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Angela Ricciardi

Queer Break-Up-Pop: Clauds Debütalbum „Super Monster“

Claud ist das erste Signing auf Phoebe Bridgers’ Label Saddest Factory Records, das Debütalbum heißt „Super Monster“.

Von Lisa Schneider

Die Electric Lady Studios in Greenwich Village, New York, sind ein legendärer Ort. Viel ist dort von Gründer Jimi Hendrix, aber auch von späteren Besuchern wie David Bowie oder John Lennon aufgebaut, getrunken, eingeworfen, verworfen, versemmelt und aufgenommen worden. Über die Jahre wurde Geld hineingesteckt und verloren, mittlerweile sind die Electric Lady Studios ein Komplex von drei getrennten Tonstudios, in dem sich nicht nur die guten Musikköpfe der Stunde treffen, sondern auch Platz für Kunst außerhalb der Musik bleibt. So etwa für eine Ausstellung des 2019 verstorbenen Daniel Johnston, der seines Zeichens länger gezeichnet als Lieder geschrieben hat.

Frankenstein Love

Claud zeichnet auch. Und macht auch Musik. Und Clauds Album wurde dort, wo aktuell Daniel Johnstons Zeichnungen und Illustrationen an den Wänden hängen, fertiggestellt: in den Electric Lady Studios. Die Reihe an guten Zufällen nimmt damit erst ihren Lauf: „I was at the end of the recording process, about ready to master the album. I was trying to think of an album title, and I was really into the idea of calling it like monster-something or creature-something. I think that’s because I was doing a lot of readings at the time, in queer theory there’s a lot of comparisons to Frankenstein or monster stories to a queer experience. And so I was like: It would be a queer coded title - and I loved that.“

Cover Claud "Super Monster"

Saddest Factory Records

„Super Monster“ von Claud erscheint auf Saddest Factory Records.

Und tatsächlich ist es Daniel Johnston, der eine spezielle Vorliebe für Monster aller Art hatte und der auch eine Zeichnung - ja, keine Erfindung - „Claud, the Super Monster“ genannt hat. Die Erlaubnis, den Titel für sein/ihr Album zu nutzen, hat Claud sich von dessen Familie geholt. Und da ist er, der Titel des ersten Albums: Super Monster. Das Artwork stammt von Claud selbst.

Claud Mintz ist 21 Jahre alt und in Chicago groß geworden. Das erste Lied, das Claud gerne selbst geschrieben hätte, war „1234“ von Feist. Wer nicht.

Wo, außer im Schlafzimmer

Claud ist Teil einer Generation junger Musiker*innen, die gerne als „Generation Z“ der Marke Bedroompop zugeordnet wird. Wer Clauds Musik hört, dem werden andere Acts wie girl in red, Boy Pablo oder Clairo vorgeschlagen (mit der Claud übrigens schon längst eine eigene Band, Shelly, gegründet hat). Sie alle haben zwei Dinge gemeinsam. Sie schreiben gern hallige, oft verträumte und meist introvertierte Lieder über die mühsame Zeit, die die späten Teenagerjahre, die frühen 20er sind. Und: Upbeat gibt es nicht. „Bedroompop“ war vielleicht vor zehn Jahren ein aktueller Begriff, heute ist es normal, Songs am Schlafzimmerlaptop fertigzustellen. Aber die Soundästhetik dieses doch eher artifiziellen Genres ist gleich geblieben.

„The Internet is its own city“, lacht Claud im FM4-Interview auf die Frage, welche der Städte, in denen sie/er bisher zumindest für kurze Zeit gelebt hat - Chicago, New York, - der beste starting point für die Musikkarriere war. Und das ist natürlich richtig. Einen ersten kleinen, queeren Überhit hat Claud mit „Wish You Were Gay“ gelandet, und das independent, also noch ohne Label und nur mit der Hilfe diverser Streaming-Plattformen. Kristallklar ausproduzierte Popsongs, das waren diese ersten Lieder von Claud, auch etwa „Miss You“. Zum Album hin hat sich das geändert. Da gibt’s mehr Fuzz, mehr Gitarre, und überhaupt mehr Indierock-Anleihen zu hören.

Ein neues, gutes Label

Phoebe Bridgers soll schon vor langer Zeit auf Clauds Musik aufmerksam geworden sein, es hat aber gedauert, Claud zu überzeugen, einen Vertrag zu unterschreiben.

Als Phoebe Bridgers dann aber letztes Jahr ihr eigenes Label (ein Imprint ihres musikalischen Heimathafens Dead Oceans) Saddest Factory Records gegründet hat, war es dann soweit: Claud war überzeugt - vor allem auch deshalb, weil Phoebe Bridgers selbst Musikerin ist -, und damit offiziell das erste Label-Signing. „Good music, regardless of genre“, hat Phoebe Bridgers die Labelintention einmal beschrieben. Dass unser aller Lieblings-Emo ihren ersten Act aus der Ecke der traurigen Gitarrenpopmusik aussucht, passt gut.

Ihren hoch talentierten, tatsächlich gern Marketingstrategien entwerfenden und ebenfalls queeren Labelboss zählt Claud zu ihren/seinen musikalischen Vorbildern (neben der hochheiligen Arlo Parks). Aber anders als Phoebe Bridgers, die ihre Texte gern auch mal herrlich kryptisch und metaphernreich hält, schreibt Claud super straighte Lieder über die Liebe und alles, was deshalb schiefgeht. „Pop that goes well with a late night snack“ stand darüber einmal irgendwo im Internet. Claud würde sagen: „It’s just Claud“.

Claud, als würde sie/er neben dir sitzen, dich ins Schlafzimmer einladen, auf die Poster an der Wand deuten. Schau, die zerkratzten Bilderrahmen mit den Sonnenuntergängen drin, das war kitschig, und es war schön („Like It Was Only Just Us Two“ - „Soft Spot“). In Clauds Liedern betrachten wir Souvenirs diverser Lebensphasen und die Überbleibsel von etwas, das mal gut war („I know it’s a problem I like falling into your arms“ - „Gold“).

Vom Älterwerden und von Wiederholungen

Es gibt sie, die queeren Liebeslieder (Kehlani, Frank Ocean, Perfume Genius, you name them). Es gibt aber immer noch nicht übermäßig viele, und Claud hat ihnen ein ganzes Album gewidmet. Dass sich all das Herzweh und Missverstehen und Unglücklichsein anhört wie die Vertonung einer Neuauflage vom jugendlichen Filmklassiker „The Breakfast Club“, kommt nicht von irgendwo: „Super Monster“ ist eine Coming-Of-Age-Platte, ein Album über das sich Ver- und wieder Entlieben, über das Erfahren von Beziehungen und dem Wachsen daran. Am Ende steht kein unbedingtes Happy End, stattdessen das oft eingelöste Popversprechen von „we’re all in this together“.

Dass sich so mancher Inhalt auf der Länge dieser dreizehn Lieder wiederholt, ist ein kleiner Schönheitsfehler, der Claud sympathischerweise sehr bewusst ist. Wer ein Album mit den Zeilen „I fell in love like a fool overnight“ beginnt, ist mit der guten Eigenschaft ausgestattet, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen: „I just thought that would be a fun way to start the record, a little light hearted but also like ‚come on, Claud‘.“

Das wäre ein schöner Satz, diesen Text zu beenden, aber Claud hat im Interview dann einen - bzw. zwei - noch viel schönere gesagt.

Frage: „Dein Album in zwei Sätzen?“

Antwort: „I fell in love, and then all this shit happened. Here is all this shit.“

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