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Migranten und Flüchtlingen in improvisierten Lagern in Bosnien

APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

interview

Flüchtlingspolitik: „Die restriktive Haltung ist langfristig keine Lösung“

Die Zustände in Flüchtlingslagern in Bosnien oder Griechenland, aber auch die Abschiebung von Schülerinnen in Österreich bringen die Themen Flucht und Asyl wieder in den Vordergrund der politischen Debatte. Ewa Ernst-Dziedzic von den Grünen über die Situation in Bosnien und Differenzen mit der ÖVP.

Von David Riegler

Seit der Schließung der Balkanroute sind tausende Flüchtlinge im Norden Bosniens gestrandet und leben dort großteils unter katastrophalen Bedingungen. Viele sind obdachlos oder in Zeltlagern untergebracht und mitten im Winter bei Minusgraden. Die EU und der Staat Bosnien und Herzegowina schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Menschen zu und die Versorgung hängt zu einem großen Teil von Hilfsorganisationen wie zum Beispiel SOS Balkanroute ab.

Ein tragisches Beispiel dafür ist das Zeltlager Lipa, das im Dezember abgebrannt ist und zuvor von der zuständigen IOM (Internationale Organisation für Migration) einfach verlassen wurde, mit der Begründung die bosnischen Behörden würden sich weigern das Lager an das Strom- und Wassernetz anzuschließen. Nach dem Brand konnte keine neue Unterkunft für die Menschen gefunden werden und es wurde am selben Ort einfach ein neues Zeltlager aufgebaut.

Migranten und Flüchtlingen in improvisierten Lagern in Bosnien

APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

Warteschlange vor der Essensausgabe im Lager Lipa

Das Thema Asyl wurde in den letzten Tagen, nach der Abschiebung von drei Schülerinnen aus Wien, auch im österreichischen Parlament heftig diskutiert. Am Donnerstag wurden zwei Entschließungsanträge von der Opposition eingebracht, die ein humanitäres Bleiberecht und die Rückholung der Schülerinnen forderten. Die Grünen haben die Abschiebungen zwar scharf kritisiert, jedoch den Anträgen im Parlament nicht zugestimmt. Das sichert zwar das Bestehen der türkis-grünen Koalition, hat jedoch auch für Kritik und Verwunderung der eigenen Wähler*innen gesorgt.

Eine der kritischsten Stimmen zum Thema Asyl innerhalb der Grünen ist die Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic, die bis vor kurzem noch stellvertretende Klubobfrau der Grünen war. Sie ist schon mehrmals persönlich zu den Flüchtlingslagern nach Griechenland gereist und hat die Zustände vor Ort kritisiert. Vor wenigen Tagen hat sie die Flüchtlingslager in Bosnien besucht, um sich ein Bild von der Situation der Menschen vor Ort zu machen. FM4 hat sie per Skype zum Interview getroffen.

Ewa Ernst-Dziedzic im Interview

David Riegler: Wie ist Ihr Eindruck von der Situation vor Ort?

Ewa Ernst-Dziedzic: Ich wollte mir die Situation schon länger ansehen, weil ich zum Weltflüchtlingstag im Juni das Thema Grenzgewalt und Push-Backs aufgegriffen habe. Die Situation der Geflüchteten, im Besonderen in Bosnien und Lipa, steht stellvertretend für diese sehr eskalative Situation vor Ort und auch stellvertretend dafür, wie man an den Außengrenzen Europas mit Geflüchteten umgeht. Und genau das wollte ich thematisieren und habe im Zuge meiner Reise mit dem Bürgermeister von Bihać, mit dem Premierminister des Una-Sana Kantons, aber natürlich auch mit NGOs gesprochen, mit dem Roten Kreuz, mit vielen Aktivisten und Aktivistinnen.

Immer wieder gibt es Berichte über das brutale Vorgehen der kroatischen Grenzpolizei und von illegalen Push-Backs nach Bosnien. Was haben die Menschen Ihnen darüber berichtet?

Ich habe mit sehr vielen Flüchtlingen gesprochen. Ich war auch dabei, wie sich eine ganze Familie auf den Weg gemacht hat Richtung Grenze. Ich habe mit einem gesprochen, der 37-mal einen Push-Back erlebt hat, der erzählt hat, dass er gerade von der kroatischen Grenze zurückgekommen ist, wo ihm die Polizei die Schuhe weggenommen hat. Ich habe, wie gesagt, schon im Juni an das Außenministerium die Berichte der NGOs übergeben, wo ja ganz klar dokumentiert war, dass es diese Grenzgewalt geben muss und ich kann diese Berichte nur bestätigen, nachdem ich dort war.

