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Shame und „Drunk Tank Pink“: Ein lautes Album über die Stille

Reifer, nachdenklicher, aber nicht langweiliger: Die Gruppe Shame aus Südlondon kehrt auf „Drunk Tank Pink“ die Selbstbeobachtung nach außen.

Von Christoph Sepin

Es ist ein Klischee, aber manchmal trifft das halt zu, ohne dass das Musikjournalist*innen groß herbeiprophezeien müssen: Das „Erwachsenwerden“ von Bands, das Reifen von Album Nummer 1 zur schwierigen Nummer 2. Bei der Gruppe Shame fühlt sich das zum Erscheinen der neuen Platte „Drunk Tank Pink“ wie der logischste Prozess an. Introspektion nach außen gekehrt gibt’s hier zu hören - und das funktioniert nur gut, wenn man sich als Band Gedanken darüber macht, wie man das am besten rüber bringt.

Vor ein paar Jahren ist das alles noch ganz anders gewesen: Im Jahr 2018, während einem FM4-Gespräch mit der schottischen Superstartruppe Chvrches, standen Shame gerade auf der Bühne am sommerlichen Open Air St. Gallen. Vokalist Charlie Steen reichte gerade Wasser in die schwitzende Menge, mitten im Hitzegewitter der verzerrten Gitarren, als Chvrches anmerkten: Diese Band, die erinnere sie an einen frühen Nick Cave, an seine Birthday Party oder Boys Next Door. Guter Vergleich, denn genau wie bei Cave kommt das Beste im Falle Shame auch erst noch.

„Vergleiche sind immer interessant“, sagt ein drei Jahre älterer Charlie Steen in unserem Videochat zu „Drunk Tank Pink“ über die Chvrches-Anekdote. „Jemand hat letztens gesagt, dass das neue Album wie der Schritt von den Sex Pistols zu Public Image Limited sei“. Stimmt, das ist wieder ein guter Vergleich. Denn wie die genannten Nick Cave oder John Lydon sind Shame zwar älter und nachdenklicher geworden, aber bei weitem nicht langweilig. Das ist hier immer noch eine Punkband, hört sich halt ein bisschen anders an.

Im Sound der Südlondoner auf „Drunk Tank Pink“ ist immer noch jede Menge Noise, Kälte und Wut zu finden (wer möchte, kann hier Parallelen zu z.b. den ebenfalls sehr guten Idles ziehen), nur schleichen sich da auch wahrlich wundervolle Popmomente in den Mix. Man nehme „Water in the Well“, einen Track, der Erinnerungen an die Talking Heads oder Talk Talk weckt, zwei Bands, die auch im Pressetext zur Platte erwähnt werden. Zu viel mit der Vergangenheit vergleichen sollte man aber nicht, nimmt man Bands damit doch einiges an Einzigartigkeit weg.

Shame stehen da zum Glück drüber und nehmen das alles gechillt: „The comparisons are quite amusing“, ist da zum Beispiel eine Reaktion drauf. Es gibt aber auch viel wichtigere Dinge zu besprechen. Den roten Faden, zum Beispiel, der sich irgendwie durchs Album zieht und schon beim Titel beginnt: „Drunk Tank Pink“ ist eine Farbe, die verwendet wird, um zum Beispiel Gefängnisinsass*innen zu beruhigen. „Das steht mit fast allen Themen in Zusammenhang, die es auf der Platte zu finden gibt“, sagt Charlie Steen dazu.

„Drunk Tank Pink“ dreht sich um das Unterbewusstsein und Träume, um Break-Ups und wie man mit Dingen umgehen soll. „Incredibly personal“, so die Kurzzusammenfassung. „Die Farbe soll durch das Unterbewusstsein Ruhe auslösen. Das ist etwas, das natürlich beruhigen soll“. Steens Zimmer ist in der Farbe ausgemalt gewesen, als er die Lyrics für das Album geschrieben hat. „Das Schlafzimmer ist das Zentrum von allem“, sagt er über den Raum der Inspiration. „Für mich ist das der wichtigste Ort. Ein Safe Space“.

Ein beruhigendes Album soll es aber nicht unbedingt sein: „Es ist nicht Sigur Ros oder so“, sagt Steen lachend. „Es geht um Konversation und Konfrontation, aber nicht unbedingt auf eine aggressive Art. Sondern einfach darum über Dinge nachzudenken“. Interpretieren soll man alles aber trotzdem im Idealfall für sich persönlich.

Wie den finalen Track auf der Platte: „Station Wagon“ beginnt wie ein Doors-Lied, steigert sich immer weiter und dreht sich um eine Zeile, die beim ersten Hören wunder- und hoffnungsvoll klingt: „Won’t somebody please bring me that cloud?“, singt Steen. „Move that cloud“. Tatsächlich geht’s da aber um ganz was anderes, nämlich um ein angebliches Elton John Zitat, der wollte, dass jemand für ihn eine Wolke verschieben solle, damit die Sonne nicht blockiert werde. „Es ist die höchste Form von Egoismus. Das ist zu respektieren und bewundernswert“.

Trotzdem wird der Song durch diese neue (echte) Bedeutung von der Self-Empowerment-Hymne zur Egodekonstruktion. Und vielleicht besser, aber das muss man auch hier, wie vieles, für sich selbst entscheiden. „‚Drunk Tank Pink‘ ist fast wie ein Tagebuch für mich“, sagt Charlie Steen. „Und ‚Station Wagon‘ ist wie die finale Konversation mit mir selbst darauf“.

"Drunk Tank Pink" von Shame

Shame

„Drunk Tank Pink“ von Shame ist auf Dead Oceans erschienen.

Vielleicht macht das alles am meisten Sinn, wenn man sich das Konzept der Stille vor Augen führt, in der Steen seine Lyrics in seinem pink ausgemalten Raum geschrieben hat, kurz bevor dann die ganze Welt im Jahr 2020 plötzlich still geworden ist. „Ein lautes Album über die Stille, ist das eine zu musikjournalistische Überschrift zum Artikel über eure Platte?“ Nope, ganz und gar nicht. „I think that’s pretty cool“, sagt Steen und lacht. Und deswegen steht auch dieser Titel ganz oben.

„Wenn Leute ein Ding mitnehmen sollen von der Platte, was soll das dann sein?“, ist noch eine Frage zum Abschluss. „Keine Ahnung, es gibt so viele: Move that fucking cloud. And brush your teeth“. The more things change, the more they stay the same also. Auch bei Shame, die vielleicht doch nicht so erwachsen geworden sind, wie zuerst vermutet. Und das ist sehr gut so.

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