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Simon Welebil

Skitourenguru: „Tourenplanen kann ein Algorithmus besser“

Das Onlinetool „Skitourenguru“ erleichtert die Planung einer Skitour immens, indem es den aktuellen Lawinenlagebericht mit Tausenden gespeicherten Skitouren abgleicht. Diesen Winter ist das Schweizer Tool auch für Österreich verfügbar und läutet einen Paradigmenwechsel im Bergsport ein.

Von Simon Welebil

Algorithmen dringen immer weiter in unsere Leben vor, sogar in Bereiche wie den Ski- und Snowboardtourensport. Günter Schmudlach aus der Schweiz hat vor ein paar Jahren das Tool Skitourenguru entwickelt. „Ursprünglich war die Idee hinter Skitourenguru Arbeitsersparnis. Ich war es leid, jeden Freitag- und Samstagabend 200 Skitouren durchzuchecken, die von Zürich aus erreichbar sind“, so der begeisterte Tourengeher und Programmierer im Interview zu seiner Motivation.

Am Dienstag, 15.12.2020, gibt es auf Radio FM4 einen Schwerpunkt zum Thema Lawinenprävention.

Simon Welebil stellt in „FM4 Connected“ das Tool Skitourenguru vor, und Michael Troll berichtet in der „FM4 Homebase“ vom Risk’n’Fun Lawinencamp der Alpenvereinsjugend und einer Lawinenerfahrung, in der er das eben Gelernte gleich anwenden musste.

Wer auf Skitour geht, will möglichst vermeiden, unter eine Lawine zu geraten. Dafür gilt es, eine Tour auszuwählen, die der Lawinenwarnstufe angemessen ist. Ganz generell gilt dabei: Je höher die Lawinenwarnstufe, desto weniger steil darf das Gelände sein, in dem ich unterwegs bin. Dann gibt es aber auch noch andere Kriterien wie die Höhenlage, in welche Richtung ein Hang geneigt ist etc. Das mit möglichen Touren auf einer Karte abzugleichen ist Schmudlach zu lästig geworden.

„Das kann ein Algorithmus besser“, hat der Softwareentwickler Schmudlach gedacht, denn ein Algorithmus ist fleißig und konsistent. „Wir Menschen sind zwar manchmal auch fleißig, aber das sind wir dann nicht mehr, wenn wir sehr repetitive, langweilige Arbeiten machen müssen. Eben die erste Route abgleichen mit dem Lawinenlagebericht, die zweite, die dritte... Die zehnte machen wir vielleicht noch, aber die zweihundertste machen wir ganz sicher nicht mehr“, so Schmudlach.

Screenshots aus Skitourenguru

Screenshot Skitourenguru.ch

Alle Touren der Ostalpen am 13.12.2020 abends

Was macht der Skitourenguru?

Das Tool geht die einzelnen Skitourenrouten, die als GPS-Tracks gespeichert sind, in 10-Meter-Schritten durch, betrachtet dabei überall das Gelände und vergleicht es mit den Informationen aus dem Lawinenlagebericht. Diese Informationen werden für alle 10-Meter-Schritte zu einem Risiko verknüpft, die in ihrer Gesamtheit einen Risikoindikator ergeben. Der wird dann in Form einer Ampel kommuniziert, wobei Grün für ein geringes Risiko steht, Orange für erhöhtes und Rot für hohes Lawinenrisiko.

Der Algorithmus hinter diesem Risikoindikator ist ziemlich komplex. Neben den schon erwähnten Faktoren Lawinenlagebericht, Hangexposition und Steilheit fließen noch weitere Geländeparameter aus einer eigenen Lawinenklassifikationskarte ein, die Hanggröße, Hangform und Bewaldung berücksichtigen, aber auch Unfalldaten von fast 1.500 Lawinenunfällen, die wiederum in Relation zur Begehungshäufigkeit gesetzt werden.

Screenshots aus Skitourenguru

Screenshot Skitourenguru.ch

Beispieltour aus der Tiroler Kelchsau, die ich vergangenes Jahr bei schwierigeren Bedingungen unternommen habe.