Das ist anscheinend an der Tagesordnung, dass die Menschen hier zurückgeworfen werden, auch wenn sie, wie sie selbst sagen, um Asyl angesucht haben.

Das ist ein gravierendes Problem, denn wir haben nicht nur die Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch das Völkerrecht, und das scheint hier außer Kraft gesetzt worden zu sein.

Migranten und Flüchtlingen in improvisierten Lagern in Bosnien

APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

Ein afghanischer Flüchtling zeigt bei einem Push-Back zerstörte Smartphones.

Ein anderes Problem ist, dass viele Menschen obdachlos sind oder in Zeltlagern leben müssen mitten im Winter. Wie kann so etwas vier Stunden von der österreichischen Grenze entfernt geschehen?

Das ist eine gute Frage. Wir haben zu Bosnien eine historische und geografische Nähe. Das war auch der Grund, wieso ich mir die Situation anschauen wollte. Und ja, es stimmt - die Geflüchteten sind größtenteils nicht in irgendwelchen Lagern untergebracht, sondern leben in Häusern, die nicht bewohnt sind, in nicht intakten Fabrikhallen, in Lagerhallen oder verstecken sich in den Wäldern. Das sind sogenannte Blind-Spots, wo niemand Zugang zu ihnen hat, außer eben die Aktivist*innen, die ihnen Essen bringen. Sonst würden diese Menschen schlicht in den Wäldern verhungern. Das ist das eine. Das zweite ist, dass die Verantwortung in Bezug auf die Unterbringung natürlich wie eine heiße Kartoffel hin- und hergeworfen wird. Das Lager Lipa ist ja bekanntlich im Dezember abgebrannt. Ich habe mir das angesehen. Man hat daneben einfach ein neues Lager aus dem Boden zu stampfen versucht, mit NATO-Zelten und mittlerweile immerhin ein bisschen Essensverteilung. Aber das auch nur, weil es NGOs wie SOS Balkanroute organisieren. Fakt ist, dort sind lediglich 1.000 Menschen. Wir wissen offiziell von 8.000 Menschen plus weiteren mindestens 2.000 bis 4.000, die nicht registriert sind. Das heißt, ich gehe jetzt von 12.000 Menschen aus, wo wir eben nur von einem Bruchteil wissen, dass diese untergebracht sind.

Migranten und Flüchtlingen in improvisierten Lagern in Bosnien

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Afghanische Familien in verlassenen Häusern.

Österreich hat auf Hilfe vor Ort gesetzt und erst vor kurzem eine Million Euro an Hilfszahlungen zur Verfügung gestellt. Was ist mit dem Geld passiert?

Hilfe vor Ort ist immer richtig und wichtig. Auch Prävention ist richtig und wichtig, weil wir wissen, Menschen machen sich nur dann auf die Flucht, wenn die Situation in den eigenen Herkunftsländern für sie unaushaltbar ist. Dass hier anscheinend die internationalen Organisationen die Kooperation mit den bosnischen Behörden unterbrochen haben und es nicht zusammenbringen diese Gelder, egal ob von Österreich oder der Europäischen Kommission, so einzusetzen, dass es eine menschenwürdige Unterbringung gibt, das ist natürlich ein großes Desaster, das auf dem Rücken der Menschen ausgetragen wird. Und diese eine Million aus Österreich, der habe ich versucht auf die Spur zu kommen und habe sie schlicht nicht gefunden. Die Behörden dort sagen, sie haben nie einen Cent gesehen. Die Internationalen Organisationen wie IOM oder UNICEF oder UNHCR, mit denen ich gesprochen habe, konnten mir nicht sagen, wo dieses Geld genau landet. Ich kann nur bestätigen, es kommt nicht bei den Menschen an, die es dringend brauchen würden.

Es gibt seit mehreren Monaten Berichte von den katastrophalen Zuständen in den bosnischen Flüchtlingslagern und Sie sagen, die Hilfszahlungen kommen nicht bei den Menschen an. Warum wird trotzdem niemand in Österreich aufgenommen?

Das ist eine Diskussion, die wir mit unserem Koalitionspartner nicht erst seit den Verhandlungen intensiv führen. Die ÖVP hat sich ja bekanntlich immer gegen einen sogenannten Verteilungsschlüssel ausgesprochen, also der Beteiligung Österreichs an einer solidarischen, europaweiten Lösung. Wir Grüne sind da anderer Meinung. Fakt ist, im Regierungsprogramm haben wir diverseste Dinge vereinbart, die das aus meiner Sicht auch möglich machen würden, bei akuten Fällen trotzdem eine Lösung zu finden. Und ich denke die ÖVP merkt mittlerweile auch, dass ihre eigenen Wähler und Wählerinnen, Bürgermeister, Bürgermeisterinnen bis hin zur kleinsten Pfarrgemeinde, hier selbst die ÖVP dazu bewegen möchten umzudenken. Und da sind wir Grüne natürlich weiterhin und permanent in intensiven Gesprächen mit der ÖVP.

