FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Szenenbilder aus "Mank"

Netflix

No Country for old Mank

David Fincher hat mit „Mank“ ein Drehbuch seines verstorbenen Vaters verfilmt und nimmt einen mit ins Hollywood der 1930er und 1940er Jahre, als die Traumfabrik Filme wie „Citizen Kane“, aber auch Fake News für die Wochenschau produzierte. Würde ich Filmlisten führen, hätte ich jetzt wahrscheinlich einen neuen Lieblings-Fincher.

Von Pia Reiser

Man möchte ja fast ins Jahr 1995 zurückreisen, sich zum „N“-fach eines großen Plattenladens stellen und einer Person, die sich „Further Down the Spiral“ von Nine Inch Nails rauszupft, zumurmeln, dass Trent Reznor in 25 Jahren Jazz komponiert. Für einen schwarz-weiß Film von dem, der „se7en“ gemacht hat, der aber wegen einer Pandemie quasi nur im Internet zu sehen ist und auch von ebenjener Streamingplattform finanziert worden ist.

Dann kann man zurück in die Zukunft huschen und sich gleich nochmal David Finchers „Mank“ anschauen, der am 4.12. via Netflix veröffentlicht worden ist, der aber ein Film ist, der ins Kino gehört. Nochmal ist das Wort, das ich im Kinosaal denke, als David Finchers „The Social Network“ vorbei ist, nochmal denke ich auch, als bei „Mank“ die Credits zu laufen beginnen. Immerhin hat Netflix hier den Anstand den Film am Ende nicht sofort in ein Minifenster zu schrumpfen und einem irgendetwas Anderes aus dem Programm vorzuschlagen. Für diese Art von Respekt, den die digitale Plattform hier erweist, muss man schon Scorsese oder eben Fincher sein.

Gary Oldmank in "Mank"

Netflix

Gary Oldman(k)

Apropos Scorsese. „Mank“ - der Film über „Citizen Kane“-Co-Drehbuchautor Hermann Mankiewicz - sollte so aussehen, als hätte man ihn im Keller von Martin Scorsese gefunden, ein alter Film, der auf seine Restaurierung wartet, erklärt David Fincher. Und so wurde zwar digital und in – hi-dynamic range (in ein wunderschönes Retro-Logo im Vorspann verpackt!) - gedreht, doch „Mank“ sieht in seinem cremigen, verschwommenen, warmen Schwarz-Weiß tatsächlich an vielen Stellen aus wie ein Hollywood-Film aus den 1930er oder 1940er Jahren, eine Zeit, die in diesem Jahr auch Ryan Murphy in der Serie „Hollywood“ auf revisionistische Weise beschworen und dann in ein seltsam betuliches Schmalz-Finale geführt hat.

Schmalz gibt es in „Mank“ nur in Form von Pomade in den Haaren von David O Selznick, Irving G Thalberg und anderen Herren mit Mittel-Initialen und Macht in Hollywood. Wem diese Namen nichts sagen, der wird „Mank“ zwar problemlos folgen können, aber wahrscheinlich weniger Spaß dran haben. Fincher ist ein zu guter Filmemacher – und sein Vater Jack ein zu guter Drehbuchautor – um den vom Reznor/Ross Beserljazz angetriebenen Lauf des Films immer wieder abzubremsen, um etwas zu erklären.

Szenenbilder aus "Mank"

Netflix

Der eingeblendete Absatz zu Beginn des Films, dass Orson Welles 1940 im Alter von 24 Jahren vom Filmstudio RKO nach Hollywood geholt wurde, um einen Film in völliger Autonomie zu drehen, mit wem auch immer er wollte, muss dem Publikum zunächst mal genügen. Der „mit wem auch immer er wolle“ ist für das Wunderkind, das Genie Orson Welles im Jahr 1940 Hermann Mankiewicz, genannt Mank, ein New Yorker Kolumnist und Theaterkritiker, der Ende der 1920er Jahre nach Hollywood geht und bei Paramount so etwas wie der Chef-Drehbuchautor wird. Seinem Freund Ben Hecht schreibt er über Hollywood „Millions are to be grabbed out here and your only competition is idiots”. Diese Worte fallen auch in „Mank“, bloß in einem anderen Telegramm. Für ganz Versierte in der Geschichte des alten Hollywood der erste Hinweis, dass zwar wenig in „Mank“ ganz frei erfunden ist, vieles aber an andere Stellen gerückt worden ist.