Alles für die Tourenvorbereitung auf einem Screen

Wenn man den Algorithmus für die Skitourenplanung verwendet, fallen sofort viele ungeeignete Touren weg, wobei der Anspruch weitergeht, so Schmudlach, denn das Tool soll alle Informationen für eine gute Planung konzentriert zur Verfügung stellen: den Routenverlauf, mögliche Schlüsselstellen in Bezug auf die Lawinengefahr, den Schwierigkeitsgrad bezogen auf die alpine Technik, die Länge, Höhenmeter, sogar die Schneelage (letztere auf Basis von Satellitendaten, zumindest in einer Beta-Version). „Also alles auf einem einzigen Screen am Schluss. Und mit diesem einen Screen kann ich eine gute Tourenvorbereitung machen.“

Der Skitourenguru macht die Planung zu Hause, also am Tag vor der Tour, schneller, übersichtlicher und einfacher. Für Michael Larcher, den Leiter der Abteilung Bergsport im Österreichischen Alpenverein, ist es ein logischer Schritt, gerade bei der Tourenplanung, wo so viele Informationen einfließen, auf Algorithmen zu setzen, um den Skitourengeher*innen eine bessere Risikoeinschätzung zu ermöglichen und Unfälle zu verhindern, weshalb der Alpenverein die Verwendung des Tools auch unterstützt.

Screenshots aus Skitourenguru

Screenshot Skitourenguru.ch

Die Bedingungen am Gilfert sind am 13.12.2020 etwas heikler.

Ein Algorithmus ersetzt keine Ausbildung

Die Planung ist aber nur die erste Phase einer Skitour. Den Plan muss man bei der tatsächlichen Tour dann auch hinterfragen können, wenn man die Bedingungen tatsächlich erlebt. Da kann dann der Skitourenguru nicht mehr weiterhelfen, wie auch Schmudlach betont: „Wenn ich am nächsten Tag rausgehe ins Gelände und auch noch im Einzelhang stehe, dann hab ich ja plötzlich ganz andere Informationen zur Verfügung. Also ich weiß, wie verfahren der Hang ist, ob ich Alarmzeichen gehabt habe. Sind da viele andere Leute unterwegs? Wie ist das Wetter? Also ich weiß eigentlich viel mehr als der Algorithmus und kann deshalb auch nochmal eine angemessenere Risikobeurteilung machen als der Algorithmus - wenn ich’s kann!“

Genau deshalb sieht auch Michael Larcher vom Alpenverein in dem Tool keine prinzipielle Änderung der Empfehlungen des Vereins, nämlich sich auszubilden, wenn man abseits der gesicherten Pisten unterwegs ist. „Jeder, der tauchen geht, macht einen Tauchkurs. Jeder, der ins freie Gelände geht, sollte sich aus dem vielfältigen Ausbildungsangebot der alpinen Vereine, der Bergsteigerschulen, der Bergführer, der Bergrettung was raussuchen und entsprechend Know-how aufbauen und dieses Know-how dann Schritt für Schritt in einer Forschung umzusetzen.“

Lawinenwarntafel und Notfallausrüstung

APA/BARBARA GINDL

Die Notfallausrüstung beim Tourengehen: LVS-Gerät, Sonde, Schaufel und Erste-Hilfe-Material

Für wen eignet sich das Tool?

Wenn es nach dem Entwickler selber geht, können sich wohl erfahrenere Tourengeher*innen, die schon eine gute Basis an theoretischem und praktischem Lawinenwissen gesammelt haben, und auch Bergführer*innen am meisten aus dem Tool rausholen. Unter Einschränkungen sei Skitourenguru aber auch für Touren-Neulinge geeignet: wenn sie wirklich nur grüne Touren auswählen, die technisch wenig schwierig sind, und diesen Routen dann im Aufstieg und in der Abfahrt treu bleiben und sich nicht in Versuchung führen lassen, woanders abzufahren.

