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Jessica Hausner

Evelyn Rois

Guten Tag, Frau Professor Hausner!

Es ist ein historischer Moment: 70 Jahre nach der Gründung der Filmakademie Wien ist Jessica Hausner die erste Frau, die für eine Professur im Fach Regie berufen wurde.

Von Maria Motter

Der Filmakademie kann man nur gratulieren: Im 70. Jahr des Bestehens ist Jessica Hausner die erste Frau, die eine Professur für Regie übernimmt.

Jessica Hausner ist 1972 in Wien geboren und als Kind hatte sie ein Buch über „Große Menschen“, in dem nur eine einzige Frau vorkam: die Physikerin und Chemikerin Marie Curie.

Mit achtzehn, nach der Schule, wusste sie, dass sie Regisseurin wird und seitdem hat sie Filmgeschichte geschrieben. Bereits ihr erster Langspielfilm „Lovely Rita“ über eine Teenagerin hatte bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere. Ihr jüngstes Werk „Little Joe“ lief dort 2018 im Wettbewerb – als einziger Beitrag aus Österreich und als der erste Spielfilm einer Österreicherin im Wettbewerb der renommierten Filmfestspiele überhaupt.

Alle Hauptfiguren in Jessica Hausners bisherigen Filmen sind weiblich. Mit „Little Joe“ wollte sie einem futuristischen Psychodrama auch ein Happy-End schaffen, „a sort of Let’s live with the zombies, it will be fine”, wie sie am Filmfestival Sarajevo sagte. Jetzt, in der Pandemie, hofft Jessica Hausner auf die Impfung gegen das Coronavirus: „Ich werde mich bestimmt so bald wie möglich impfen lassen und hoffe auch, dass das ganz viele andere machen“.

Im Interview spricht die Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin über das Aufbrechen der Männerdomäne Filmwelt, was ihr in der Lehre wichtig ist und über ihr eigenes nächstes Filmprojekt.

Maria Motter: Der Filmakademie kann man nur gratulieren: Du bist die erste Professorin im Fach Regie. Hast du Bedenkzeit erbeten oder gleich zugesagt?

Jessica Hausner: Ich habe mir schon Bedenkzeit genommen. Ich wurde informiert, dass eine Regieprofessur ausgeschrieben wird und ich mich bewerben könnte. Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, weil man kann eine Sache und vor allem diese Sache nicht halbherzig machen. Ich weiß, dass mir das auch Spaß macht und ich mich für die Studierenden interessiere. Ich habe überlegt, ob ich die Zeit und die Kraft habe, das zu machen. Die Professur ist ja auf zwei Jahre begrenzt. Es wird sich zeigen, wie intensiv es wird und was sich daneben noch ausgeht.

Mit achtzehn, nach der Matura, wolltest du nach Berlin ziehen, um dort Film und Regie zu studieren. Du bist dann aber auf der Filmakademie in Wien gelandet. Wie war es für dich, unter diesen Regielegenden? Du hast bei Axel Corti zu studieren begonnen. Er hat sogar einen Obstkorb am Set aufstellen lassen, obwohl das Obst nicht im Bildausschnitt vorgesehen war. Der Geruch alleine wäre so wichtig für die Schauspieler und die Szene. Wie ist es dir ergangen als junge Frau unter diesen Männern?

Ich habe die Filmwelt tatsächlich auch als eine männlich dominierte Welt empfunden. Ich habe mich am Anfang sehr fehl am Platz gefühlt, weil die Arbeitsweise dieser Regisseure für mich teilweise etwas unangenehm war, weil das doch auch ziemlich autoritäre Figuren waren und ich niemals das Gefühl hatte, dass man jemanden anschreien muss, um zu seinem Ziel zu kommen. Ich hatte immer den Eindruck, die Art und Weise, wie ich Filme machen möchte, wird anders aussehen und es werden auch andere Filme sein, die ich machen möchte.

Es ist richtig, dass ich mich am Anfang daher auch fremd gefühlt habe auf der Filmakademie, weil in dem Sinne habe ich keine Vorbilder gefunden, nach denen ich mich gerne orientiert hätte. Eine Filmregisseurin wie Jane Campion war unter den ersten, die international erfolgreiche Kinofilme gemacht haben und das hatte gerade erst begonnen. Insofern waren die Vorbilder, nach denen ich mich hätte orientieren wollen, noch gar nicht vorhanden.

