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Daniel Mihailescu/AFP

In „Unziemliches Verhalten“ beschreibt Solnit, wie sie ihre feministische Stimme fand

Mit ihrer Essay-Sammlung „Wenn Männer mir die Welt erklären“ wird die amerikanische Autorin Rebecca Solnit auch außerhalb der USA als gesellschaftliche Analytikerin bekannt. Ihren feministischen Werdegang beschreibt sie jetzt in ihren Memoiren „Unziemliches Verhalten“.

Von Lena Raffetseder

Rebecca Solnit schließt mit 15 die Highschool ab, mit 19 – Anfang der 80er – ist sie in San Francisco im letzten Studienjahr und zieht in ihre erste eigene Wohnung. Sie schreibt über ihre Nachbarschaft in diesem Schwarzen Viertel und ihre ersten Jobs. Sie lebt über 20 Jahre lang in der kleinen Wohnung: „Aber seither ist so viel geschehen, hat sich so viel verändert, dass ich an diese spindeldürre, angestrengt bemühte junge Frau denke wie an eine, die ich einmal sehr gut kannte, für die ich gern mehr getan hätte, mit der ich mitfühle, so wie ich mit den Frauen ihres Alters, denen ich heute begegne, oft mitfühle.“

Cover von Unziemliches Verhalten

Hoffmann & Campe

„Unziemliches Verhalten - Wie ich Feministen wurde“ von Rebecca Solnit ist bei Hoffmann & Campe erschienen. Übersetzt hat das englische Original „Recollections of My Nonexistance: A Memoir“ Kathrin Razum.

„Ein Sprungbrett für meine Stimme“

Rebecca Solnit lebt mit ständigen Geldsorgen, beim Kauf von Gegenständen muss Solnit sparen. Eine Freundin schenkt ihr zum Einzug einen Schreibtisch. Auf diesem weißen Tisch, der wie ein Schminktisch aussieht, macht Solnit ihre Uni-Hausaufgaben, schreibt ihre ersten Texte und darauf entstehen schließlich über 20 Bücher, etliche Rezensionen und Essays. Auch „Unziemliches Verhalten“ schreibt Solnit auf dem geschenkten Tisch der Freundin. Eine Freundin, die davor von ihrem Exfreund mit fünfzehn Messerstichen schwer verletzt wird, weil sie ihn verlassen wollte. Der Schreibtisch ist für Solnit heute ein Symbol: „Jemand versuchte, sie zum Schweigen zu bringen. Und dann schenkte sie mir ein Sprungbrett für meine Stimme. Heute frage ich mich, ob alles, was ich je geschrieben habe, ein Gegengewicht zu jenem Versuch darstellt, eine junge Frau auszulöschen.“

Bestehende Denkmuster und Repräsentation

Solnit erinnert Lesende an ihre ersten Bücher. Im ersten porträtiert sie sechs Kunstschaffende aus Kalifornien, ein Lektor nimmt willkürlich Änderungen in ihrem Manuskript vor, ihr wird rechtlich gedroht. Für ihr zweites Buch verbringt Solnit Zeit auf der Nevada Test Site. Ein Gelände, das 40 Jahre lang für Atomwaffentests genutzt wird. Hier wird Solnit Aktivistin und auf den Stamm der Westlichen Schoschonen aufmerksam, auf dessen Gebiet die Atomtests durchgeführt werden. Auch ihr zweites Buch wird von Menschen torpediert, die sie eigentlich unterstützen sollten. Der PR-Mann des Verlags organisiert eine Lesereise mit Stationen in mehreren Buchhandlungen im Westen der USA. Schon unterwegs kommt Solnit drauf: Die Buchhandlungen wissen von nichts, keine der Veranstaltungen wurde gebucht. Solnit muss laufend für ihre Glaubwürdigkeit kämpfen, dabei werden auch Fragen der Repräsentation und bestehende Denkmuster in ihren Texten immer wichtiger.

„Bei einem einzelnen Vorfall lässt sich nicht eindeutig sagen, ob er auf jemandes Einstellung gegenüber Menschen einer bestimmten Kategorie zurückzuführen ist, aber die Summierung legt nahe, dass ein Muster existiert.“

Immer wieder beschreibt Solnit, wie Männer in unserer Gesellschaft Frauen zum Schweigen bringen. Das erlebt sie nicht nur im Verlag, sondern auch auf der Straße. Sie schreibt von Gewalt und der permanenten Bedrohung, mit der viele Frauen leben. Zu lange werden solche Fälle als Einzelfall abgetan: „Ich zählte eins und eins zusammen, sah eine Epidemie am Werk und wartete drei Jahrzehnte, bis eine öffentliche Diskussion darüber entstand.“

Rebecca Solnit

Rebecca Solnit

„Der Feminismus wählte mich“

Solnit geht auch auf die Entstehung ihres berühmtesten Essays – „Wenn Männer mir die Welt erklären“ – ein. Ein Text über ein Thema, das sie nicht gezielt auswählen musste und der inzwischen ein Eigenleben entwickelt hat. Solnit beschreibt darin einen Vorfall, bei dem ihr ein Mann auf einer Party ihr eigenes Buch erklärt. Sie hört daraufhin von Anwältinnen, Wissenschaftlerinnen, Ärztinnen, die alle genau diese Erfahrung gemacht haben und einem Mann zuhören mussten, während der ihnen ihr eigenes Fachgebiet „mansplaint“. Solnit analysiert, dass die Asymmetrie darüber, wer die Fakten bestimmt, flächendeckend besteht - im intellektuellen Diskurs und im Alltag. Und für sie ist es nur ein Ausschnitt jenes Spektrums, an dessen Ende der gewaltvolle Tod liegt.

Auch wenn Solnit „Unziemliches Verhalten“ als ihre Memoiren bezeichnet, ganz private Einblicke in ihre eher harte Kindheit und Jugend gibt es kaum. Entscheidende Anekdoten handeln von Freundinnen, die im Buch aber namenlos bleiben. Das macht Solnits Erzählung aber nicht weniger eindringlich. Und so gelingt es der Schriftstellerin, ihre eigene Entwicklung, das Suchen und Finden ihrer eigenen Stimme mit Fragen der Repräsentation und Diskriminierung zu einer starken gesellschaftspolitischen Analyse zu verbinden.

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