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Autor David Schalko

Ingo Pertramer

„Bad Regina“ setzt fort, wo „Braunschlag“ aufhört

Seinen neuen Roman „Bad Regina“ könne man als Fortsetzung von „Braunschlag“ lesen, sagt David Schalko. Das Buch ist ein sehr amüsanter Abgesang auf Europa und bietet neben Punchlines auch Aphorismen. Und die kann man 2021 auch gut brauchen.

Von Maria Motter

David Schalko spaziert mit seinen Leser*innen in seinem neuen Roman „Bad Regina“ durch einen ziemlich verlassenen Kurort. 46 Personen gibt es da noch, Erwachsene und ein einziges Kind, das sich ein anderes Kind bestellen will, aber nie um die Schaukel streiten muss. Bad Gastein kommt einem sofort in den Sinn, wenn man das Buch liest. Auch dort liegen ein im Stil des Brutalismus erbautes Kongresszentrum und ein Wasserfall im Ort.

Im Roman stecken zwei junge Leute auf einem Hoteldach ihre Köpfe durch die Lettern von A und O des „Europa“-Schriftzugs, ein immerwährender Anfang vom Ende breitet sich bei dieser ersten Rundschau aus, im realen Vorbild ist das „Europe“ des Grand Hotels von Weitem schon zu sehen. Die Hauptfigur Othmar ist ein ehemaliger Clubbesitzer, der einen schwer verunfallten DJ pflegt, diesem in den schwersten Alltagsmomenten die Augenlider wieder mal schließt, und der dem ominösen Investor Chen auf der Spur ist.

Das Buchcover zu "Bad Regina" zeigt die Zeichnung eines Kurorts in den Bergen.

Kiepenheuer & Witsch

„Bad Regina“ von David Schalko ist 2021 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Eine Tour de force um Heimat

Und in gewissem Sinne ist „Bad Regina“ auch ein Gespensterroman, nicht ganz, aber es geht ein Gespenst um. Gier und Fehden scheinen starke Motive. Die Geschichte wird in vielen Miniaturen erzählt, die Kurzbiografien in bildhaften Szenen darstellen. Die Erzählung fließt dahin wie der Wasserfall, nur das Wildromantische spielt es freilich nicht. Fad wird es nie. Denn die Leute in „Bad Regina“ können nicht abschließen - im doppelten Sinn, sie könnten sich ja aufmachen und woanders hingehen.

„Naja, es ist ihr Heimatort und den verlässt man ungern“, gibt David Schalko im FM4-Interview zu bedenken. „Es geht in dem Roman sehr stark um den Heimatbegriff und darum, was Heimat überhaupt ist. Sind es Menschen, eine Landschaft? Ist es Architektur, ist es ein Gefühl? Ist es der Ort, an den man immer wieder freiwillig oder unfreiwillig - wie die Hauptfigur Othmar sagt.“

Zurückkommen wird schließlich einer und das sehr unerwartet. Ein bisschen Geisterroman, ein bisschen Schlüsselroman, vor allem aber ein tragikomisches Buch ist „Bad Regina“. Denn David Schalko liebt Punchlines und auf jeder Seite findet sich mindestens eine kleine oder größere Wendung, die dem Lauf eines Lebens oder der Dinge in Bad Regina Humor schenkt. Es ist nicht die totale Verzweiflung. Und in der Handlung gibt es nach einem vermeintlichen Showdown noch ein Finale.

Sehnsucht nach Abschottung

Bad Gastein ist David Schalko vertraut. „Ich kenne den Ort ganz gut, weil wir dort viele Jahre Urlaub gemacht haben und ich immer herumgeschlendert bin und mit vielen Leuten geredet habe, auch, was die Legendenbildung betrifft: dass dieser Ort aufgekauft wurde von einem Mann, dann wurde alles verfallen lassen und warum das so ist, war immer ein großes Geheimnis. Das hat mich immer fasziniert und natürlich auch die Atmosphäre der verlassenen Hotels und der Lost Places dort. Und dass es so ein bisschen aus der Zeit gefallen ist. Der Kurort an sich, der mondäne Kurort, steht ja auch für ein Europa des 20. Jahrhunderts, das es in der Form nicht mehr gibt“, sagt David Schalko.

