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Dean Benic

Haiyti ist ein emotional Gangster mit Potenzial zum großen Popstar

Haiyti überzeugt seit vier Jahren mit genialen Reimen in eingängigen Trap-Popsongs, einer unverwechselbaren Stimme und ihrer Attitude. Mit „Influencer“ veröffentlicht die Künstlerin schon ihr zweites Album in diesem Jahr und beweist damit einmal mehr, dass in ihr das Potenzial eines großen Popstars steckt.

von Alica Ouschan

Albumcover "Influencer"

Hayati Musik

Influencer ist am 4. Dezember bei Hayati Musik erschienen.

Die Hamburger Künstlerin Haiyti ist bekannt dafür, in beeindruckend kurzen Abständen neue Musik zu releasen. In ihren Songs rappt und singt sie abwechselnd über verschiedene Beats aus dem Trap-, HipHop und Popspektrum, die Stimmung schwankt stets zwischen brandgefährlich und superverletzlich.

Seit 2018 hat sie es zu ihrer inoffiziellen Tradition gemacht, zwei Alben pro Jahr rauszubringen. Auch heuer ist pünktlich zum Jahresende noch ein zweite Platte erschienen. Nach dem sommerlich-melancholischen Album „Sui Sui“ im Juli, hat Haiyti jetzt mit „Influencer“ noch einmal zugeschlagen. Düsterer, bestimmter und noch emotionaler als sonst. Was sich bereits seit zwei Jahren immer stärker abzeichnet, hat sich nun manifestiert: Haiyti war auf dem Weg, langsam aber sicher ihren ganz eigenen, musikalischen Stil zu finden und ist angekommen. Auch wenn vielen Leuten und ihr selbst das vielleicht nicht immer ganz klar war, erzählt Haiyti im FM4 Interview:

„Ich bleib meiner Linie treu, seit Tag eins. Ich war in allen Szenen, auch musikalisch. Dadurch dass ich kein Produkt bin, musste ich mich erst finden. Ich habe kein Management, das mir sagt wie ich sein soll. Vielleicht wäre ich dann jetzt schon woanders aber so bin ich jeden Schritt selbst gegangen und jetzt weiß ich es. Aber das hat vier Jahre gedauert - bis ichs verstanden hab, mich besser zu vermarkten und bis die Leute mich verstanden haben“, sagt Haiyti.

Ein Gangster mit gebrochenem Herzen

Von der Trap-Queen über die Cloudrapperin bis hin zum Street-Popstar - Haiyti und ihre Musik sind in den letzten vier Jahren schon in so manche Schublade gesteckt worden. Sie selbst sieht sich als „emotional Gangster und düsteren Popstar“ und will sich von Zuschreibungen und Genre-Bezeichnungen wie „linksradikal“ oder „Cloudrap“ freimachen. Der Zwiespalt zwischen eiskalter Gansterbraut und der zerbrechlichen, wehmütigen Seite von Haiyti, ist das, was sie und ihre Musik im Grunde ausmacht.

„Ich bin auf Hamburgs Straßen aufgewachsen und kenne die Street-Spielchen zu gut. Auf der anderen Seite bin ich viel zu emotional dafür, dass ich das knallhart durchziehen und über Leichen gehen könnte“, sagt Haiyti, die mittlerweile in Berlin lebt. Ihr neues Album „Influencer“ beschäftigt sich, passend zum Namen, vor allem mit Haiytis langem Weg zum Ruhm. Sie ist ein selbsternannter Undergroundweltstar, der trotz großem Talent, unerschöpflicher Energie und überdurchschnittlich viel qualitativem Output immer nur kurz vor dem großen Durchbruch steht.

„Scheiß mal auf die ganzen Fake News,
ich bin Deutschraps Zukunft“
(Haiyti in „Comeback“)

„Es fühlt sich so an, als ob ich kurz davor bin - und das schon seit Jahren!“, sagt Haiyti. „Ich kann auch nicht sagen, woran es liegt. Am falschen Zeitpunkt oder manchmal hab ich auch einfach Pech. Ich will verstehen, warum dieser Durchbruch nicht kommt. Ich seh das langsam schon als Spiel!“ Wieviel Kraft es Haiyti kostet, trotz ausbleibendem kommerziellen Erfolg weiterhin ihren Traum zu verfolgen und ihre vielen kreativen Ideen mit minimalstem Budget umsetzen zu müssen und nicht der Star zu sein, den sie in ihrer Musik manifestiert, wird auf „Influencer“ widergespiegelt.

Der Preis für den Fame

Neben den üblichen, Gangsta-Rap lastigen Brettern wie „sweet“ oder „burr“, auf denen Haiyti mit ihrer harten Schale glänzt, finden sich auf „Influencer“ auch Tracks, in denen sie so verletzlich wirkt, wie noch nie. „star und zurück“ ist vielleicht das traurigste Liebeslied, das sie je geschrieben hat, „tokio“ ist ein verzweifelter, musikalischer Drogenrausch und „benzin“ vermittelt trotz teilweise unverständlicher Lyrics so viel Schmerz, dass auch das eigene Herz beim Hören „brennt wie benzin“. Der Song „100.000 feinde“ lässt sich wunderbar als zweiter Teil ihres Songs „100.000 Fans“ verstehen. Die 100.000 Fans, die Haiyti noch nicht kennen, werden zu 100.000 Feinden, von denen Haiyti keinen kennt.