Jetzt bist du selbst so ein Vorbild, als Regisseurin auch international sehr erfolgreich. Du hast an der Filmakademie dann auch Verbündete gefunden, ihr habt die Filmproduktion Coop99 gegründet. Du bist auch Produzentin. Was hast du für deine Lehre vor? Regie zu führen ist das eine, aber sich auch international dann zu positionieren und das anzustreben, muss man ja auch vermittelt bekommen.

Ja, genau: Wenn man das will. Das Wichtige an einem Regiestudium ist, dass man für sich selber als Studentin herausfindet, wo man hinmöchte. Ich denke nicht, dass alle Studierenden internationale Kinospielfilme machen möchten. Es gibt sicher welche, die für Streamingplattformen oder auch für das Fernsehen arbeiten möchten oder völlig andere Formate bevorzugen wie Dokumentarfilm oder Essayfilm, vielleicht auch in künstlerische Bereiche gehen.

Interessant ist, für jede Studentin, jeden Studenten, herauszufinden, was sie oder er wirklich selber möchte. Und dann ist es meine Aufgabe, die Studierenden darin zu bestärken. Weil letztendlich ist es so, dass man das gut machen kann, wovon man selber begeistert und überzeugt ist. Es nützt einem nichts, etwas zu machen, weil jemand anderer einem sagt, dass man das machen soll. Vor allem in einem künstlerischen Beruf funktioniert das nicht. Das heißt, man wird immer besser sein, wenn man sich selbst vertraut und das macht, wovon man selber überzeugt ist.

Little Joe Filmstills

coop99

„Little Joe“ war der erste Film einer Österreicherin im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes 2019. Sich die Eigenwilligkeit zu bewahren, ist für Jessica Hausner eine Frage der Offenheit.

Es ist das eine, selbst eine Frau zu sein und Regisseurin zu sein, Produzentin zu sein, aber es bedeuten jetzt viele Frauen an einem Set, viele Frauen in den Departments nicht unbedingt, dass sich die Inhalte ändern und dass man mit herkömmlichen Erzählungen bricht. Polemisch formuliert, dreht es sich dann doch wieder um die Frauenleiche im See. Also die Frage wäre: Wie definierst du den Feminismus auch für dich in dieser Professur?

Ja, das ist eine sehr spannende Frage und ich hoffe, dass ich sie möglichst komplex beantworten kann. Ich finde, du hast es jetzt eh schon sehr richtig unterschieden: Es gibt einerseits einen gesellschaftspolitischen Auftrag, der darin besteht, dass mehr Frauen in der Filmbranche beschäftigt werden sollen. Aber davon unabhängig oder zusätzlich ist die zweite Entwicklung eine gewisse inhaltliche Veränderung. Ich denke schon, dass es miteinander zu tun hat. Man kann nicht 1:1 sagen, Frauen machen andere Filme oder haben andere Inhalte. Das wäre zu einfach gesagt. Trotzdem ist es umgekehrt gesehen schon so, dass natürlich weibliche Filmschaffende sehr wohl neue Perspektiven, andere Perspektiven und andere Inhalte miteinfließen lassen in ihr Filmschaffen. Insofern geht es schon Hand in Hand, und auch das empfinde ich als extrem spannend.

Ich bin ja auch Mitglied in der Oscar-Jury und dieses Jahr sind in der Auswahl für den besten englischsprachigen Film sehr viele Filme von Regisseurinnen. Also so viele Regisseurinnen waren überhaupt noch nie dabei. Ich habe mir diese Filme mit Begeisterung angeschaut, teilweise aber auch gar nicht wissend, ob ich mir jetzt einen Film von einem Regisseur oder einer Regisseurin anschaue. Ich war wirklich sehr beeindruckt. Es ist auch eine thematische Veränderung festzustellen. Alleine wie Frauenfiguren teilweise dargestellt werden, hat sich in den letzten Jahren verändert. Also auch wie männliche Regisseure Frauen darstellen. Das hängt wieder damit zusammen, dass mehr Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen heutzutage und natürlich sind die weiblichen Figuren in den Filmen auch anders. Und auch klassische Themen wie Sexualität und Gewalt werden aus einer weiblichen Sicht in diesen Filmeb, die ich gerade gesehen habe, sehr anders, spannend, ungewohnt und neu erzählt.

Wie kannst du dann feministisch agieren konkret im Alltag in der Lehre?

