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Big Data for Big Cities? Digitalisierung in der Entwicklungszusammenarbeit

Anfang Dezember hat die Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) zum 35. Mal ihren Jahresbericht herausgegeben und online präsentiert. Neben der jährlichen Analyse österreichischer Entwicklungsgelder ging es diesmal auch um die Potenziale und Risiken von Digitalisierung für Länder des globalen Südens.

Von Melissa Erhardt

60 Prozent der urbanen Bevölkerung des afrikanischen Kontinents lebt in sogenannten Deprived Areas. In diesen Stadtteilen fehlt oft der Zugang zu geeigneter Infrastruktur, ärztlicher Betreuung oder Lebensmittelversorgung, was vor allem während der Corona-Pandemie zu Nahrungsmittel-Knappheit geführt hat. Aber auch Flüchtlingscamps in Europa, wie Moria auf Lesbos, zählen zu solchen benachteiligten Gebieten. Damit angemessene Schritte zur besseren Versorgung der dortigen Bevölkerung gesetzt werden können, braucht es vor allem eins: Daten. Und zwar korrekte Daten. Denn oft sind Daten zwar vorhanden, aber bereits veraltet, wenn sie zur Anwendung kommen. Oder sie sind aufgrund von Top-Down-Schätzungen schlichtweg unvollständig.

Öfse Jahresbericht

ÖFSE

Die ÖFSE Publikation „Österreichische Entwicklungspolitik - Analysen, Berichte, Informationen“ erscheint seit 1985 einmal pro Jahr. Traditionell widmet sie sich der Interpretation der österreichischen Entwicklungsgelder, beleuchtet darüber hinaus aber Jahr für Jahr bestimmte entwicklungspolitische Fragestellungen.

Verlässliche Daten: Fehlanzeige

Monika Kuffer beschäftigt sich an der Universität Dvente in den Niederlanden mit den Potenzialen digitaler Technologien für die Stadtentwicklung im globalen Süden. Darüber schreibt sie auch in der diesjährigen ÖFSE Publikation in ihrem Beitrag „Digitalization and Urban Development in the Global South: Towards Reliable Population Data in Deprived Urban Areas“. Die größte Herausforderung sind ihrer Meinung nach falsche Daten, denn so werden die Menschen, die es am meisten brauchen, in Projekten nicht mitgedacht: „Ein Beispiel, wie schief die Datenlage ist, kann man anhand eines Slums in Mumbai, Indien illustrieren. Die Prognosen (Anm.: wie viele Menschen dort wohnen) gehen aufgrund der Datenlage extrem auseinander. Lokal wird geschätzt, dass in diesem Slum etwa 800.000 bis zu einer Million Menschen leben. Die Zensusdaten sind aber viel niedriger. Wenn man sich die besten globalen Bevölkerungsmodellierungen anschaut, kommt man auf eine Bevölkerung von lediglich 50.000 Menschen. Man sieht, dass da ein starker Bias von Daten existiert, gerade in Armutsgebieten.“

Die systematische Unterschätzung von Armutsgebieten

Ohne diese Daten kann man aber nicht einschätzen, wie viele Menschen etwa vom Klimawandel betroffen sind, wie viele Lebensmittelrationen nötig sind oder wie hoch die Lebenserwartung der Menschen in Deprived Areas ist. Eine Projektplanung kann daher nur schief gehen.

Um das zu lösen, braucht es genauere Daten bzw. Algorithmen, die Gebäude und Häuser automatisch erkennen und so eine bessere Schätzung abgeben können. Solche Algorithmen gibt es zwar, etwa von Microsoft und Bing. Sie erkennen mithilfe von Satellitenbilder und künstlicher Intelligenz jedes Gebäude automatisch und kartieren es anschließend. Was in der Praxis toll klingt, ist in der Realität leider etwas komplexer. Denn der Algorithmus ist in den USA und in Kanada entworfen worden. Wendet man ihn nun in Uganda und Tansania an, wie das der Fall ist, erkennt er viele Häuser nicht: „Es handelt sich hier um einen systematischen Bias. Die am dichtesten bebauten Gebiete sind im Prinzip Slums. Da versagen die Algorithmen aber oft, weil sie auf die übliche Stadtstruktur im globalen Norden trainiert werden.“ Was folgt, ist eine systematische Unterschätzung von Armutgebieten.

