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Vor dem Kapitol in Washington am 6. Jänner: Demonstration von Trump-Anhänger*innen

APA/AFP/ALEX EDELMAN

Wie Trump-Anhänger*innen das Kapitol stürmen konnten

Die Bilder, die bei den Ausschreitungen in Washington, D.C., entstanden sind, sind so einzigartig wie bizarr. Hunderte Anhänger*innen des scheidenden Präsidenten Donald Trump zogen durch das Kapitol. David Kriegleder erklärt, wieso sie kaum auf Gegenwehr gestoßen sind und was die Hintergründe der Aktion sind.

Von Ali Cem Deniz

Dass die Amtsübergabe nicht reibungslos verlaufen wird, war schon lange klar. Schon Monate vor der Wahl im November hatte Donald Trump angedeutet, dass eine Manipulation im Gange sei. Seine Wahlniederlage wollte er anschließend nicht akzeptieren, genauso wenig seine Anhänger*innen. Tausende versammelten sich am 6. Jänner in der US-Hauptstadt Washington, D.C., um gegen die offizielle und endgültige Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden zu protestieren.

Dabei stürmten sie auch das Kapitol, machten Selfies im Kongress und belagerten die Büros von Abgeordneten und Parlamentsmitarbeiter*innen. David Kriegleder, der bis vor Kurzem als ORF-Korrespondent aus den USA berichtet hat, analysiert die chaotischen Ereignisse.

Ali Cem Deniz: Es gibt eine Diskussion darüber, was gestern genau passiert ist. Manche sagen, es sind Proteste von Trump-Anhänger, die Angst haben, dass die Wahl „gestohlen“ wurde. Andere sagen, vor allem auf Twitter, Faschisten hätten das Kapitol gestürmt, und manche Medien schreiben sogar von einem Putschversuch. Passen diese Superlative, um das zu beschreiben, was passiert ist?

David Kriegleder

ORF

David Kriegleder

David Kriegleder: Als tatsächlicher Putschversuch war es natürlich viel zu dilettantisch. Auch wenn schon ganz lange im Vorfeld klar war, dass Trump die Armeeführung in den USA nicht hinter sich hat - allein die Tatsache, dass wir dieses Land und die Dynamik schon in solchen Kategorien analysieren, zeigt uns, wie verroht und kaputt die demokratische Kultur des Landes in den USA mittlerweile ist.

Die Parallelwelt rund um das Wahlergebnis, die Trump mit seinen Verschwörungstheorien aufgebaut hat, die hat sich in den Köpfen seiner vielen Millionen Anhänger festgesetzt. Ich würde sagen, gestern haben einige bewiesen, dass sie Joe Biden als Präsident weiter nicht akzeptieren, und mit dem Sturm des Kapitols da gewissermaßen ein Zeichen des Protestes gesetzt. Das verheißt nichts Gutes für die Zukunft.

Ali Cem Deniz: Du bist oft vor dem Kapitol gestanden, um von dort zu berichten. Kann man das Gebäude so leicht betreten, wie es auf den Videos zu sehen war?

David Kriegleder: Grundsätzlich ist dieses Areal um den US-Kongress schon sehr streng bewacht. Allerdings kann man zu einem gewissen Grad Zugang bekommen, wenn man eine Demonstration organisiert. Man kann das Kapitol auch besuchen. Aber was wir gestern erlebt haben und vor allem auch in Fernsehbildern gesehen haben, ist, dass die Kapitolspolizei, die für den Schutz dieses Objekts zuständig ist, komplett überfordert war mit diesem relativ großen Ansturm von Demonstranten.

Die Polizei verteidigt sich heute, indem sie sagt, man habe eine Sicherheitsentscheidung getroffen und die Ressourcen gebündelt, um die Abgeordneten in Sicherheit zu bringen. Daher habe man nicht mehr das ganze Gebäude abriegeln können. Aber die Optik ist natürlich verheerend, dass da diese zum Teil durchaus gewaltbereiten Demonstranten einfach reinspazieren können.

Ali Cem Deniz: Sehr auffällig waren nicht nur die Aktionen, sondern auch die Outfits von denen. Da ist dieser „QAnon-Schamane“, den man jetzt in allen Medien sieht, mit seinen Stierhörnern und mit seinem Pelz. Wer ist das? Und was für eine Bedeutung hat er für die QAnon-Bewegung?

David Kriegleder: Wenn man sich die Bilder von gestern anschaut, da war ja wirklich die Crème de la Crème der amerikanischen rechten Spinner zu Besuch. Diesen selbsternannten „QAnon-Schamanen“ habe ich tatsächlich vor einigen Monaten persönlich kennengelernt und zwar im Wahlkampf in Arizona. Er ist ein gescheiterter Schauspieler und irgendwie passte das ganz gut zu diesem gestrigen Putschversuch, der ja tatsächlich irgendwie die Qualität eines trashigen B-Movies hatte.

