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v.l.n.r.: Alica Ouschan, Stefan Trischler, Lisa Schneider, Andreas Gstettner-Brugger, Clemens Fantur, Michaela Pichler & Christian Pausch

v.l.n.r.: Alica Ouschan, Stefan Trischler, Lisa Schneider, Andreas Gstettner-Brugger, Clemens Fantur, Michaela Pichler & Christian Pausch

Blick zurück (mit Masken)

Was hat sich in dem Jahr, das so vieles verändert hat, in der österreichischen Musik getan? Das Soundpark-Team blickt zurück.

Wie instabil das Fundament für weite Teile unserer Gesellschaft in den letzten Jahren geworden ist, hat uns das Seuchenjahr eindrücklich vor Augen geführt. Neben dem medizinischen Bereich wurde dies auch in der Kultur schnell sichtbar, und in den Nischen der österreichischen Popmusik nochmal extra stark. Wenn der Konzertbetrieb mit wenigen Pausen mehr als neun Monate ruht, fällt die frappierende Verteilungsungerechtigkeit der Streaming-Anbieter umso stärker auf. Und die vielen tausenden Musik-, Club- und Veranstaltungs-Arbeiter_innen aus dem Umfeld unserer Welt kriegen nicht einmal diese Brösel ab. Ihnen, den Musiker_innen und uns allen wünschen wir, dass unsere Lieblings-Locations und -Festivals bald wieder in Gang kommen!

Trotz alledem ist auch in diesem Jahr soviel mitreißende Musik erschienen, der menschliche Geist und Schaffensdrang ist also noch lange nicht gebrochen. Hier ist deshalb das österreichische Pop-Jahr aus Sicht der FM4 Soundpark-Redaktion - zuerst zum Hören und dann auch zum Lesen und Schauen!

Clemens Fantur

Liebes 2020, von dir habe ich heuer Einiges lernen dürfen. Zum Beispiel, dass ich Laufen hasse. Nur wenn ich laufe, dann liebe ich Laufen. Oder aber auch, dass Zeit scheinbar wirklich relativ ist, denn kaum ein anderes Jahr ist bis jetzt so verdammt langsam und dann doch wiederum so schnell vergangen wie dieses. Und, dass auf Eines wirklich immer Verlass zu sein scheint: heimische Musikerinnen und Musiker. Da ist in den vergangenen Monaten schon wirklich Großartiges in den Studios bzw. wohl dann doch eher vermehrt in den diversen Wohn- und Schlafzimmern dieses Landes entstanden. Wobei ich das Gefühl habe, dass uns die richtige Flut an neuen Releases erst 2021 über uns hereinbrechen wird.

Vier Bands bzw. Musikerinnen und Musiker möchte ich aber an dieser Stelle hervorheben. Da ist zum ersten die ganz wunderbare FARCE, die mit ihrer Coverversion des 90ies-Superhits „Kiss Me“ der US-amerikanischen Pop-Rocker Sixpence None The Richer einen meiner engsten musikalischen Begleiter für dieses Jahr veröffentlicht hat. Dann die spannenden Sharktank aka Marco Kleebauer (Leyya, Oehl, Bilderbuch, etc, etc. etc.), dem Rapper Mile und Katrin Paucz, mit dem schönen Song „Washed up“, der nur ahnen und noch viel mehr hoffen lässt, dass hier bitte mehr kommen möge!

Und auf gar keinen Fall möchte ich die Band mit dem besten Bandnamen der Welt in diesem Jahr missen: My Ugly Clementine. Ich glaube, allzu viel muss ich sie an dieser Stelle gar nicht mehr loben, denn ich bin mir sicher, dass einer meiner Kolleginnen oder Kollegen, dass in diesem Jahresrückblick bestimmt schon ausführlich getan hat! Deshalb schnell zu meinem letzten Song des Jahres: dem traumhaften “Happen 2 be there” von Sofie aka Sofie Fatouretchi. Muss ich sie noch vorstellen? Ihr kennt sie vom Boiler Room, Stones Throw, der Angewandten, Sofies Tapes, etc, etc, etc. Sofie beweist auf ihrem Debütalbum “Cult Survivor”, dass sie einfach Ahnung von Musik hat, eine echte Musikexpertin ist. Wie locker sie all das auf ihrem Debüt vereint, ist beeindruckend. “Happen 2 be there” ist das letzte Stück auf dem Album und ein Traum. Er ist melancholisch und tanzbar. Und passt auf ganz eigenartige Weise zu diesem Jahr, denn irgendwann werden wir zurückschauen und sagen: We happened 2 be there. <3

