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Buchcover "Heimatlos" vor verblasstem, grauen Hintergrund

Nischen Verlag

Der Roman „Heimatlos“ erzählt ein europäisches Flüchtlings-Drama

Der Roman „Heimatlos“ ist ein europäisches, deutsches Flüchtlings-Drama, das durch die seltene Perspektive der Karpaten/Sudeten-Deutschen neues Verständnis für Vertriebene wecken kann.

Von David Pfister

Nur wenig andere Themen neben der Corona-Krise kommen einem in den Sinn, wenn man einen Rückblick auf das Jahr 2020 wirft. Große Aufmerksamkeit neben Fallzahlen und Lockdown-Terminen, erregte beispielsweise noch die USA-Präsidentenwahl und die Tragödie des abgebrannten Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

Ein Großbrand zerstörte das Lager und den wenigen Besitz der darin Lebenden fast vollständig. Im September wurden sechs mutmaßliche Brandstifter verhaftet. Ohne Frage war die Brandstiftung eine unmoralische Tat, aber dennoch muss man die Ursache für die verzweifelte Handlung berücksichtigen. Katastrophale, unmenschliche Bedingungen in einem Lager, dass für knapp 3.000 Personen konzipiert war und in dem bis zu 20.000 Menschen lebten.

Buchcover "Heimatlos"

Nischen Verlag

„Heimatlos“ von Judit Kovats ist in einer Übersetzung von Eva Zador im Nischen Verlag erschienen.

Dennoch wird Geflüchteten mit zunehmend abnehmender Solidarität und Empathie begegnet. Die ungarische Historikerin Judit Kovats erzählt in ihrem Buch „Heimatlos“ von der Vertreibung und der Flucht der karpatendeutschen Schülerin Lili aus der Slowakei, am Ende des Zweiten Weltkriegs.

„Deutschland ist ein Trümmerland, und es ist das Land der Hungernden, auch ich habe ständig Hunger, bin schon seit so Langem hungrig, dass die Leere in meinem Magen eigentlich natürlich geworden ist, so natürlich wie der Sonnenschein oder der Regen.“

Geschichtlicher Hintergrund

Um den Roman „Heimatlos“ richtig einordnen zu können, ist vorher eine grobe, kurze geschichtliche Erinnerung notwendig. Bis Mitte des 20. Jahrhundert gab es auf vielen Gebieten der Slowakei, der Tschechei oder der Ukraine deutsche Bevölkerungsmehrheiten. Wir sprechen von Karpatendeutschen oder Sudetendeutschen.

Um diese schwierig überschaubare Situation zu verstehen, müssten wir uns auch ausführlich mit der k. u. k. Monarchie beschäftigen. Das ersparen wir uns aber mal. Auch wenn es stetig Unabhängigkeitsbewegungen der deutschen Minder/Mehrheiten gab, lebten die unterschiedlichen europäischen Volksgruppen doch in mehr oder weniger friedlicher Koexistenz miteinander. Mit der gewaltvollen Besetzung dieser Gebiete durch Nazi-Deutschland ab 1939 wurden die Karten für die deutschsprachige Bevölkerung neu gemischt, ihr Status gestärkt.

Das Ende des zweiten Weltkriegs durch den Einmarsch der roten Armee, änderte die Situation der deutschen Volksgruppe abermals. Flucht, Vertreibung, Enteignung, Gewalt, Vergewaltigung. Das ganze Leidens-Spektrum dass durch Gefühle wie Rache ermöglicht wird. Die Karpatendeutschen, die Sudetendeutschen werden in Richtung Deutschland, Österreich getrieben. Dort angekommen sind sie unter den anderen Deutschsprachigen aber auch nicht willkommen.

„Wir sprechen, denken und träumen deutsch, aber es reicht, wenn wir den Mund aufmachen, und es reicht, wenn sie uns ansehen, schon wissen sie, wir gehören nicht zu ihnen.“

Bekannte Orte, fiktive Figuren

Die ungarische Historikerin Judit Kovats hat für ihrem Roman „Heimatlos“ die fiktive Figur der Schülerin Lili erfunden. Ende des zweiten Weltkriegs muss sie aufgrund ihrer deutschen Identität vor Partisanen fliehen. Ihre Familie wird enteignet und in unterschiedlichen, ehemaligen Konzentrationslagern interniert. Es beginnt eine Spirale aus Gewalt, Hunger, Missbrauch aber auch innerfamiliärer Konflikte ausgelöst durch die Extremsituationen.

Die Figuren im Roman sind erfunden, fußen aber auf zahlreichen Interviews, die die Historikerin mit Augenzeugen und Betroffenen führte. Ein europäisches Kapitel welches wegen des teilweise deutsch-nationalen Nimbus, selten literarisch thematisiert wird. Durch die geografische Nähe von Orten die uns vertraut sind wie beispielsweise Wien, München, Bratislava oder Prag gelingt der Autorin Judit Kovacs aber eine unmittelbare Darstellung der Katastrophen Flucht und Vertreibung. Sie erweckt durch diese seltenen Blickwinkel auf die Geschichte; neue Empathie für Hilfesuchende und Geflüchtete.

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