen Beiträgen zum „New Black Horror“ hatte eigentlich einen geplanten größeren Kinostart. Leider ist „Antebellum“ vom Regieduo Gerard Bush und Christopher Renz diesbezüglich aber der Pandemie zum Opfer gefallen. Nun ist der Mysterythriller, der den Schrecken der Sklaverei aufgreift, im Heimkino zu sehen, auf Amazon Prime.

Am Anfang steht eine lange Kamerafahrt, ohne Schnitt. Ein kleines Mädchen in einem strahlend gelben Kleid springt über eine Wiese, Pferde grasen friedlich, die Sonne blinzelt auf ein typisches Südstaatenanwesen. Am Ende der ewigen Fahrt ist die Idylle dem Terror gewichen. Wir sehen marschierende Soldaten, schwarze Sklaven bei der Arbeit - und einen vergeblichen Fluchtversuch, der grausam endet.

Die virtuos inszenierte Eingangssequenz macht klar: Wir befinden uns auf einer Plantage in Louisiana, zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs. Der Horror, den „Antebellum“ zeigt, ist höchst real. Für Sklaven wie die junge Eden entpuppt sich jeder Tag als höllische Erfahrung. Popstar Janelle Monáe verkörpert souverän die gequälte Protagonistin, die mit einem Leidensgenossen einen Ausbruch plant.

"Antebellum" Stills

Amazon / Impuls Pictures AG

„Antebellum“

Kathartische Wut hinter stylischen Bildern

Nach einer dreiviertel Stunde, die unter die Haut geht, beginnt plötzlich ein neuer, poppigerer und hoffnungsvollerer Film, der in der Gegenwart spielt. Und hier ist Janelle Monáe erst recht perfekt besetzt. Als Kulturwissenschaftlerin Veronica Henley repräsentiert sie eine erfolgreiche Akademikerin, die über afroamerikanische Themen schreibt. Blitzgescheit, eloquent und politisch messerscharf.

Wie diese zwei extrem konträren Handlungsbögen sich zu einem fügen, das ist spannend, bestürzend und sollte keineswegs gespoiled werden - unbedingt auch um den Trailer zu „Antebellum“ einen Bogen machen. Wer Serien wie “The Handmaid’s Tale” mag, oder die geschickt kontruierten Thriller von M. Night Shyamalan, ist hier richtig.

"Antebellum" Stills

Amazon / Impuls Pictures AG

„Antebellum“

Das Regieduo Bush und Renz war vor diesem Spielfilm, abermals ein Erstlingswerk, lukrativer Teil der Werbebranche, aber auch in Kampagnen für soziale Aktivisten involviert. Beides merkt man dem Film an, sowohl die slicke Ästhetik als auch den dringlichen Black Lives Matter-Background. Die kathartische Wut, die hinter den stylischen Bildern steckt, wirkt echt und dringlich. Am Ende entzündet sich der afroamerikanische Zorn auf explosive Weise, ganz wortwörtlich.

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