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T.C. Boyle

Jamieson Fry

„Sprich mit mir“ heißt der neue Roman von T.C. Boyle

Der amerikanische Literaturstar T.C. Boyle denkt in seinem neuen Roman über Tierethik und tierische Transzendenz nach. Im Mittelpunkt steht ein Schimpanse, der mit Hilfe von Gebärdensprache kommunizieren kann.

Von David Pfister

„Sie wollen was über Schimpansen wissen?“, wiederholte Moncrief. Laura war erstarrt. „Bitte, das ist nicht komisch. Lassen Sie mich raus.“
„Sie müssen sich in sie hineinversetzen können, das ist das Allerwichtigste. Sie müssen wissen, wie es ist, in einem Käfig und für alles - Essen, Wasser, Komfort, Stimulation - auf andere angewiesen zu sein. Auf uns. Dann wissen Sie, wie sich Groll anfühlt.“ Und damit ging er hinaus.“

Der amerikanische Literaturstar T.C. Boyle ist dafür berühmt, sich in seinen Romanen an historischen Epochen oder bestimmten Szenen abzuarbeiten. Mit seinem leichten, poppigen Stil hat er so der klassischen Gattung des historischen Romans zu neuem Ansehen in der amerikanischen Literatur verholfen. Seine Romane basieren stets auf akkurat recherchierten historischen Begebenheiten und realen Persönlichkeiten dieser Epochen, deren Moral er abklopft und gerne auch ins Absurde abgleiten lässt.

T.C. Boyle hatte schon mit seinem ersten Roman „Water Music“ (dt. „Wassermusik“) aus dem Jahr 1983 einen großen Erfolg. Darin erzählt er von einer Expedition nach Afrika. Ein weiterer Boyle-Klassiker, der auch verfilmt wurde, ist „The Road to Wellville“ (dt. „Willkommen in Wellville“) über den Cornflakes-Erfinder John Harvey Kellog. Der Sozialkritik-Aufreger „América“, ein Roman über die Emigration, wurde sogar im Rahmen der Aktion „Eine Stadt. Ein Buch“ als Gratisbuch in Wien ausgegeben.

In seinem letzten Werk arbeitete sich T.C. Boyle an der Subkultur rund um die psychedelische Droge LSD und den legendären sektiererisch anmutenden Psychologen und Autor Timothy Leary ab. Auch in seinem neuen Buch, „Talk To Me“ (dt. „Sprich mit mir“) hat sich T.C. Boyle als Kulisse die wissenschaftliche Welt ausgesucht. Dieses Mal aber mit mehr Fiktionalität als in vergangenen Büchern. Als Hintergrund dient ihm die schon seit Jahrzehnten praktizierte Verhaltensforschung über das Leben von Schimpansen und das Trachten, den Tieren mit Hilfe von Gebärdensprache das Kommunizieren beizubringen.

Buchcover zeigt das Gesicht eines Schimpansen

Carl Hanser Verlag

„Sprich mit mir“ von T.C. Boyle ist in der Übersetzung von Dirk van Gunsteren im Carl Hanser Verlag erschienen.

Ist ein Tier sich seiner selbst bewusst? Das war eine der großen Fragen bei der Erforschung des tierischen Bewusstseins, und der Standardbeweis war der Spiegeltest, bei dem man einem schlafenden Tier - Elefant, Hund, Krähe, Baby, Affe - einen auffällig gefärbten Punkt auf die Stirn klebte und ihm nach dem Erwachen einen Spiegel vorhielt. Wenn das Tier den Punkt bemerkte und versuchte, ihn zu untersuchen und zu entfernen, war das der Beweis, dass es sich als eigenständiges Individuum betrachtete, was wiederum bedeutete, dass es ein höher entwickeltes Bewusstsein besaß. Hunde und Katzen waren durchgefallen, aber Elefanten, Tümmler, Krähen, Affen und Babys hatten den Test mit Leichtigkeit bestanden und Sam (der Schimpanse) war so intelligent, dass er ihn selbst hätte durchführen können.

Der Schimpanse Sam wächst umsorgt wie ein Kind bei Professor Schemerhorn und seiner Assistentin auf. Sam kann seinen Namen sagen, Cola bestellen oder sich entschuldigen. Doch je größere Fortschritte der Schimpanse macht, desto kritischer reagiert die wissenschaftliche Kollegenschaft. Schnell werden kommerzielle Interessen wichtiger als Erkenntnis und den sich bald auftuenden Fragen nach tierischer Ethik, tierischem Geist oder gar tierischer Transzendenz will sich die konservative amerikanische Wissenschaft und Gesellschaft auch nicht gerne stellen.

Dünn und mit hängenden Schultern, das Haar straff zurückgekämmt, beugte Pater Zurren sich in seiner Soutane über Sam, den sie auf dem Schoß hielt. Dreimal besprenkelte er Sams Kopf mit dem Weihwasser und sagte dazu: „Ich taufe dich im Namens des Vaters, der Sohnes und des Heiligen Geistes und salbe dich mit dem Chrisam des Heils.“

T.C. Boyle hat viele epische, kluge Romane geschrieben, die stets großes Vergnügen bereiten. Und auch „Sprich mit mir“ ist literarisch wieder ein cleveres Amüsement mit vielen Zitaten aus der Popkultur und diesen so typischen, verschmitzten Szenen und Alltagsbefindlichkeiten, die einem eine fremde Welt blitzartig nahebringen und verständlich machen können. Dennoch ist „Sprich mit mir“, gemessen an den großen literarischen Kalibern bisheriger Romane von T.C. Boyle, ein wenig schwachbrüstig. Die Geschichte mäandert längere Zeit etwas zu ziellos herum, gipfelt am Ende allerdings in ein paar derart starken Momenten, dass es wirkt, als hätte der Autor uns kalkuliert in die Irre geführt. Dem stets an ökologischen Aspekten interessierten Boyle gelingt es außerdem, einem an Tierethik nicht übermäßig interessierten Publikum diese wichtige Perspektive nahezubringen.

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