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Flüchtlinge im Lage Lipa

APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

„Es ist traurig zu sehen, dass hier nur Brände gelöscht werden“

Die Lage der Flüchtlinge in Nordbosnien ist weiterhin katastrophal. Hunderte Menschen sind obdachlos und die Politik schiebt sich zwischen europäischer, nationaler und lokaler Ebene gegenseitig die Verantwortung zu.

Von David Riegler

Die Lage der Flüchtlinge in Bosnien ist weiterhin dramatisch, denn mitten im Winter sind hunderte Menschen obdachlos und viele weitere sind nur notdürftig in Militärzelten untergebracht. Trotz 3,5 Millionen Euro Hilfszahlungen der EU und regelmäßigen Gesprächen der Politik ändert sich nur schleppend etwas an der Situation. Das Scheitern der Flüchtlingspolitik zeigt sich vor allem am Beispiel von Lipa.

Failed Camp

Lipa ist ein Flüchtlingslager in den Bergen Bosniens, nahe der kroatischen Grenze. Es ist nur aus der Not heraus entstanden, nachdem die Stadt Bihać ein bestehendes Flüchtlingslager ersatzlos geschlossen hat. Mitten in den Bergen, abseits der Städte und Gemeinden wurden die Menschen in ein Zeltlager verfrachtet, das keinen Zugang zu Strom, Wasser oder anderer Grundversorgung hatte. Betrieben hat das Lager die Internationale Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen, die gedroht hat, das Lager zu verlassen, falls sich die Zustände nicht bessern sollten. Als im Dezember der Schnee über Lipa hereinbrach und die Behörden nicht auf die dramatische Lage reagierten, wurde Lipa kurz vor Weihnachten angezündet, aus Zorn oder Verzweiflung, und brannte ab.

Brennendes Flüchtlingslager Lipa

APA/AFP/STR

Am 23.12. 2020 geht das Lager Lipa in Flammen auf.

Schon Mitte Dezember des Vorjahres hat der Aktivist und Rapper Kid Pex von den schrecklichen Zuständen für Flüchtlinge in Bosnien erzählt.

Mehrere Busse sollten daraufhin die rund 900 Menschen, die nach dem Brand noch in Lipa ausharrten, evakuieren, doch sie blieben stundenlang stehen und konnten nicht abfahren, weil sich die lokale Politik nicht mit Bosniens Zentralregierung einigen konnte, wo man die Menschen unterbringen sollte. Das politische Machtspiel blieb ergebnislos: Keine Region Bosniens erklärte sich bereit die Menschen aufzunehmen, und so blieben viele Menschen mitten im Winter, bei Temperaturen bis zu minus 15 Grad, obdachlos.

Flüchtlinge in Lipa warten auf Busse

APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

Niemand wird aus Lipa weggebracht. 29.12. 2020

EU fordert von Bosnien ein „funktionierendes Migrationsmanagement“

Nach massiver internationaler Kritik und einer Hilfszahlung von 3,5 Millionen Euro aus der EU wurden in den letzten Tagen wieder Zelte in Lipa aufgebaut, diesmal allerdings beheizte Zelte mit Fußboden. „Die Lage ist nach wie vor inakzeptabel. Wir haben zwar eine leichte Entspannung, denn es ist uns gelungen, circa 700 Menschen in beheizten Zelten unterzubringen, es sind aber immer noch einige hundert Menschen in den umliegenden Wäldern und in verlassenen Gebäuden“, sagt der EU-Sonderbeauftragte für Bosnien und Herzegowina, der Österreicher Johann Sattler.

Flüchtlinge im Lage Lipa

APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

Das lokale Rote Kreuz errichtet neue Zelte am 9.1. 2021

Er fordert von Bosnien ein funktionierendes Migrations-Management: „Bosnien ist kein kleines Land, es ist vergleichbar mit anderen Ländern hier in der Region, wie Serbien, wo man es geschafft hat ein System aufzubauen, in dem man die Flüchtlinge auf das ganze Land verteilt.“ Eine derartige Lösung zeichnet sich in Bosnien jedoch nicht ab, denn der schwache Zentralstaat und die Regionalpolitik stehen sich im Weg. Doch nicht nur innerhalb von Bosnien gibt es für die Menschen kein Weiterkommen, auch die Grenze zur EU bleibt verschlossen.

Die Balkanroute ist dicht, die EU hat keine Lösung

Immer wieder gibt es Berichte von brutalem Vorgehen der kroatischen Grenzpolizei, die die Balkanroute in die EU geschlossen hält. Eine Grenzöffnung oder die Aufnahme der Menschen in Lipa in die EU hält Johann Sattler derzeit für nicht realistisch: „Wir haben gesehen, welche politische Sprengkraft die Migrationsfrage in den einzelnen Ländern der Europäischen Union hat und wir sind nach wie vor weit davon entfernt wirklich gute Lösungen zu haben.“

Statt auf Aufnahme setzt die EU auf Hilfszahlungen, wie jene 3,5 Millionen Euro, die jetzt zur Verfügung gestellt wurden. Eine Million kommt aus Österreich, doch die Zahlung wurde vom Österreichischen Außenministerium zweckgebunden und soll vor allem „Frauen, Kindern und unbegleiteten Minderjährigen“ zur Verfügung stehen. Hilfsorganisationen, wie SOS Balkanroute, halten diese Zweckbindung für einen Fehler, wie der Aktivist und Rapper Kid Pex sagt: „Die Camps mit Kindern und Familien sind hier gut ausgestattet, wer hier vom Sterben bedroht ist, sind vor allem Männer.“

Auch Medienberichte und andere Hilfsorganisationen bestätigen, dass vorwiegend Männer von Obdachlosigkeit bedroht sind. Solange es keine weitere Unterkunft für die Menschen gibt, betreuen Hilfsorganisationen die obdachlosen Männer mit Sachspenden und versorgen sie mit Essen, so gut es geht. „Wir haben gerade 1.000 Paar Schuhe verteilt, denn teilweise sind die Leute nur in Badeschlapfen oder sogar barfuß gegangen“, berichtet Kid Pex. Immer wieder ruft seine Organisation zu Sachspenden auf.

In Bosnien zeichnet sich keine Lösung ab. Die Politik schiebt sich die Verantwortung zu, hunderte Männer sind mitten im Winter obdachlos und das Flüchtlingslager Lipa ist trotz beheizter Zelte, immer noch völlig isoliert unter Polizeibewachung in einem Wald abseits der Gemeinden. Kid Pex zeigt sich enttäuscht von der mangelnden Handlungsbereitschaft der Politik: „Es ist traurig zu sehen, dass hier nur Brände gelöscht werden und, dass Menschen wochenlang frieren und in unmöglichen Zuständen leben müssen, und erst dann etwas passiert.“

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