„Die Algorithmen versagen, weil sie auf die übliche Stadtstruktur im globalen Norden trainiert werden.“

Kuffer versucht daher, bessere Algorithmen zu entwickeln, die auch darauf trainiert werden, Armutsgebiete auf Grundlage öffentlich zugänglicher Bilder und künstlicher Intelligenz zu erkennen. Wichtig sei bei all dem, dass Daten sensibel behandelt werden müssen: „Wir müssen uns immer fragen, welche Darstellungsmethoden verhindern, dass Daten in falsche Hände kommen. In Hände, die dazu führen, dass Gebiete als Entwicklungsmöglichkeit angesehen werden, wo dann plötzlich die Bulldozers vor den Türen stehen und Menschen über Nacht aus ihren Häusern werfen. Das ist in Nairobi während des Covid-Lockdowns passiert, obwohl es nicht passieren hätte dürfen. Verbesserte Datengrundlagen könnten solche Maßnahmen verstärken“

Keine digitale Strategie in Österreich

Auch in Österreich beschäftigt sich die Entwicklungsagentur ADA (Austrian Development Agency) schon länger mit der Frage nach Digitalisierung und dem Digital Divide. Das hat sich auch im Drei-Jahresplan der Österreichischen Entwicklungspolitik niedergeschlagen, der noch bis 2021 gültig ist. Einen genauen Plan hat man aber noch nicht, erklärt Erwin Künzi von der ADA in der Online-Veranstaltung: „Im Gegensatz zu anderen Gebern haben wir jetzt noch keine dezidierte Strategie oder Leitlinie. Es gibt auch keine Anleitung auf operativer Ebene, wie wir konkret mit Digitalisierung umgehen. Aber wir orientieren uns sehr stark an dem, was die belgische Entwicklungszusammenarbeit entwickelt hat.“

Man wolle Digitalisierung in Zukunft somit einerseits für eine bessere Daten- und Informationsgrundlage in der Projektplanung, im Monitoring und der Evaluierung von Programmen bzw. Projekten nutzen, andererseits wolle man das, was man als Mainstreaming oder Querschnittsansatz in Programmen versteht, stärker einsetzen. „Das heißt also, bei jeder Intervention zu überlegen: Gibt es Möglichkeiten, durch digitale Anwendungen die Zielgenauigkeit zu verbessern und die Inklusion bzw. die Effektivität unserer Arbeit zu stärken?“.

Finanzielle Leistungen Österreichs

Im Jahresbericht der ÖFSE kommt man zu dem Schluss, dass in Österreich der politisch Willen für eine Steigerung der Entwicklungsfinanzierung in den letzten Jahren eindeutig gefehlt hat: „Während die Steigerung der internationalen Entwicklungsfinanzierung bislang bestenfalls in kleinen Schritten gelang, hat die COVID-19 Pandemie zumindest gezeigt, dass in globalen Krisen die politische Bereitschaft der Regierungen der westlichen Industrieländer groß ist, alles zu tun, um die nationale Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und dafür auch Verschuldungen in Kauf zu nehmen", schreibt der stellvertretende ÖFSE-Leiter Michael Obrowsky in seinem Fazit.

So hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen bereits 1970 das Ziel festgelegt, dass jedes entwickelte Land 0.7 Prozent seines Bruttonationaleinkommens Entwicklungsländer zur Verfügung stellen sollte – die sogenannte ODA (Official Development Assistance). Mit der Beschlussfassung der Sustainable Development Goals (SDGs) im Jahr 2015 wurde dieses Ziel rechtsverbindlich. Im Jahr 2019 haben, nach den aktuellsten Daten, wohl nur fünf Länder (UK, Schweden, Dänemark, Norwegen und Luxemburg) die 0.7 Prozent-Hürde erreicht.

„Der politische Wille Österreichs fehlt“

Österreichs Höchstwert lag 2005 bei 0,52 Prozent. 2018 waren es 0.26 und 2019 vermutlich 0.27 Prozent. Zu den ODA-Leistungen zählen neben der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit und anderen öffentlichen Leistungen auch private Investitionen, Exportkredite und Zuschüsse von privaten Hilfsorganisationen. Man darf sich diese Anrechnungen aber nicht sehr eng vorstellen: Angerechnet für die ODA werden auf bilateraler Ebene etwa auch Kosten, die Studierende aus Entwicklungsländern rein rechnerisch an Universitäten verursachen würden.

Für das Jahr 2020 schätz Michael Obrovsky, dass vor allem private Leistungen von Firmen aufgrund der Krise stark abgenommen haben. Auch Überweisungen von Gastarbeiter*innen, die zwar nicht zur ODA zählen, aber für viele Familien und Länder eine bedeutende Finanzierungsquelle sind, werden stark wegfallen. Gerade in Zeiten von Krisen ist es deswegen wichtig, dass die öffentlichen Entwicklungsgeldern aufrecht bleiben.

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