Migranten und Flüchtlingen in improvisierten Lagern in Bosnien

APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

Was ist, wenn Sie die ÖVP nicht überzeugen können, einen anderen Kurs im Asylrecht zu fahren? Wie weit sind die Grünen bereit zu gehen, um diese Koalition zu halten?

Mein Gradmesser in der Politik ist natürlich immer die Frage der Wirksamkeit. Solange wir das Gefühl haben, dass wir etwas bewegen können, dass wir etwas bewirken können, dass wir hier in einem intensiven Austausch mit dem Koalitionspartner sind zu all den angesprochenen Fragen, denke ich nicht, dass es angebracht wäre, das Handtuch zu schmeißen. Wir werden aber natürlich als Grüne ganz genau beobachten, inwiefern die ÖVP hier auch uns entgegenkommt, weil eine Koalition natürlich nur dann längerfristig funktionieren kann, wenn beide Seiten zu Kompromissen bereit sind, wenn beide Seiten das Gespräch suchen und wenn keine der Seiten sich hier einfach einbetoniert und sagt: „So ist es“, nach dem Motto friss oder stirb.

Sie sind seit kurzem nicht mehr die stellvertretende Klubobfrau der Grünen. In einem Artikel im Standard heißt es, Sie wären zu kritisch für den Koalitionspartner. Stimmt das?

Das müssen Sie die ÖVP fragen. Ich denke, die ÖVP hat mich kennengelernt als eine, die in Menschenrechtsfragen eine ganz klare Positionierung hat und diese ihnen auch immer klargemacht hat. Von den Verhandlungen angefangen bis zu den ganz konkreten Fällen, wo etwas getan werden muss, wie bei Moria aber auch bei Bosnien. Das heißt, ich denke, für die ÖVP war das jetzt nicht überraschend. Was natürlich stimmt, ist, dass ich nach meinem Besuch in Moria nicht nur sichtbar gemacht habe, was dort passiert, sondern natürlich auch sehr vehement darauf gepocht habe, dass hier Österreich auch Verantwortung übernimmt.

Bekommen Sie trotz ihrer kritischen Haltung Rückhalt aus Ihrer Partei?

Die Grünen waren schon immer eine kritische Partei, die hinterfragt hat, wieso es Missstände gibt. Und die Grünen setzen sich ja nicht nur aus der Bewegung in Hainburg zusammen, sondern aus der Frauenbewegung, aus der Friedensbewegung und aus der Menschenrechtsbewegung. Natürlich haben wir so auch innerhalb der Partei immer einen starken, nicht nur Öko-, sondern auch Menschenrechts-Fokus gehabt. Wir diskutieren das auch ganz offen mit der Basis, mit unseren Funktionären und Funktionärinnen: Was bedeutet diese Koalition für eben diese Menschenrechtsfragen? Was müssen wir Grüne hier tun, damit eben diese grüne Handschrift auch in diesem Bereich und nicht nur im Öko-Bereich sichtbar wird?

Sie haben die Zustände in den griechischen und bosnischen Flüchtlingslagern persönlich erlebt. Was muss Ihrer Meinung nach jetzt geschehen, um die Situation zu verbessern?

Erstens ist es ganz wichtig aufzuzeigen was passiert, sowohl in Griechenland, in den Elendslagern, als auch beispielsweise an der bosnisch-kroatischen Grenze. Aus den Augen, aus dem Sinn wird natürlich nicht dazu führen, dass wir die Situation verbessern, so wie man versucht hat in Griechenland die Menschen zusammengepfercht einzusperren, am Rande von den Dörfern und Städten. Genauso hat man versucht in Lipa, irgendwo mitten im Wald, wo kilometerweit gar nichts ist, die Menschen mehr oder weniger zu verstecken. Das heißt, das erste ist die Missstände sichtbar zu machen. Das zweite ist natürlich jene Stellen zu aktivieren, die hier die Verantwortung tragen. Das beginnt bei der Europäischen Kommission und endet aber bei der kleinsten Gemeinde in Österreich, die hier klar Position bezieht. Und wie wir gerade erleben, gibt es sehr, sehr viele Gemeinden in Österreich, die sagen: Wir haben Platz, wir hätten die Ressourcen und wir haben das Know-how. Und ja, das ist eine gemeinsame Kraftanstrengung hier die ÖVP davon zu überzeugen, dass diese restriktive Haltung weder bei der Bevölkerung ankommt, noch langfristig eine Lösung ist.

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