Andreas Gstettner-Brugger

Es geht wahrscheinlich vielen so: Mein Zeitgefühl ist total durcheinander. Im Zuge des Jahresrückblicks kommt mir der Release des Debütalbums „Über Nacht“ von Oehl vor, wie aus einer anderen Zeit. Es ist eines der schönsten Alben, die uns dieses Jahr beschert hat. Voller Poesie und Pop. 2020 war aber auch einmal mehr das Jahr der weiblichen Stimmen für mich. Das Album „Homesick“ von der großartigen Sängerin Avec hat mich ebenso berührt wie das Debüt „What Do You Desire?“ von dem Wiener Duo Elis Noa. Musikalisch in eine ähnliche, soulig-poppige Richtung geht meine Neuentdeckung des Jahres 2020, das Duo Gazelle & The Bear. Ines Kolleritsch und Julian Breann verbinden älteren Morcheeba-Flair mit zeitgeistiger, transparenter Produktion.

Eine altbekannte Frauenstimme in neuem musikalischen Gewand ist Clara Luzias neues Projekt Wald, das durch die weiche Atmosphäre und hypnotische Stimmung der Songs sich auszeichnet. Ganz zu schweigen von den Corona-Lockdown geschuldeten, grandiosen Coverversionen „Only Time“ von Mira Lu Kovacs und „What’s Up“ von Soap&Skin. Und es war für mich überraschender Weise wieder einmal das Jahr der Singer/Songwriter. Denn neben dem jungen Musiker Baswod hat auch einer der besten Songschreiber Österreichs, Martin Klein, ein neues Album veröffentlicht. Das Debüt Kentertainment vom Wiener Duo Tombadour verbindet wiederum Reggae und Jazz mit dem Wienerlied. Eine Wandlung vom minimalistischen Singer/Songwriter zum energetischen Bandsound hat Felix Kramer mit seinem Album „Alles gut“ vorgenommen. „Red ma halt einfach was anderes“, einer der Highlights für mich mit seinen Mariachi-Trompeten und dem Calexico-artigen, energetischen Sound. Ich bin mir sicher, dass auch 2021 viel an guten, neuen, frischen Songs und Alben zu bieten haben wird.

Alica Ouschan

2020 hab ich so viele neue österreichische Lieblingsacts entdeckt wie schon lange nicht mehr, außerdem war meine Playlist mit Songs aus Österreich heuer erstaunlich bunt durchgemischt – von Rock über Hip-Hop, 80ies Vibes, Gitarren-Pop und Clubmusik war echt alles dabei! Angefangen mit Mavi Phoenix musikalischem Coming Out als großartiges Debut Album, über Cloudelvis, die wahrscheinlich weirdeste „Boyband on Acid“ die Österreich je gesehen hat und meine wiederentdeckte Liebe für Left Boy, der jetzt Ferdinand heißt, bis hin zu sogenannten „Newcomern to watch for 2021“, wie der Wiener Rockband ELSA oder dem souligen R’n’B Duo Aze. Leyya haben seit Ewigkeiten eine neue Single released und von Farce gabs Musik, die den Vibe von 2020 perfekt einfängt und uns ins neue Jahr tanzen lässt, was gibt’s Schöneres?