Ich glaube, es sind hundert verschiedene Stellen. In der Sprache – das Gendern übe ich erst. Manchmal mache ich es, manchmal nicht. Das ist eine Umstellung. Da arbeite ich an mir, das finde ich aber wichtig. Ich fand immer schon, dass Sprache natürlich gesellschaftspolitische Verhältnisse reflektiert und es ist deswegen wichtig, auch in der Sprache die weibliche Form mitzusagen. Ein anderer Punkt sind Filmkanons: Ich erinnere mich, in meiner Studienzeit waren die Filme, die Lehrende als die Filme genannt haben, an denen man sich orientieren soll, immer Filme von Männern. Jetzt kann man sagen: Okay, damals gab es hauptsächlich nur Filme von Männern! Aber das stimmt so nicht. Es gab auch Filme von Frauen.

Unlängst war im Filmmuseum eine sehr interessante Doku von Mark Cousins: „Women Make Film“, ein mehrstündiges Werk, das die gesamte Filmgeschichte von Regisseurinnen erzählt. Ich kannte die meisten Namen nicht, ganz ehrlich. Es waren viele Regisseurinnen dabei, von denen ich zum ersten Mal gehört habe, deren Filmausschnitte ich gesehen habe und mir gedacht habe, okay, ich lebe in einer Parallelwelt! Was haben die mir die ganze Zeit erzählt an der Filmakademie! Regisseurinnen wurden einfach nicht namentlich genannt und erwähnt. Es gab sie! Das ist eine ganz große Aufgabe, die ich als Lehrende vor mir sehe, dass ich, wenn ich Beispielfilme nenne, die Filme, die von Frauen gemacht wurden, nicht übergehe, sondern im Gegenteil vielleicht sogar originellerweise auch hervorhebe.

Filmstill aus "Lourdes": Jessica Hausner schickte Sylvie Testud als Christine auf Wallfahrt.

Coop99

In „Lourdes“ (2009) schickt Jessica Hausner Sylvie Testud als Christine auf Wallfahrt.

Die Geschlechterverteilung der Studierenden ist an der Filmakademie sehr ausgeglichen, es gibt teilweise sogar mehr weibliche Studierende im Fach Regie. Welche Möglichkeiten hast du, speziell Frauen zu fördern in diesem Rahmen? Oder ist das überhaupt dein Anliegen? Es können ja auch Männer sehr feministische Inhalte machen.

Sie sollen die Inhalte machen, die sie machen wollen. Die Förderung, die man Studierenden angedeihen lassen kann, ist, sie bestmöglich vorzubereiten auf das Filmemachen nach der Filmakademie. Wenn du speziell nach weiblichen Studierenden fragst, so glaube ich, dass man auch immer mal wieder über das Selbstbewusstsein reden soll, das man braucht, um nach dem Studium tatsächlich hinzugehen zu Produzent*innen, zu Förderstellen und die eigenen Projekte zu realisieren – natürlich kann man dieses Selbstbewusstsein auch stärken, indem man darüber spricht und die Studierenden darauf vorbereitet.

Ich will das jetzt nicht zu sehr auswalzen. Aber ein Thema ist schon auch die Familienplanung. Ganz viele Studentinnen werden ja deswegen nicht Regisseurinnen, weil sie sich irgendwann entschließen, ein Kind zu bekommen und dann teilweise zuhause bleiben und dann den Anschluss zur Karriere nicht mehr schaffen. Das klingt jetzt fast altmodisch, aber ich fürchte, es ist auch heutzutage noch so. Mir begegnen immer wieder in diversen Jobs Frauen, die eigentlich Regie studiert haben, aber diesen Beruf nie ausgeübt haben, weil sie ein Kind bekommen haben, dann drei Jahre ausgesetzt haben, ihr Mann sehr wohl Geld verdient hat usw. Es ist wirklich eine Old Story, die aber anscheinend immer wiederholt wird. Ich würde auch darüber mit Studierenden gern reden und zwar mit Männern und Frauen, dass man sich im Vornhinein gleich Gedanken darüber macht, wie man sich das vorstellt. Wer was erledigt, wie die Zeit eingeteilt wird und wie man ein selbstbestimmtes Leben führen möchte.

Wie ist es dir da ergangen? Man kann sich ja vieles vornehmen, aber das dann umzusetzen mit Kindern und mit Partner, ist ganz etwas anderes vielfach.