Wie wichtig dieser „QAnon-Schamane“ für diese ganze Bewegung ist, das traue ich mich nicht wirklich einzuschätzen. Aber ich glaube, es geht hier insgesamt viel mehr um die Macht der Bilder. Dieser irre Typ mit diesem Barbarenkostüm, der sich da bis in den Senat Sitzungssaal vorkämpfen und fotografieren lassen kann, ist natürlich ein ungeheurer Triumph für die „QAnon-Bewegung“, von dem sie noch viele Jahre zehren wird können.

Ali Cem Deniz: Bei den Aktionen waren Tausende Leute beteiligt. Sind sie repräsentativ für die Trump-Anhängerschaft oder sind das Leute, die eher die Ausnahme bilden?

David Kriegleder: Es gibt da einige gute Erhebungen und Umfragen, die zeigen, dass das „QAnon“-Verschwörungsgedankengut schon relativ weit verbreitet ist in der amerikanischen Bevölkerung, besonders bei Republikanern und Trump-Anhängern. Aber was wir gestern dort beim Aufmarsch erlebt haben, das waren sicher nicht alles Mitglieder dieser ohnehin schwer greifbaren, losen ideologischen Gruppe.

Das ist eine ideologisch vielfältige Bewegung, wenn man sie überhaupt als solche bezeichnen kann. Also da gibt es sicher „White Supremacy“- und „White Power“-Nazis, aber da gibt es auch libertäre Spinner, Waffenfanatiker, Weltuntergangsphantasten, die unter Umständen Präsident Trump selber gar nicht so nahestehen. Aber was diese Gruppen eint, ist der in solchen Aktionen zur Schau gestellte Hass und Zorn auf die Linken und Liberalen und die von den rechten Medien genährte Furcht, dass es zu einer Herrschaft der Demokraten kommt und dass das ihre Freiheit bedrohen könnte.

Vor dem Kapitol in Washington: Polizist und Protestierer treffen gewaltsam aufeinander

APA/AFP/ALEX EDELMAN

Ali Cem Deniz: Viele wollen jetzt nicht bis zum letzten Amtstag von Donald Trump am 20. Jänner warten, sondern ihn sofort aus dem Amt entfernen. Wäre das noch möglich oder was würde das überhaupt bringen?

David Kriegleder: Da wird natürlich nach den Ereignissen von gestern viel spekuliert und es gibt einige Abgeordnete auf der demokratischen Seite, etwa Ilhan Omar und andere vom linken Flügel der Demokraten, die sagen: „Wir können da jetzt nicht zu business as usual zurückkehren und einfach noch die Tage absitzen. Da muss nochmal ein Statement gemacht werden.“ Rein rechtlich gibt es eigentlich zwei Szenarien, die theoretisch möglich wären.

Das eine ist ein weiteres Amtsenthebungsverfahren, ein weiteres Impeachment gegen Trump. Das dann eine gewisse Berechtigung oder einen Sinn hätte, wenn man ihm die Unterstützung eines Aufstandes zur Last legt. Das letzte Impeachment ist zu Ende gegangen ohne eine Verurteilung. In einem neuen Impeachment-Verfahren mit Verurteilung könnte erwirkt werden, dass Trump auch künftig kein politisches Amt mehr haben kann. Das würde verhindern, präventiv, dass Trump in vier Jahren erneut antreten kann. Das wäre ein Szenario.

Man könnte außerdem probieren, von demokratischer Seite den 25. Verfassungszusatz der US-Verfassung zu aktivieren. Damit könnte eine kurzzeitige Arbeitsunfähigkeit des Präsidenten bescheinigt werden, der damit de facto kurzzeitig entmachtet würde. Dann wäre Vizepräsident Mike Pence bis zur Angelobung an der Macht. Beides ist theoretisch möglich. Ich bezweifle, dass sich das in dieser kurzen Zeit noch ausgeht, aber klar ist natürlich, dass das Land auch mit der Angelobung Joe Bidens nicht einfach zur Normalität wird übergehen können.

Wenn du über 70 Millionen Trump-Wähler hast, von denen ein großer Teil dem neu eintreffenden Präsidenten die Legitimität abspricht, dann wird sich dieses Land weiterhin mittel- oder kurzfristig in politisch wahnsinnig turbulentem Fahrwasser befinden. Mit viel politischer Instabilität, vielleicht mehr Aktionen, so wie wir es gesehen haben, auf der Straße.

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