Auf dem Opener „comeback“ singt Haiyti in der Hook: „Und die Wolken ziehen, feier’ mein Comeback / Weiß nicht, wo ich war, doch zu lange weg“, obwohl zwischen dem letzten Album und der Veröffentlichung der ersten Single der neuen Platte gerade einmal zwei Monate lagen. Es sei als ein geistiges Comeback zu verstehen, sagt Haiyti. Sie macht keine Pause, denn wer fame werden will, müsse dranbleiben. In ihren Augen sind die kurzen Intervalle, in denen sie neue Songs und Videos veröffentlicht, gar nicht so beeindruckend: „Ich will immer sofort alles raushauen und werd für verrückt gehalten. Ich war bei alle drei Wochen ein neuer Song, dann hat mir jemand aus der Industrie gesagt, alle zwei Wochen ist besser für den Algorythmus. Aber ich komm kaum nach, mit den Videos - das ist schon hart und anstrengend. Mein Traum wäre ja, zu jedem Song ein Musikvideo zu drehen!“

Fake it ’till you make it!

Musikvideos gibt es immerhin mittlerweile zu 7/19 Songs, mindestens eines soll noch kommen - ein beeindruckender Schnitt. Auch wenn Haiyti bei jedem neuen Projekt vor der Challenge steht, ihre Ideen mit wenigen Leuten und noch weniger Geld umzusetzen, wirkt es von Außen betrachtet oft ganz anders: Markenklamotten, Autos, Villen, Haare und Nägel - in Haiytis Musikvideos schaut alles immer super expensive aus. Frei nach dem Motto „Fake it ’till you make it“ borgt sich Haiyti die teuren Klunker und Kleider schon mal aus oder kauft sie online, nur um sie dann nach dem Dreh wieder zurückzuschicken.

„Ich hab hier auch gerade einen 1.000€ Mantel rumliegen, der beim Dreh dreckig geworden ist, jetzt muss ich erstmal schauen wie ich den sauber bekomme, bevor ich ihn zurückschicke“, erzählt sie. Trotz zeitlichem und finanziellem Druck schafft Haiyti es stets, das Beste aus sich herauszuholen, auch wenn die Tatsache, dass die Belohnung ausbleibt, sie merklich mürbe macht. Im Song „zu real“ heißt es: „Sie sagen der Weg ist das Ziel, doch ich frag mich, wann komm ich an?“ und spiegelt Haiytis sehnlichen Wunsch, vom Undergroundweltstar endlich zum Weltstar aufzusteigen, deutlich wider.

„Objektiv gesehen müsste ich ganz woanders sein, wenn ich mir die Konkurrenz, das Kollegium anschaue, dann denk ich: ‚Hä? Aber meins ist doch viel besser?‘“, sagt Haiyti. Sie weiß, was sie kann und steht dazu. Objektiv gesehen sticht Haiyti vor allem mit ihrer perfekt aufeinander abgestimmten audiovisuellen Ästhetik heraus. Aus Haiytis Attitude als emotional Ganster, gepaart mit ihrer unverwechselbaren Stimme, die zwischen flüstern, kreischen und melödiösem Singsang variieren kann, entsteht ein ganz eigener Flow, der sich variabel an Stimmungen und Genres anpasst.

Ich bin ein Star, holt mich raus hier!

Abwechslung gibt’s auch bei Haiytis Reimen, die sich trotz Wiederholung der Thematiken - Geld, Marken, Erfolg und Enttäuschung - nie redundant anfühlen und immer aus der Hüfte geschossen klingen. Ihr Songwriting ist eine gesunde Mischung aus intuitiven Ideen und wohlüberlegten Reimen, sagt sie. An ihren Songs sitzt sie manchmal nur wenige Minuten, dann wieder wochenlang. An Kreativität mangelt es ihr nicht - ganze zehn Songs haben es nicht auf die Platte geschafft, nicht weil sie zu schlecht waren, sondern weil sie einfach nicht mehr draufgepasst hätten.

Blicke in Haiytis Wunschzukunft, inklusive lila Scheinen, glizernden Klunkern, teuren Autos und Uhren gab es in der Vergangenheit zur Genüge. Einen selbstreflektierten Blick auf das Ziel, das vielleicht gar nicht so ideal ist, wenn man es einmal erreicht, gibt der Song „holt mich raus hier“. Er handelt davon, dass der Weltstar Haiyti vielleicht doch lieber im Underground geblieben wäre und dass ihr unafhörlicher Kampf nach Anerkennung vielleicht genau das ist, was sie als Künstlerin so einzigartig macht: „Erst wollt ich Fame und dann wollt ich, dass es aufhört - ich bin ein Star, holt mich raus hier!“

Ob das neue Album ihr lang ersehnter Durchbruch wird? Haiyti hat mit „Influencer“ jedenfalls wenig überraschend neunzehn erstklassige, düstere Popsongs und ein weiteres Album ohne Lückenfüller abgeliefert. Sie beweist damit einmal mehr, dass in ihr das Potenzial eines großen Popstars steckt.

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