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Mieze Medusa

Sabine Pichler

Sprachschätze heben in Popkulturuniversen: Mieze Medusas Roman „Du bist dran“

Gerade ist der neue Roman von Mieze Medusa erschienen. Er heißt „Du bist dran“. Wir begleiten drei Hauptfiguren aus unterschiedlichen Generationen durch ihre Popkulturuniversen und landen von Ottakring in einem Dorf namens Bruck an der Laa.

Von Irmi Wutscher

Agnesa hat eine griechische Großmutter, die mit ihr im Zimmer schläft und eine Mama mit einem Gesicht aus Stein.

Eduard schmachtet der schönen Bianca hinterher, hilft Firmen sich vor Hacks zu schützen und überwacht zur Nervenberuhigung, was die Exfreundin im Internet macht.

Buchcover von Mieze Medusas Roman "Du bist dran"

Residenz Verlag

„Du bist dran“ von Mieze Medusa ist im Residenz Verlag erschienen.

Felicitas ist eine ehemalige linke Aktivistin, die Marx, Adorno und Angela Davis gelesen hat und jetzt, im Alter und der Liebe wegen, im Dorf gelandet ist. Dort eckt sie jetzt auf der Gemeindeversammlung an und denkt sich Dinge wie:

„Sie wollten uns keine Atombombe in die Hand geben, weil wir emotional nicht stabil genug waren. Dabei wollten wir gar keine Atombombe, wir wollten den gleichen Anteil an Arbeit, Anerkennung, Geld und Macht. Wir wollten nicht immer alleine die Kinder wickeln und den Abwasch machen, dass das so schwer zu verstehen ist. Wenn schon Atombombe, dann wollten wir sie verschrotten! Und den Atomstrom gleich dazu. Danach ein Glas Rotwein und eine Zigarre rauchen und auf der dünnen Haut des Patriarchats ausdrücken.“

Diesen drei Figuren folgen wir in Mieze Medusas neuem Roman „Du bist dran“ mit ihren Inneren Monologen aus der Ich-Perspektive. „Die Grundidee war, diese drei Generationen zu zeigen: die eine, die lange ohne Internet gelebt hat. Dann die von Eduard, so Mitte 40, die ja am ehesten auch meine ist, wo das Internet gekommen ist und ganz viel geändert hat. Und dann die Generation danach, die das Leben ohne Internet gar nicht kennt. Ich wollte sichtbar machen, was ähnlich ist und wo Unterschiede sind“, sagt Mieze Medusa über die drei Hauptfiguren.

Und, eh klar: irgendwann werden sich alle drei über den Weg laufen.

Sprachschätze heben

Diesen Roman lesen heißt, kleine Formulierungs- und Sprachschätze heben. “Zigarren ausdrücken auf der dünnen Haut des Patriarchats“ ist fix meine Lieblings-Kapitelüberschrift aller Zeiten. Dicht gefolgt von „Die unerträgliche Leichtigkeit von 0 und 1“. Ich möchte sie mir einringeln und als Zitate irgendwo aufhängen.

Denn am schönsten ist „Du bist dran“ an Stellen, die an Mieze Medusas Poetry-Slam-Texte erinnern. „Mir war es wichtig, etwas von dem, was ich künstlerisch mach’, auch da rein zu packen“ sagt Mieze, als ich sie darauf anspreche, dass der Roman sehr stark in gesprochener Sprache formuliert ist. Und noch etwas spielt eine Rolle: Mieze Medusa ist überzeugt davon, dass das Internet die Mündlichkeit zurückgebracht hat – vor allem bei den Generationen von Eduard und Agnesa, was „Du bist dran“ leicht lesbar macht, und wo man zum anderen Miezes Sprachrhythmus auch beim Lesen im Ohr hat. Wie an der Stelle, an der die Gedanken des IT-lers Eduards um das Thema Datenschutz kreisen.

„Warum klebt man einen Brief zu? Warum wurde das Türschloss erfunden? Wenn du nichts zu verbergen hast, dann nimm doch die Vorhänge ab! Zeig allen alles. Fang mit deiner Steuererklärung an. Zeig das mit Tricks unsichtbar gemachte Geld. Zeig deine Seitensprünge, das uneheliche Kind, von dem nur dein Steuerberater weiß. Zeig deine süßen Geheimnisse, die total awesome Pornoseite, bei der wirklich alle über 18 sind und freiwillig dabei und fair bezahlt von Herzen lächeln, während sie gefickt werden. Lass uns hinter deine taffe Fassade blicken und zeig uns, wann du bei Rosamunde Pilcher-Filmen zurückspulst. Zeig uns deine Lieblingsschokolade. Zeig uns deine Gesundheit, den niedrigen Cholesterinspiegel und deine Zahnersatzzusatzversicherung. Zeig uns deine DNA. Leg dein Genom offen. Zeig uns deinen Überziehungsrahmen und den Fremdwährungskredit. Zeig uns, wem dein Haus wirklich gehört. Zeig uns nicht nur die Designer-Dessous, die du gekauft hast, um deinem lauwarmen Sexleben neues Feuer zu verleihen. Zeig uns auch, wie du darin aussiehst. Ohne Photoshop, Filter oder den schmeichelnden Blick, den man von den Leuten nur bekommt, wenn sie einen ausstehen können. Zeig uns, was du nicht auf Facebook postest, weil es weder Likes bringt noch den Adrenalinschub eines absichtlich provozierten Shitstorms.“

Beyoncé und Cyberpunk

Und dann gibt es noch einige Popkulturreferenzen. Allen voran Beyoncé, die für die 18-jährige Agnesa fast so etwas ist wie ein wegweisender Engel ist, an den sie sich wendet, wenn sie Halt oder Richtung braucht. Gerade wenn sie für Workshops in Schulen unterwegs ist, erzählt Mieze, hat sie immer wieder erlebt, dass Beyoncé kennen eine verbindende Wirkung hat, wie es früher vielleicht einmal das Beatles-Hören war. „Ich treffe wirklich viele Menschen, für die Beyoncé all das ist: Motor und Licht und so weiter.“

Für Eduard ist der Popkultur-Rahmen William Gibson und die Idee des Cyberpunk. Und Felicitas’ Popkultur-Anker? Das ist die Revolution, meint Mieze: „Damit ist ein konstruktives Arbeiten an einer Verbesserung der Welt gemeint. Das ist etwas, wo wir glaube ich von vielen Menschen viel lernen können und es gut wäre, zuzuhören.“

Aber, auch wenn alle drei Figuren in ihren Popkulturuniversen verfangen sind, draußen gibt es ja immer noch die andere Welt, sagt Mieze Medusa, „und die verlangt andere Verknüpfungen. Ob das gelingt, das sieht man im Verlauf von ‚Du bist dran.‘“

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