Nach „Die Bagage“ schreibt Monika Helfer über ihren „Vati“
Von Zita Bereuter
Im Vorjahr schrieb Monika Helfer den Bestseller über ihre Familie, „Die Bagage“. Eine unglaubliche Familiengeschichte aus dem Bregenzerwald von einer Familie, die arm und karg auf einem Bergbauernhof lebte und von der Dorfbewohnerschaft geächtet wurde – nicht zuletzt wegen der schönen Großmutter. „Zu schön um wahr zu sein, zu wahr um schön zu sein“. Im ersten Lockdown hat Monika Helfer mit einem weiteren Porträt nachgelegt - über ihren Vater.
„Wir sagten Vati“
„Wir sagten Vati. Er wollte es so. Er meinte, es klinge modern. Er wollte vor uns und durch uns einen Mann erfinden, der in die neue Zeit hineinpasste. An dem eine andere Vergangenheit abzulesen wäre.“
Die Vergangenheit des Vaters ist arm und hart, auch er stammt aus einer Bagage. Im Lungau in Salzburg wächst er als unehelicher Sohn einer Magd auf. Sie hausen mit der blinden Tante äußerst elendig in einem Schopf.
„Die Familie des Ärmsten war besser dran als mein Vater und seine Mutter.“
Aber schnell ist klar, dass er das schlauste Kind im Dorf ist. Er will studieren. Kurz vor der Matura wird er allerdings in den Krieg eingezogen und verliert dort ein Bein. Im Lazarett wird er von einer jungen Frau gepflegt, die ihm einen Heiratsantrag macht. Die junge Frau kennt man bereits aus „Die Bagage“ – es ist Grete, die Mutter von Monika Helfer.
Der Vater wird Leiter eines Invalidenheimes auf der Tschengla, einer bildschönen Anhöhe gegenüber von Bludenz. Auf über 1200 Meter Seehöhe dient das Heim deutschen Kriegsversehrten zur Erholung. In den Sommermonaten kommen sie, die Einarmigen, Einbeinigen, Blinden, Verlassenen. „Solche, die man nicht gerne sah. Weil sie an den Krieg erinnerten. Die im Weg standen. Bei uns hatten sie es lustig. Bei uns war Hochbetrieb und wir Kinder ließen uns necken. Kein Abend ohne Gesang. Und wir durften lange aufbleiben.“

Cinedoku/Erwin Thurnher
Der Fotograf Erwin Thurnher dokumentierte das Leben und die Gäste auf der Tschengla.
Die restliche Zeit im Jahr genießt die Familie Helfer das Leben auf der Tschengla unter sich. Ein paradiesischer Traum - der plötzlich zu einem Alptraum wird. Ein Missverständnis führt zu einem Unglück, die Mutter stirbt, die vier Kinder werden auf zwei Tanten aufgeteilt, der Vater scheint zu zerbrechen. Dennoch - die Familie schafft es irgendwie, weil sie, die Bagage, eines kann: Zusammenhalten.

Cinedoku/Erwin Thurnher
Auf dem Rodel Monika Helfer und ihre Schwester Gretel, in der Mitte „Vati“ und der Bruder Richard.
Ein Gespräch über Vati
Den Rahmen für „Vati“ bildet ein Gespräch, das Monika Helfer mit ihrer Stiefmutter zehn Jahre nach dem Tod des Vaters führt. Als Leserin sitzt man mit den beiden am Tisch.
„Es geht also um deinen Vater“, sagte sie. „Hab ich recht?"
"Ich möchte einen Roman über ihn schreiben."
"Wahr oder erfunden?"
Ich sagte: "Beides, aber mehr wahr als erfunden. Wenn du etwas hättest?"
Sie: "Wart damit, bis ich tot bin. Dann muss ich mich nicht ärgern.“
Durch diese autofiktive Gesprächssituation und Erinnerungsfragmente schafft Monika Helfer immer wieder den Sprung in die Gegenwart und erzählt auf gut 170 Seiten nicht nur eine Biographie des Vaters, eine Vater-Tochterbeziehung oder eine bloße Familiengeschichte, sondern porträtiert auch die brüchige Nachkriegszeit mit Höhen und Tiefen: geradezu idyllisch und frei auf dem Berg, sowie eng und bedrückend in einer Siedlung. Erstaunlich ist dabei die Leichtigkeit, der Humor und die unbedingte Menschlichkeit. Vorwürfe oder Beschuldigungen findet man nicht bei Monika Helfer. Ebensowenig Kitsch.
Sie erzählt von Krieg und Freude, von Liebe und Schmerzen, von unerfüllten Träumen und Alpträumen und von starken, weil schwachen Männern. Vor allem aber von der unglaublichen Leidenschaft zu Büchern, die ihr Vater lebte und auf sie übertragen hat. Von ihm stammt auch der schlaue Satz:
„Nicht jeder Dreck, den man lesen könne, sei hintereinandergereiht schon eine Bibliothek.“
Bücher sind für den Vater ein Schatz. Er, der ruhige und stille Mann, der sich ein anderes Leben erträumt hätte, findet in Büchern Zuflucht.
Als Teenager wird Monika Helfer von ihrem Vater gefragt, was sie sich vom Leben wünsche. „Ich wünsche mir, dass irgendwann auf einem Buchrücken mein Name steht.“ Jetzt steht darauf nicht nur Monika Helfer, sondern auch „Vati“. Und das Buch passt im besten Sinn in jede Bibliothek.
„Ich war völlig aufgeregt während des Schreibens und alles andere als ruhig“, erzählt sie bei einem Gespräch im Herbst. Sie habe das Buch sehr schnell geschrieben. Es war keine Therapie. „Da halte ich nicht viel davon, dass Schreiben eine Therapie ist.“ Schreiben ist für Monika Helfer ganz klar Handwerk. „Man muss einfach schauen, dass man es so gut wie möglich hinkriegt“, sagt eine, die das Handwerk beherrscht.
Publiziert am 06.02.2021