Naja eines vielleicht... Ein Song, der mich 2020 komplett umgehauen hat ist „Ladies“ von der Wiener R’n’B Künstlerin Keke, denn der Track ist textlich wie musikalisch der absolute Wahnsinn. Kekes Musik hatte zwar schon immer feministische Züge, aber damit hat sie sich in Sachen female Empowerment nochmal selbst übertroffen. „Ladies“ ist ein sehr politischer Song und das auf eine sehr zugängliche Art und Weise – sodass Keke mit dem Feminismus und der Stärke, für die sie steht, durch diesen Song auch viele junge Frauen erreicht. Wenn man einen Blick auf die Kommentare unter dem Musikvideo wirft, sind da einige „Ladies“ in ihren frühen Teens dabei – umso besser, dass sich der musikalische Stil des Songs in genau die Dancehall-Trap-Latin-Pop-Richtung bewegt, die im Mainstream Hip Hop gerade gefeiert wird. Denn dort herrscht ja leider auch nach wie vor ein ziemlich einseitiges Frauenbild vor, oft haben Frauen dort sogar überhaupt keinen Platz. Keke nimmt sich diesen Platz mit dieser Hymne gebührend und kompromisslos und nimmt all ihre Ladies gleich mit.

Christian Pausch

Irgendwie ist es ja ein bisschen frech einen Song im Jahr 2020 „Repeat“ zu nennen, denn niemand will, dass sich dieses Jahr wiederholt. Beim Song von Dacid Go8lin habe ich aber immer wieder auf Repeat gedrückt und deshalb passt der Titel perfekt. Der Wiener Rapper hat mich das ganze Jahr über begleitet, seit dem einschneidenden Video zu „Immigrant“ im Jänner, über Songs wie „WTF“ und „Ich hab kein Bock“ - was auch ein Mood war in diesem Jahr - bis zur EP „It’s Ur Birthday“, die vier fantastische Songs übers Schlussmachen enthält.

Das wunderschöne Video zu „Repeat“ tut dann noch sein übriges: Queerness & Body Positivity at its best, das schadet ja nie, aber vor allem nicht dieses Jahr, wo es statt dem Druck zur Selbstoptimierung (whatever that is) nachzugeben, schon ein schönes Statement war, wenn man auf der Couch liegen blieb und einfach ganz man selbst war.

Michaela Pichler

Sehnsucht hat in Österreichs Musikszene vielleicht noch nie so gut geklungen wie in diesem seltsamen Jahr. Sie ist Treibstoff und Katalysator für Songs, die zum Träumen einladen, zum Realität-Verdrängen, nostalgisch Zurückblicken oder einfach nur zum kurzzeitig Ausreisen auf einen anderen Planeten. Und davon gab es 2020 einige: Angefangen mit Künstlerin Sofie Fatouretchi alias Sofie zum Beispiel. Die als Malerin, Radio-Host, DJ und Musikerin umtriebige Tausendsassarin war mit ihrem Debütalbum „Cult Survivor“ im Juni unser Soundpark Act des Monats. Darauf verbergen sich einige erstklassige Lo-Fi-Perlen. Inspiriert wurde Sofie teilweise von Gedichten und Kurzgeschichten, entstanden sind dabei Realitätsflucht-Balladen wie „Asleep“. Besondere Empfehlung: Der Song „Guest“ als Hommage an den US-amerikanischen Poeten Paul Guest.

Mit dem großartigen Coversong „What’s up?“ von Soap&Skin konnten wir heuer kurz innehalten und zum tausenden Mal danach fragen, was zur Hölle eigentlich auf dieser Welt los ist!? Als besonderste Live-Erfahrung dieses Jahr hat sich dann außerdem das Konzert von Anja Plaschg und ihrem Ensemble in der Karlskirche beim verkürzten Popfest für immer eingeschrieben in die Live-Musik-Seele.

Meister*innen im Melancholie-Schüren waren heuer außerdem Pauls Jets: Das Wiener Trio hat im Frühling ihr zweites Langspiel-Werk veröffentlicht, „Highlights zum Einschlafen“ - oder eben Nicht-Schlafen, sondern Schwelgen. Niemand anderes singt so schön vom weitentfernten Meer, das heuer noch viel weiter weg war als sonst. In den Texten von Pauls Jets verbergen sich poetische Zeilen und persönliche Liebesbekundungen, die so vorsichtig daherkommen, dass man sie fast verpassen könnte. Es ist schwer, sich bei der Pauls-Jets-Songliste einen Favoriten auszusuchen, „Blizzard“, „Die dunklen Prinzessinnen der Nacht“ und „Weisst du wie es wird?“ sind jedenfalls ganz vorne dabei. Platz 1 ist aber dann doch eines dieser unscheinbareren Lieder geworden, mit der schönste Frage, die man einer Person stellen kann: „Willst du mit mir eine Band gründen?“ <3