Michael Larcher hingegen hält das Tool vor allem für Einsteiger*innen und leicht Fortgeschrittene für eine wertvolle Unterstützung, auch weil dieser Erfahrungsbereich dem Alpenverein öfter Sorgen bereite: „Es werden jedes Jahr mehr aktive Tourengeherinnen und Tourengeher, gerade in diesem Corona-Winter wird das so sichtbar. Viele von diesen Einsteigern bringen naturgemäß wenig Erfahrung und wenig Know-how mit. Genau für diese Zielgruppe können solche Tools zusätzlich eine wertvolle Entscheidungshilfe sein und vor diesen typischen Lawinenfallen warnen, die wir jeden Winter wieder sehen.“

Österreich noch nicht im Vollausbau

In der Schweiz sei der Skitourenguru mittlerweile zum Standard bei der Tourenplanung geworden, so Günter Schmudlach. 1.300 Touren sind hier bereits in der Datenbank vorhanden. In den Ostalpen, und damit auch in Österreich, ist Skitourenguru Anfang Dezember von der Demo- auf die Vollversion umgestellt worden, mit etwa 1.000 Touren. Dabei mag verwundern, dass es bisher keine Touren im Osten Österreichs gibt, das hat aber einen einfachen Grund. Schmudlach digitalisiert die Routen nicht automatisiert, sondern einzeln aus Luftbildern, topografischen Karten, Lawinengeländeklassifikationen und Tausenden real unternommenen Skitouren. „Das ist eine wahnsinnige Sisyphusarbeit“, wie er eingesteht, vor allem, weil diese Routen nach Publikation und User-Feedback dann wieder überarbeitet werden.

Schmudlach geht dabei vom Westen kommend nach Bundesländern vor. Vorarlberg und Tirol sind schon im System, im Moment steht er in Salzburg, will sich aber auch in die Steiermark, nach Kärnten, Ober- und Niederösterreich weiterbewegen. „Das wird aber wirklich noch ein paar Jahre dauern, bis da Österreich im Vollausbau angeboten wird.“ Insgesamt sieht Schmudlach ein Potenzial von etwa 3.000 Skitouren in Österreich, die er abbilden will.

Kostenlos und ohne Datentracking

Finanziert wird Skitourenguru etwa von Partnern aus der Bergsportindustrie, dem Schweizer Alpenclub und einer Stiftung, in Zukunft wahrscheinlich auch durch den Österreichischen Alpenverein, wie es Michael Larcher andeutet. Dass die Benützung von Skitourenguru kostenlos ist, war für Günter Schmudlach immer klar. Er hält nichts davon, Bezahlhürden aufzustellen wie etwa beim exzellenten Schweizer Lawinen-Ausbildungstool White Risk.

„Man investiert sehr viel Geld und eine Passion in ein Tool, macht noch eine Hürde drumherum, sodass die Leute nicht drauf zugreifen können oder wollen. Ich mag das nicht. Ich mag es nicht, für den Müllkübel zu programmieren. Ich möchte, dass die Leute das Tool brauchen können“, so Schmudlach. Auch die im Web meist gültige Daumenregel, dass, wenn man für ein Produkt nichts bezahlt, man mit den eigenen Daten selbst das Produkt sei, trifft hier nicht zu. In Skitourenguru stecken weder Google Analytics noch sonstige Tracker, die User*innen werden nur gezählt.

Am Erfolg des Skitourengurus in Österreich zweifelt Schmudlach jedenfalls nicht: „Ich denke mir, es wird genauso sein wie in der Schweiz. Die große Masse der Skitourengänger und Skitourengängerinnen wird das sofort annehmen. Und dann wird es immer auch ein paar Leute geben, die mit diesen neuen technologischen Möglichkeiten, die jetzt in ihren Lieblingssport eindringen, hadern.“

Mehr Risiko durch neue Tools?

Michael Larcher hat die Entwicklung von Skitourenguru in den letzten Jahren verfolgt. Dass Diskussionen ausgelöst werden, liegt für ihn auf der Hand, auch weil das Tool einen Paradigmenwechsel darstellt. „Es ist das erste Mal im Alpinismus, dass wir eine direkte Unterstützung bei unserer Entscheidung finden.“ Bisher hätten die verschiedenen Tools nur informiert, jetzt empfehle ein Algorithmus ein bestimmtes Verhalten, was die Gefahr blinden Vertrauens in die Technologie und ein dementsprechend höheres persönliches Risiko mit sich bringe. Michael Larcher will das aber nicht als Argumente gegen sinnvolle Technologie sehen. Der Alpenverein will die technologische Entwicklung begleiten, „mit entsprechender Aufklärung und entsprechender Bewusstseinsbildung, um nicht letztlich dorthin zu kommen, dass man mit diesen nützlichen Tools unter Umständen gefährlicher lebt als vorher.“

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