Die Rückwärtsgewandtheit Europas, die Sehnsucht nach einer Abschottung, die zugleich Fluch ist, und nach einem vergangenen Jahrhundert - in dem auch der Nationalsozialismus wütete und in „Bad Regina“ ist auch die Nazibrut am Start -, packt David Schalko in diesen Roman. Die Figuren sind oft vulgäre, auch brachiale Charaktere. In fünf Sätzen eine Vergewaltigung derart zu beschreiben, ist auch eine Kunst. Der Verlag hat dem Roman einen Hinweis vorangestellt, einige Figuren des Romans verwenden rassistische Sprache. Lieber liest man die Zitate aufmerksam, die David Schalko den Romanteilen voranstellt.

Der Autor, Drehbuchautor, Regisseur und Produzent ist ein umsichtiger Leser. „Ich lese gerade von Francesca Melandri ‚Alle außer mir‘, das ist wirklich ein tolles Buch, und parallel lese ich den neuen Clemens Setz, den ich auch mehr als empfehlen kann. Von den zwei Büchern bin ich grad angetan im Augenblick.“

Begeisterung für Aphorismen

In „Bad Regina“ findet sich eine Vielzahl an Aphorismen. Etwa: „Einer, der immer alles richtig machte, verstand sehr wenig von den Irrwegen des Lebens.“

„Es haben auch viele Sachen Schattenseiten oder Charaktere ihre Momente, wo sie ihre Aussetzer haben“, sagt David Schalko. Auf eine Weise könne man „Bad Regina“ als Fortsetzung der Serie „Braunschlag“ lesen.

Ein amüsanter Abgesang auf Europa

„Dadurch, dass das Buch fast einen konkreten Ort als Inspirationsquelle verwendet, war es mir sehr wichtig, dass viele andere Versatzstücke auch aus der Realität kommen, die dann fiktionalisiert sind. Wie zum Beispiel der Hotelier, der Syrer zu Köchen ausbildet. Auch der FPÖ-Bürgermeister und sein Sohn. Das liegt auch daran, dass ich den Roman als atmosphärische Momentaufnahme von Europa empfinde, darum war mir die Bodenhaftung in der Realität besonders wichtig“, sagt David Schalko.

Autor David Schalko

Ingo Pertramer

Der Autor hat sich sehr oft auch politisch geäußert, im letzten Jahr jedoch sehr wenig. Er hätte nicht das Bedürfnis dazu und nehme seine Meinung auch nicht so wichtig, dass er jetzt auch noch Politik kommentieren müsse. Das würden viele andere auf gute Art und Weise tun. Und so wahnsinnig interessant sei österreichische Innenpolitik auch nicht. „Es ist etwas Monotones und im Augenblick nur virusgesteuert. Man hat den Eindruck, es gibt nur noch Gesundheitsminister auf der Welt. Es ist schade, dass andere Themen liegenbleiben. Umwelt steht als viel größerer Schatten vor unserer Tür als das Coronavirus. Ich verstehe nicht, dass das völlig brachliegt, auch wenn man sich um das Virus kümmern will. Da hat man fast den Eindruck, als wäre es der Politik nicht unrecht, dass so etwas in selektiver Wahrnehmung verschwindet.“

Seine Produktionsfirma Superfilm war unter den Ersten, die nach grünen Kriterien zu arbeiten begannen. Im Vorjahr hat er die Serie „Ich und die Anderen“ gedreht, auch das Drehbuch stammt von ihm. Tom Schilling hat die Hauptrolle, in den Nebenrollen sind von auch nur Hauptdarsteller*innen, von Mavie Hörbiger, Sophie Rois, Lars Eidinger. Erneut strebt David Schalko eine besondere Erzählstruktur an. „Sie ist nicht linear und folgt keiner klassischen Handlung. Der Protagonist wacht jeden Tag unter einer anderen Prämisse auf, die das Verhältnis zu den anderen verändert. In einer Folge wissen alle alles über ihn oder alle lieben ihn“, schickt Schalko vorweg. Und nein, es ist nicht das Murmeltierkonzept. „Im Gegenteil“.

Bleibt noch die Frage, ob David Schalko dieses Jahr zu den Salzburger Festspielen gehen wird, auch eine mondäne Angelegenheit. „Zu den Salzburger Festspielen? Wieso? Ah wegen ‚Jedermann‘ und Lars. Da würde ich vielleicht hingehen, stimmt. Außerdem: Ich habe ja nichts gegen die Salzburger Festspiele, sie sind nur nicht so in meinem Raster irgendwie. Ich war auch schon bei den Salzburger Festspielen, auch beim Jedermann.“

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