Fincher stellt uns Mank (Gary Oldman) als einen Mann mit eingegipsten Beinen vor, der zu Beginn des Films in ein Bett in einem Haus in der Mojave-Wüste manövriert wird. Hier in der Abgeschiedenheit soll er an dem Drehbuch für Welles arbeiten, hier wo den Alkoholiker und Spieler nichts von seiner Arbeit ablenken soll. „Are you ready to hunt the big white whale?“, fragt ihn Orson Welles (Tom Burke) am Telefon, mit aufgeklebtem Höcker auf der Nase, kümmert er sich doch grade um Testaufnahmen zu „Heart of Darkness“ (der, wie so viele von Orson Welles Projekten und Ideen dann nie gedreht wird).

„Just call me Ahab“, so Mank zu Welles, der nun seiner Assistentin Mrs Alexander (Lily Collins) das Drehbuch zu einem Film diktieren wird, der auch 80 Jahre nach seine Premiere noch als einer der besten Filme alle Zeiten gefeiert wird: „Citizen Kane“. Den Oscar für das beste Drehbuch erhalten Welles und Mankiewicz. Wer von den beiden nun wieviel und was zum Drehbuch beigesteuert hat, darüber streiten damals schon die beiden Männer. Keiner von ihnen besucht die Oscar-Verleihung, über die Medien lassen sie sich gegenseitig recht höfliche und wohlformulierte Schmähungen ausrichten. „I am very happy to accept this award in Mr. Welles’ absence because the script was written in Mr. Welles’ absence”, so Mankiewicz bei einem Pressetermin, ein Satz, der natürlich auch in “Mank” vorkommt. Es ist ähnlich wie in „The Social Network“ als Mark Zuckerberg zu den Winklevoss Twins sagt „If you guys were the inventors of Facebook, you’d have invented Facebook”.

Szenenbilder aus "Mank"

Netflix

Neu losgetreten wird die Urheber-Diskussion um „Citizen Kane“ 1971 von der New Yorker Filmkritik-Päpstin Pauline Kael, die in in ihrem Text „Raising Kane“ Mankiewicz die alleinige Urheberschaft zuspricht. Filmkritiker, Regisseur und Welles-Verehrer Peter Bogdanovich schreibt als Reaktion einen Artikel mit dem Titel „The Kane Mutiny“ für das Esquire-Magazin. Ziemlich sicher scheint zu sein, dass auf jeden Fall die Idee zu Citizen Kane von beiden Männern kam, so erzählt es Orson Welles: „the idea of telling the same thing several times—and showing exactly the same thing from wholly different points of view. Basically, the idea Rashomon used later on. Mank liked it, so we started searching for the man it was going to be about. Some big American figure—couldn’t be a politician, because you’d have to pinpoint him. Howard Hughes was the first idea. But we got pretty quickly to the press lords.“

Einer der press lords, der sich im Skript von „Citizen Kane“ so klar abgebildet sah, dass er Überlegungen angestellt hat, gegen die Veröffentlichung des Films vorzugehen und dann eine Hetzkampagne gegen Welles und „Citizen Kane“ gestartet hat, ist Zeitungsmagnat William Randolph Hearst. Vielleicht ist es paradox, vielleicht nur logisch, dass ein Mann mit Bouelvardjournalismuskeulen drauf reagiert, dass er als ein mit Boulevardjournalismuskeulen agierender Populist in einem Film dargestellt wird.

Hearst war nicht der einzige, aber sicherlich der größte Einfluss für die Figur des Kane. In „Citizen Kane“ spielt Orson Welles den Verleger, der seine Ideale verrät, in „Mank“ gibt Charles Dance das Kane-Vorbild Hearst. Ein larger-than-life-Medientycoon, zu dessen Partys nicht nur Hollywoods Studiobosse eingeladen sind, sondern auch der stets trinkende und nie ein Blatt vor den Mund nehmende Mank. Und es ist bei einer dieser Partys in Hearsts prächtigem Anwesen (das in „Citizen Kane“ dann Xanadu heißen wird), wo in „Mank“ zum ersten Mal ein Name fällt, der für diesen Film von enormer Bedeutung ist: Upton Sinclair. Der Autor und Sozialist kandidiert 1934 für das Amt des Gouverneurs in Kalifornien, das macht nicht nur den Republikaner und MGM-Studioboss Louis B Mayer nervös. Und der glatzköpfige Mayer ist sonst eigentlich nicht aus der Ruhe zu bringen, reagiert auf das, was auf Hearsts Party über die politische Lage in Deutschland erzählt wird mit einem lapidaren „Hitler, Schmitler“.