Ich habe ziemlich lang gewartet, bis ich mir zugetraut habe, ein Kind zu bekommen, und zwar genau deshalb zugetraut in dem Sinn: Ich wollte sehr gern ein Kind, aber ich wollte auch weiter meinen Beruf ausüben können. Wenn ich am Anfang meiner Karriere ein Kind bekommen hätte, hätte ich Sorgen gehabt, dass ich dann nicht genug Kraft und Zeit habe, mich auf meinen Beruf zu konzentrieren. Ich war dann schon 38 und hatte meinen Film „Lourdes“ gemacht und „Lourdes“ lief in Venedig im Wettbewerb. Das war für mich ein kleiner erster Höhepunkt meiner Karriere. Ich habe irgendwie gedacht, okay, es läuft. Ich war zu dem Zeitpunkt auch mit der Produktionsfirma Coop99, mit einem Weltvertrieb, mit einem deutschen Koproduzenten soweit abgesichert letztlich in meinem Filmproduktionsumfeld, dass ich das Gefühl hatte, okay, wenn ich jetzt ein bisschen aussetze, ein Jahr zumindest, bricht davon meine Berufswelt nicht zusammen. Sondern es war ganz klar: Ich kann danach mit denselben Leuten weiter arbeiten an meinem nächsten Projekt. Und dann habe ich mich das getraut.

Und du hast dann auch noch Zeit für Dein Kind gehabt?

Ja, mein Sohn hat sehr schön geschlafen im ersten Jahr, während ich Drehbuch geschrieben habe. Und ich habe auch eine Kinderbetreuung. Jetzt ist mein Sohn zehn und wir haben immer wieder Kindermädchen, die Zeit mit ihm verbringen, wenn ich drehe, in der Vorbereitungszeit bin oder sonst.

Woran arbeitest du zurzeit? Magst du schon erzählen, worum es gehen wird in der Geschichte?

Ja, gern! Ich kann coronabedingt so lang am Drehbuch arbeiten, ich bin sozusagen zum Schreiben verdammt, aber es ist eh lustig. In der Geschichte geht es um eine Gruppe von 14-, 15-jährigen Schülern, die zu einer bestimmten Lehrerin großes Vertrauen fassen. Und diese Lehrerin missbraucht das Vertrauen, aber in einem Sinn, wo sie nur das Beste will für die Schüler. Es wird eine Art Kult gegründet und es beginnt mit harmlosen, nachvollziehbaren gemeinsamen Glaubensritualen bzw. Standpunkten, die den Schülern helfen, sich in der Welt zu orientieren. Es geht viel um Ernährung. Aber die Sache steigert sich dann so, dass diese Gruppe von Schülern mit der Lehrerin zusammen den Boden der Realität verlässt. Diese Sekte nimmt alles in Anspruch. Es ist auch eine Geschichte über eine Art Gehirnwäsche, die stattfindet. Und es endet auch tragisch auf eine Weise. Mich interessiert an der Geschichte, dass wir tatsächlich in einer Zeit leben, wo sehr viel behauptet wird. Jetzt haben wir gerade ein Paradebeispiel in den USA mit den Anhängern Trumps, die glauben, was im Internet steht oder was Trump twittert. Ich denke, dass es tatsächlich eine Auswirkung des Internets ist: Es ist ein Schwarzmarkt für Wahrheiten. Man kann alles behaupten und wenn ich im Internet recherchiere, finde ich auch für alles Beweise und Erklärungen. Ich finde das sehr spannend, was sich in unserer Zeit abspielt an Relativierung. Wissenschaftler sind plötzlich nur noch ein kleiner Aspekt in einem unglaublichen Panoptikum von widersprüchlichen Ansichten.

Und auch an Bildern, wenn man an Deep Fakes denkt. Zu jeder Haltung oder Fantasie könnte man sich schon die Bilder zurechtlegen.

Genau.

Du bist Mitglied in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS), kurz: die Oscar-Academy hat dich vor zwei Jahren als Mitglied berufen, wie auch die Cutterin Monika Willi. Ist deine Arbeit für die kommende Oscar-Verleihung am 25. April schon getan?

Die Arbeit besteht darin, dass ich mir die Filme anschaue. Es ist eine sehr schöne Arbeit also! Nein, ich bin noch dabei. Ich habe noch einige Filme, die ich gerne sehen möchte. Die Abstimmung ist online. Eigentlich kann man so viele Filme anschauen, wie man möchte. Es kontrolliert niemand, wie viele man angeschaut hat. Es gibt die Abstimmung für die Nominierungen und wenn diese bekannt sind, kann ich wiederum abstimmen, welche mir am besten gefallen. Ich kann drei Filme unter den Nominierten pro Kategorie wählen, wenn ich mich richtig erinnere. Wie das ausgerechnet wird, kann ich jetzt nicht erklären. Mehr ist es nicht. Ich gebe keine persönlichen Notizen oder so dazu.

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