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Arik Brauer

APA/ROBERT JAEGER

Blumenaus 20er-Journal

Über einen glücklichen und fantasievollen Kämpfer ohne Alter

Der Maler, Tänzer, Häuserbauer und vor allem große Protest-Songschreiber Arik Brauer ist gestorben. Was dir das bedeutet, weiß ich nicht. Ich kann erzählen, was es mit mir zu tun hat.

Von Martin Blumenau

Arik Brauer war so ziemlich gleich alt wie mein Vater (ein Monat Unterschied). Mein Vater hat den Erich einmal getroffen, als zappelige, dürre Halbwüchsige waren sie nach dem Krieg (vielleicht schon ’45, vielleicht erst ’46) gemeinsam in einem Jugendlager in Wien. Mein Vater hat von einem lustigen, fantasievollen Pfeifminix erzählt, der lauter dumme (gute) Ideen hatte. Überlagert wird diese kurze Erzählung aber durch die Aktion mit dem grauslichen Milchreis, den die Burschen heimlich in den Donaukanal geschüttet haben, anstatt ihn zu essen. Damals, als Hunger greifbar war, und man über jeden vollen Teller froh sein musste, ein unerhörter Akt. Er muss wirklich widerlich geschmeckt haben.

Dass ein weiteres gemeinsames Erlebnis sie verband, erfuhr mein Papa erst Jahre später: Beide waren als U-Boote durch die letzten Kriegsjahre gekommen, versteckt vor den Nazi-Häschern, mitten in Wien. Brauer allein in einem Schrebergarten, mein Vater mit seiner Mutter bei einander abwechselnden fünf oder sechs Retter-Familien. Solche Themen vermied man in diesen Jahren - auf Täter- wie auf Opfer-Seite.

1971, als Arik zu malerischem Ruhm gekommen war, brachte mein Vater als early adopter das erste, unerhörte Brauer-Album (trägt nur seinen Namen) nach Hause und wir hörten das fortan zumindest einmal die Woche, am Sonntag-Mittagstisch, wo wir Kinder auch mitbestimmen durften und wir waren sehr dafür. Es enthielt 12 Lieder mit derben und realistischen Dialekt-Texten zu meist schrecklichen Themen: die Zeit der Nazi-Schlächter, die Unbarm- und Hartherzigkeit der Nachkriegszeit und ihrer Verlierer-Figuren, die Hatz auf Außenseiter jeder Art, die feiste Ignoranz der von uns verschuldeten Gräuel in ärmeren Ländern, aber auch rebellische Umweltschutz-Themen.

Weil es in den Nachrufen so rüberkommt als wäre das Album mit offenen Armen angenommen worden: Das Gegenteil ist der Fall - die breite Öffentlichkeit war entsetzt, über die Themenwahl ebenso wie über direkte Ansprache; und ganz wie der zeitgleich beginnende Austro-Pop wurden die Brauerschen Wahrheiten als Ausfluss proletoiden Abschaums hingestellt. Der Kulturkampf um eine offene Gesellschaft war 1971, als die Kreisky-Regierung erst am Beginn stand, noch nicht ausgefochten.

Arik Brauer war Teil dieser Öffnung, seine Waffen waren seine fantastischen Bilder, seine treffenden Worte und in weiterer Folge auch sein Aktionismus. Brauer war ein glücklicher Mann, weil er zeitlebens das machen konnte, was er wollte: ein Lebens- und Universalkünstler eben.

Brauer brachte Farbe und Leben in eine stinkige, graue Gegend (sein Brauer-Haus steht in der stadtinneren Gumpendorferstraße in Gürtel-Nähe) in meinen Geburtsbezirk, er wurde zum Hainburg-Kämpfer (da gibt es auch einen Lieder-Zyklus dazu), zum weisen Geschichten-Erzähler, Ehrenzeichen- und Lebenswerk-Preis-Empfänger und Vorbild. So wie auch hier, als er für FM4 gemeinsam mit Garish sein „Köpferl im Sand“ neu aufnahm.

In den letzten Jahren war Brauer streitbarer Teilnehmer diverser öffentlicher Diskurse, die er mit einer alterslosen, sinnlichen Fröhlichkeit bestritt, die der Ernsthaftigkeit der Themen aber keineswegs widersprach. Brauer hatte nie zugelassen, dass der Hass der Nazis sein Leben definierte - vielleicht sein wichtigster Sieg überhaupt.

PS: Das mit dem Milchreis habe ich geerbt oder zumindest übernommen - wenn ich den rieche, reckt’s mich.

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