Gegen Sinclair aber muss was getan werden und so produziert MGM Newsreels mit inszenierten Straßenumfragen, die den Eindruck vermitteln, dass wenn comrade Sinclair die Wahl gewinnt, würde Kalifornien von Arbeitslosen aus dem ganzen Land überrannt werden. Da kann Mank bei der Hearst-Party mit der konservativen Partie, seine Bitterkeit in Wortgewandtheit hüllend, noch so oft den Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus erklären. Er wäre hier gern die Stimme der Vernunft, ist eben doch nur der Hofnarr der Reichen. Oder, wie ihn Hearst später nennen wird, als er den betrunkenen Mank vor die Tür setzt: the organ grinder’s monkey. Die Parabel des Äffchens des Leierkastenmanns, das glaubt, der Musiker würde spielen, weil es tanzt - und nicht umgekehrt taucht an zwei Stellen im Film auf. Mank kommt irgendwann an den Punkt, an dem er Hearst, Welles - und dem Hollywood Studiosystem beweisen will, dass er nicht das Äffchen in dieser Parabel ist.

Als Orgelspieler, der gleich eine ganze Horde an Äffchen tanzen lässt, sieht sich wohl auch Louis B. Mayer. In einer sensationellen Szene, in der Mayer - in Aaron Sorkin’scher Walk and Talk-Manier - die Brüder Mankiewicz über das MGM-Studiogelände führt, führt einem Fincher auch eine ganz und gar unglamouröse Seite von Hollywood vor Augen. Mayer erklärt, This is a business where the buyer gets nothing for his money but a memory and that’s the magic of the movies" nur, um ein paar Momente später seine versammelte Schauspieler*innen-Truppe um Verständnis zu bitten, dass sie in den nächsten Monaten nur die Hälfte des Gehalts bekommen werden. Finchers Film erzählt, wie sich mehr und mehr Verbitterung und Wut bei Mank anstaut, die sich dann schließlich in einem Drehbuch über einen reichen, mächigen, skrupellosen Verleger entlädt. „Mank“ ist kein nostalgiedurchflutetes Beschwören vom guten, alten Hollywood, sondern - wie „Citizen Kane“ - ein Drama über die Beziehungen zwischen Politik und Medien. Fincher packt zusätzlich noch Hollywoods Studiopolitik und die Verbandelung der Traumfabrik mit den Mächtigen hinein. Und mittendrin taumelt Gary Oldman in die tiefste Verbitterung - so endet auch Kane. Bloß so einsam wie der alte Kane in seinem riesigen Haus ist Mank nie.

Eine in Überblendungen erzählte Annäherung an dieses Haus steht am Beginn von "Citizen Kane. Das irre, nie fertig gestellte Anwesen von Charles Foster Kane, ein Märchenschloss mit einem Privatzoo und Kunstschätzen aus der ganzen Welt. Darauf folgt ein Newsreel, ein Fernseh-Nachruf auf den Zeitungszaren. Märchenmotive treffen auf Fakten und beide sind wichtig, um die Figur des Charles Foster Kane greifbar zu machen. „Mank“ zeigt uns, wie aus wahren Begebenheiten ein Film, eine Fiktion entsteht (nämlich das Drehbuch zu "Citizen Kane) und wie etwas Inszeniertes (die Newsreels zu Upton Sinclair) als Wahrheit verkauft werden. „Mank“ dreht sich um Lüge, Wahrheit und die Macht und Magie von Worten und Bildern - und es ist ebenso aus Fakten und Erfundenem gestrickt.

Szenenbilder aus "Mank"

Netflix

Vieles in „Mank“ ist erfunden, verdichtet - oder in einen Kausalzusammenhang gestellt, den es ziemlich sicher nicht gegeben hat, der Film präsentiert sich aber auch nie als wahre Geschichte. Und wohl weniger als putziger Nostalgie-Verstärker, sondern mehr als dauernde Erinnerung, dass dies hier ein Film ist, den wir sehen, setzt Fincher nicht nur - wie in Drehbüchern übliche - Ort- und Zeitzuschreibungen im Schreibmaschinenfont ein, er verwendet auch sogenannte „cigarette burns“ am rechten oberen Filmrand, die früher Erinnerungen an die Film-Vorführer waren, dass es bald Zeit ist, die Rolle zu wechseln. (David Fincher hat sich den cigarette burns in „Fight Club“ schonmal gewidmet).

„Mank“ ist voller Referenzen und Zitate ohne strebersames Klugscheißerkino zu sein, es ist eine großartige, vielschichtige Ergänzung zu „Citizen Kane“ und ein weiterer Beweis für die Vielseitigkeit von David Fincher. Ich bin nur froh, dass ich keine Listen über Lieblingsfilme führe, denn ich müsste wohl auf meiner Fincher-Liste umsortieren anfangen.

mehr Pia Reiser:

Aktuell: