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Alem Grabovac erzählt in seinem Debüt vom Aufwachsen als "unsichtbares Gastarbeiterkind"

Paula Winkler

„Das achte Kind“ von Alem Grabovac ist ein Romandebüt, das betroffen macht

Der biologische Vater im Häfn, der Pflegevater ein Nazi, der Stiefvater Alkoholiker. „Das achte Kind“ ist eine postmigrantische Coming-of-Age-Story über eine extreme Jugend.

Von Felix Diewald

Als in den 50er- und 60er-Jahren die Wirtschaft in Deutschland und Österreich boomte, warb man im Ausland um Arbeitskräfte - die sogenannten Gastarbeiter*innen. Bis zum Anwerbestopp 1973 kamen so hunderttausende Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben aus Süd- und Südosteuropa. Und oft hatten sie es dann alles andere als leicht in der neuen Heimat.

Zum Beispiel Smilja, die als junge Frau in den 60er-Jahren aus Kroatien ins deutsche Würzburg zieht, um dort in einer Schokoladenfabrik zu schuften. Als sie 1973 einen Sohn bekommt, muss sie diesen an eine Pflegefamilie abgeben. Dieser Sohn, Alem Grabovac, ist heute Journalist und Autor. Und hat jetzt seinen ersten Roman „Das achte Kind“ veröffentlicht. Es ist eine autobiografische Geschichte über das Aufwachsen eines „unsichtbaren Gastarbeiterkindes“.

„Was bist du für ein Mensch? Gestern hast du einen Sohn bekommen und heute liegst du besoffen im Bett. Du stinkst nach Zigarettenqualm und Schnaps, hast wahrscheinlich die ganze Nacht gesoffen und uns vergessen. Du hast mich bestohlen, du Arschloch! Du hast uns bestohlen. Wir mussten den ganzen Weg vom Krankenhaus hierherlaufen. Durch den Schnee. Schämst du dich nicht? Wo warst du, verdammt noch mal?“

Smiljas Ehemann ist ein unzuverlässiger Kleinkrimineller. Wenige Wochen nach der Geburt ihres Sohnes Alem trennt sie sich von ihm. Aber wie soll sie jetzt - als Fabrikarbeiterin und ohne Kinderbetreuung - ihr Kind großziehen? Sie bringt das Baby zu einer deutschen Pflegefamilie am Land, die Alem als ihr achtes Kind aufnimmt.

Drei dysfunktionale Vater-Sohn-Beziehungen

Von da an begleiten wir Alem beim Aufwachsen. Er hat es schwer, dysfunktionale Vater-Sohn-Beziehungen prägen ihn. Drei Väter gibt es in seinem Leben: Sein leiblicher Vater wird jahrzehntelang auf einer jugoslawischen Gefängnisinsel eingesperrt, Alem lernt ihn nie kennen. Sein Pflegepapa ist ein liebevoller Vater, hat aber gleichzeitig eine dunkle Vergangenheit als Soldat und ist immer noch überzeugter Nazi. Je älter Alem wird, desto mehr geraten die beiden aneinander. Seine Mutter ist in der Zwischenzeit nach Frankfurt gezogen und hat wieder geheiratet. Doch Dušan ist ein Schläger, der sich im Frankfurter Bahnhofsmillieu herumtreibt und seine Mutter und auch Alem verprügelt, wenn er am Wochenende zu Besuch ist.

Alem Grabovac erzählt in seinem Debüt vom Aufwachsen als "unsichtbares Gastarbeiterkind"

hanserblau

„Das achte Kind“ (265 S.) von Alem Grabovac erschien am 25. Jänner bei hanserblau.

„Wenn Dušan mich geschlagen hatte, versuchte er sich am nächsten Tag von seinem schlechten Gewissen freizukaufen. Dann gingen wir ins Schwimmbad, ins Kino, in den Zoo oder auf die verdammte Dippemess, auf das Volksfest vor der Eissporthalle in der Nähe des Ostparks.“

Trotz des harten Loses gelingt Alem der gesellschaftliche Aufstieg, er verschlingt Bücher, schafft den Sprung von der Realschule aufs Gymnasium und kann später studieren.

Über all dem schwebt für den Teenager die Frage der Identität. Wo gehört Alem dazu? Er springt zwischen seiner deutschen Familie am Land und dem rauen Milieu in Frankfurt hin und her. Und die Sommer verbringt er stets bei seinen Großeltern in einem abgelegenen kroatischen Bergdorf.

Harte Story, on point erzählt

Erzählt wird Alems Geschichte in einem fettfreien, minimalistischen Stil. Es gibt kaum Ausschmückungen oder Metaphern. Die Sprache verschwindet hinter der Handlung und ist hier nur Hilfsmittel, um die extreme Jugend rüberzubringen.

„Das achte Kind“ ist ein Romandebüt, das betroffen macht. Es widmet sich mit den Arbeitsmitgrant*innen einem Kapitel der Nachkriegsgeschichte, das oft vergessen wird - und noch lange nicht auserzählt ist. Alem Grabovac zeigt auf ungeschönte Weise, wie die sogenannten Gastarbeiter*innen von Politik und Gesellschaft in vielen Bereichen sich selbst überlassen worden sind.

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