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Filmstills aus  "Sound of Metal" und "Swallow"

Amazon Studios

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„Sound of Metal“ und „Swallow“ gehen unter die Haut

Neu im Streaming-Universum: Zwei großartige Debütfilme, die auf fesselnde Weise von bedrohten Körpern erzählen.

Von Christian Fuchs

Allzu viel Positives wird man leider rückblickend nicht finden an diesem Filmjahr, das die Kinowelt ernsthaft in ihrer Existenz bedroht. Inmitten von abgesagten Dreharbeiten, Blockbustern in der Warteschleife und bedrohlichen Tendenzen in der Filmindustrie scheinen aber zumindest manche Newcomer eine Chance zu bekommen. Einige ambitionierte Debütwerke rücken in der Krise mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Unbedingt dazu gehört „Sound of Metal“, ein Film, dessen Kinostart zwar der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen ist, der aber doch im Internet Wellen schlägt. Regisseur Darius Marder ist zuvor schon als Autor mit einem Drehbuch aufgefallen. Das epische Familiendrama „The Place Beyond The Pines“ hat er für seinen Freund Derek Cianfrance geschrieben, ein Hang zu körperlicher Expressivität flackert auch darin auf.

Filmstills aus  "Sound of Metal" und "Swallow"

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Eine filmische Erfahrung

„Sound of Metal“ wird seinem Titel nun mit den allerersten Bildern gerecht. Wir sind mittendrin im Auftritt eines Heavy-Duos, vor begeistertem Publikum. Tonnenschwere Gitarren dröhnen, kreischendes Feedback umhällt den Raum, eine junge Frau brüllt ins Mikrophon. Während sich Sängerin Lou (Olivia Cooke) die Seele aus dem Leib schreit, hämmert Schlagzeuger Ruben (Riz Ahmed) martialisch in sein Drumset. Bis plötzlich der Sound of Metal dumpf wird, wie in Watte verpackt.

Ruben erleidet einen Hörsturz, mitten während des Auftritts. Und auch für uns Zuseher ändert sich auf drastische Weise das Klangbild des Films. Darius Marder arbeitet so extrem mit dem Sounddesign wie kaum ein anderer Regisseur im Moment. Wir sind als Publikum quasi im Kopf des fassunglosen Metaldrummers, der sein Gehör verliert - und das wird bis zum Ende auch so bleiben, „Sound of Metal“ ist kein konventionelles Drama, sondern pures Körperkino, eine filmische Erfahrung.

Filmstills aus  "Sound of Metal" und "Swallow"

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Nach dem ersten Schock schlägt Ruben seiner Musikpartnerin vor, doch einfach weiterzumachen, the show must go on. Lou ist auch seine Freundin, die beiden leben gemeinsam in einem Tourbus, alles steht auf dem Spiel. Aber bald ist klar: Die Situation ist noch viel schlimmer als befürchtet. Ruben zieht in ein Selbsthilfe-Camp für Gehörlose, er bringt auch noch eine Vergangenheit als Heroinsüchtiger mit.

"Sound of Metal“ ist brilliant besetzt. Dass ausgerechnet der oft ausgesprochen quirlig agierende Brite Riz Ahmed in der Hauptrolle zum Stillstand gezwungen wird, wirkt besonders beklemmend. Großartig auch, dass die Story bis zum Finale völlig unberechenbar bleibt. Nur soviel: Auf das rührselige Pathos üblicher Durchhaltefilme wartet man vergeblich.

Wie aus dem Lifestyle-Bilderbuch

Dieses Fazit passt auch zum Erstlingswerk des US-Regisseurs Carlo Mirabella-Davis. „Swallow“ zieht uns abrupt in den Alltag einer perfekten amerikanischen Familie hinein, die wie aus dem Lifestyle-Bilderbuch anmutet. Hunter (Haley Bennett) und Richie (Austin Stowell) verkörpern ein junges Traum-Ehepaar in einem ausgesprochen gediegenen Ambiente.

