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Karosh Taha und ihr zweiter Roman „Im Bauch der Königin“

Fehlende Väter, alleinerziehende Mütter und Geschlechterrollen, gegen die rebelliert wird: Karosh Taha erzählt in ihrem Roman „Im Bauch der Königin“ von kurdisch-deutschen Jugendlichen im Ruhrgebiet.

Von Michaela Pichler

Jungs dürfen nicht weinen, Mädchen müssen brav sein, Männer werden für die Anzahl ihrer Sexualpartnerinnen gefeiert, Frauen werden stigmatisiert – das sind toxische Stereotype, die in unserer Gesellschaft noch immer tief verankert sind. Ähnlich geht es auch den Protagonist*innen im Buch „Im Bauch der Königin“: Die Autorin Karosh Taha erzählt in ihrem zweiten Roman vom Aufwachsen kurdisch-deutscher Jugendlicher im Ruhrgebiet. Wie es sich anfühlt, wenn der Vater vor Heimweh die Familie verlässt. Und wie es sich anfühlt, gegen Geschlechterrollen im eigenen Viertel zu rebellieren und damit immer wieder anzuecken, die Mutter zu enttäuschen oder damit den eigenen Sohn zu verletzen.

Karosh Taha  "Im Bauch der Königin"

Dumont Verlag

Der Roman „Im Bauch der Königin“ von Karosh Taha ist im Dumont-Verlag erschienen und ist Tahas zweites Werk.

"Und immer fragten sie mich, wie ich es angestellt hatte, den neuen Jungen, der wesentlich größer und stärker war, zu verprügeln, und ich erzählte, weil mir jeder zuhörte und mich glauben ließ, etwas Bedeutendes vollbracht zu haben, und ich erzählte, weil die Männer sich freuten und die Frauen sich ärgerten, weil mein Vater mich auf den Schoß nahm und mich aufforderte, die Geschichte seinen Männerfreunden zu erzählen, als wäre sie eine seiner Anekdoten, als wäre ich seine Handpuppe.“

So beginnt die Geschichte von Amal im Roman „Im Bauch der Königin“ - einem jungen Mädchen im Ruhrgebiet, Tochter kurdischer Eltern, die ihre Heimat verlassen mussten und in Deutschland ein neues Leben aufgebaut haben. Amal wächst in diesem neuen Leben auf, lauscht den Geschichten ihres Vaters, der von der alten Heimat erzählt. Amal schneidet sich ihre langen Haare ab, prügelt sich mit Jungs und freundet sich mit Younes an. Dessen Mutter Shahira wird im ganzen Viertel von allen Frauen gemieden. Sie führt ein selbstbestimmtes Leben, hat mehrere Liebhaber und zieht mit ihren Outfits alle Blicke auf sich. Younes wird von den anderen Kindern als „Hurensohn“ beschimpft.

„Younes passt gut darauf auf, nicht mit seiner Mutter in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Shahira ist ein Geist, der Younes umspielt und ständig mit uns ist, ohne dabei zu sein, als wären wir gefangen in ihrem Bauch.“

Was Amal und Younes verbindet, ist das Fehlen ihrer Väter. Beide sind in Deutschland nicht glücklich geworden, sie durften ihren eigentlichen Berufen nicht nachgehen. Amals Papa war in der alten Heimat ein erfolgreicher Architekt, in Deutschland werden seine Ausbildung und Berufserfahrung nicht anerkannt - „als könnte man die eigenen Fähigkeiten verlieren, wenn man eine Landesgrenze überschreitet“. Beide Väter sind wieder zurück nach „Kurdistan“ gegangen, ohne die Familie. Während Amal ihrem fehlenden Vater nachtrauert, zieht sie die Wut und Enttäuschung der Mutter immer wieder auf sich. Die Mutter nennt ihre Tochter „Mogli-Mädchen“ und macht den Vater für Amals Rebellionen verantwortlich.

„Die Direktorin nannte mich emotional gestört, und Mutter strich sich über den Kugelbauch, weil sie im achten Monat schwanger war, und sagte der Direktorin, sie bete zu Gott, es möge ein Junge sein, nicht noch ein Mädchen, ein Mogli-Mädchen. ‚Vater habe mich verzogen, und nun habe er sich verzogen‘, erzählte sie der Direktorin.“

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Wie es Familien mit Fluchterfahrung in Deutschland geht, die ihre Heimat „Kurdistan“ verlassen mussten, hat Karosh Taha auch schon 2019 in ihrem Debüt „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ verhandelt. Im neuen Werk geht die kurdisch-deutsche Autorin noch einen Schritt weiter, indem sie nicht nur die unterschiedlichen Konflikte mehrere migrantischer Familien skizziert, sondern auch mit der Perspektive spielt.

Was gehört sich für eine kurdisch-deutsche Frau – und was nicht? Dieser Frage begegnet man im Buch „Im Bauch der Königin“ von Karosh Taha nicht nur einmal. In ihrem zweiten Roman treten Frauen auf, die mit Normen brechen und in ihrem Umfeld immer wieder anecken. Die Autorin spielt dabei formal mit Perspektiven und mit der Wahrnehmung - so ist der Roman als Wendebuch nicht nur von vorne zu lesen, sondern auch das vermeintliche Ende ist ein Anfang und ein weiterer Blickwinkel. Karosh Taha ist damit eine sprachgewandte Erzählung gelungen, die nicht nur eine Wahrheit widerspiegelt.

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