Lisa Schneider

In Gedanken hat dieses Releasejahr für mich in Chicago begonnen. Da, wo die Musik von Laurie sich neben altberühmten Bands wie Wilco hervorragend machen würde: Laurenz Jandl hat mit „Scientist Of Man“ sein erstes Album voll kluger und nie zu zynischer Weltbetrachtungen veröffentlicht, ganz so, wie es im Genre eingebürgerter Americana das Beste ist.

Auch gut mit Zynismus ist Johnny Batard. Der neue, beste Slackerkönig hat sein erstes Album mit dem Titel „What Do You Want Me To Say?“ veröffentlicht. Gleichermaßen charmant und unklar textet Johnny Batard mal süffisant, aber nie böse, es geht dabei irgendwie immer um die unerträgliche Leichtigkeit des Seins.

Alle Rosen für die beste LoFi-Popband des Landes gehen heuer einmal mehr an Tents, die mit „Hex“ eine elegant-gruselige Romanze aufgenommen haben. Wer da wen liebt, bleibt geheim, es gibt einen Johnny, der durchs Lied stolpert, und eine gut gefütterte Synth-Bassline. Alles rätselhaft und raffiniert, keine Opulenz, nur schnörkellose Schönheit.

Einen Song des Jahres hat auch Farce veröffentlicht. Dass sie toll ist, hat sie schon längst, und nicht nur live in der Karlskirche (am damaligen Popfest 2018) oder kürzlich bei einer Session in Dalias Late Night Lemonade bewiesen. Mit „Subway Surfer“ ist ihr aber der Sprung von klug gedachter Elektronik hin zum anspruchsvollen, wunderbar feingliedrigen Popsong gelungen. Zu keinem Lied habe ich heuer öfter laut, passioniert und schrecklich falsch mitgesungen (aber auch an Soap&Skins Coverversion von „What’s Up“ denke ich mindestens zweimal pro Woche).

Außerdem: Danke Pauls Jets für das beste Bruce Springsteen-Intro seit Bruce Springsteen (Blizzard).

Ganz oben aber, an der Spitze der besten österreichischen Musik 2020, sitzt für mich eine sehr junge Band, die nicht nur den hervorragenden Namen Flirtmachine trägt, sondern da auch ein ganz bestimmtes Lied geschrieben hat. Es heißt "Lovers“. Alle, die mich kennen und vielleicht ab und an die Donnerstags-Soundparksendung hören, wären mittlerweile schwer genervt von meiner Dauereuphorie für dieses Lied und alles, was gut an ihm ist: Die DIY-Attitüde, die Frische, die Blödelei, der Hauch der frühen The Cure. Ich sage „wären“, weil dem natürlich nicht so ist – dafür ist „Lovers“ zu fabelhaft.

Stefan Trischler

Weil es oberhalb schon sehr viele gute Empfehlungen zu lesen gab, hier nur ganz kurz: Brenk Sinatra und Kreiml & Samurai machten gemeinsam nicht nur am „Würstlstand“ gute Figur, es gab schöne Comebacks von Crack Ignaz und seinem früheren Kompagnon Wandl und endlich auch wieder neue Musik von T-Ser zu hören. Eindrucksvollster Rap-Newcomer war 2020 sicher Bibiza, das „Ten Billion Angels“ Album der Produzentin Zora Jones erschuf ein faszinierendes Klanguniversum. Bleiben nur noch die unglaublichen internationalen Moves von Cid Rim und Dorian Concept zu erwähnen - und mein persönlicher Song des Jahres. Trotz vielen Quarantäne-Songs hat für mich niemand den Lockdown so gut musikalisch untermalt wie die Berlin-Wiener Supergroup Silk Mob (deren Debüt-Album im März schon lange fertig war). Party? Soziale Kontakte? Treffen? „Sonst immer gern, aber heute ned!“

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