Der reiche Geschäftsmann, in seiner Glattheit wie den Romanen von Bret Easton Ellis entstiegen, liebt seine blonde Gattin über alles, versichert er ihr. Auch wenn sie aus der unteren Mittelklasse kommt. Die überschäumenden Komplimente entlocken der entrückt scheinenden Hunter stets ein puppenhaftes Lächeln, das leicht gefriert. Die skeptische Schwiegermutter fragt manchmal: „Are you happy or are you pretending to be happy?“

Filmstills aus  "Sound of Metal" und "Swallow"

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Natürlich stimmt etwas nicht mit dieser pastellfarbenen Idylle. Zu übertrieben ist die Makellosigkeit des Szenarios, „Swallow“ wird zudem als Thriller verkauft, teilweise als Horrorfilm angekündigt, da muss also etwas Drastisches geschehen. Es gibt aber keine Geister im Luxushaus. Die Dämonen, die sich in Hunters Seele einnisten, sind keineswegs übersinnlicher Natur.

Die märchenhafte Ehefrau entwickelt parallel zu ihrer Schwangerschaft einen bedrohlichen Zwang: Sie beginnt im Geheimen Gegenstände aus dem Haushalt zu schlucken. Zuerst nur eine kleine Murmel, aber die Objekte werden größer und spitzer. Irgendwann fliegt Hunters Obsession durch einen ekligen Unfall auf. Richie realisiert, dass er eine schwer traumatisierte Frau geheirat hat, kein easy going trophy wife. Der Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik wartet.

Großmütter als Haupteinfluss

Bis zu diesem Punkt wirkt „Swallow“ wie eine bösartige Satire auf den neoliberalen Kosmos der Erfolgreichen und Schönen. Stlisicher inszeniert, sarkastisch, aber auch ein bisschen oberflächlich. Dann biegt der Film auf eine zutiefst persönliche Ebene ab und geht wirklich unter die Haut. Wir erfahren von den dunkelsten Momenten aus Hunters Vergangenheit. Wir begeben uns mit der fantastischen Haley Bennett auf einen femininen Selbstermächtigungs-Trip. Bis hin zum radikalsten Filmende des Jahres.

Filmstills aus  "Sound of Metal" und "Swallow"

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Tatsächlich gibt es, neben all der physischen Bedrohung, ein Bindeglied zwischen den sehr unterschiedlichen Filmen. Darius Marder wurde zu „Sound of Metal“ vom Schicksal seiner Großmutter inspiriert. „My grandmother went deaf“, erzählt der Regisseur dem Collider-Magazin. „The film is dedicated to her, and she fought her whole life for open captions.“ Tatsächlich lassen sich die Untertitel bei dem Film nicht wegschalten, viele der Dialoge würde man in ihrer Abgedämpftheit sonst gar nicht verstehen.

Sound of Metal“ und „Swallow“ sind beide via Amazon Prime zu sehen

Und auch „Swallow“ ist von der Oma von Carlo Mirabella-Davis beeinflusst. Die Frau wurde von ihrem Ehemann in eine Anstalt eingewiesen, nachdem sie einen chronischen Waschzwang entwickelte. Am Ende der Behandlung stand die grausame Praktik der Lobotomierung.

Filmstills aus  "Sound of Metal" und "Swallow"

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Was die beiden Debütregisseure noch vereint, ist ihr spezieller Zugang zu den verhandelten Themen. Marder und Mirabella-Davis bewegen sich zwar auf einem schroffen Terrain, das einen an dezitierte Problemfilme denken lässt, an Body-Horror-Tabubrüche oder die strengen Werke eines Michael Haneke. Aber „Sound of Metal“ und „Swallow“ sind auch deutlich in der Popkultur verankert. Und es geht neben Verstörung vor allem um Berührung. Bei aller Härte setzen diese Filme auf eine Überdosis Menschlichkeit.

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