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„Davos geht uns alle an“

Hochdramatisch und spannend beginnt die Doku „Davos“, die das Dilemma unserer globalisierten Welt zwischen ländlicher Idylle und davon abgekoppeltem World Economic Forum zeigt. Daniel Hoesl und Niemann haben ein Jahr in den Schweizer Bergen gelebt und gedreht.

Von Maria Motter

„Leider ist das Kino weiterhin geschlossen. Unser Kinostart beginnt nun online über Kino VOD Club“, informiert die Website zum Film „Davos“. Seit 5. Februar 2021 ist die tolle Doku online verfügbar.

Hochdramatisch und spannend wie ein Thriller beginnt die Dokumentation „Davos“ mit der Geburt eines Kalbs. Ein Bauernehepaar ringt mit unterstützenden Freunden um die Kuh. Es ist stockfinstere Nacht. Der Hof liegt noch höher als die höchstgelegene Stadt Europas: In Davos nehmen tagsüber internationale Kamerateams Aufstellung, weil das jährlich stattfindende Weltwirtschaftsforum naht. Das sprichwörtliche Goldene Kalb, also das Streben nach Geld, ist aber nur ein Motiv des Films von Daniel Hoesl und Julia Niemann.

Die beiden österreichischen Regisseur*innen haben ein Jahr in Davos verbracht, zwischen einem Weltwirtschaftsforum und dem nächsten. Doch auch wenn sie für ihren Dokumentarfilm den Versuch unternommen haben, zumindest so weit wie möglich hinter die Kulissen dieses jährlichen Treffens der Mächtigen zu blicken – das Regieduo interessiert sich für die Menschen in Davos. 11.000 Menschen leben dort. Einmal im Jahr baut die Stadt komplett um: für das Forum.

„Das Jahrestreffen vom Weltwirtschaftsforum ist weltweit das allergrößte und bedeutendste Politik- und Wirtschaftstreffen, das auf privater Initiative stattfindet und darum ist die Wertschöpfung über 60 Millionen in Davos“, sagt ein Vertreter des Weltwirtschaftsforums. Ein Bürger widerspricht höflich. Wir gehen fischen mit portugiesischen Einwanderern, auf den Viehmarkt und nehmen an einer Redaktionssitzung teil. Wir sind unterwegs mit einem Geschäftsmann. Wir besuchen ein Punk-Konzert, eine Szene, die es augenscheinlich gibt abseits der kurzen Rummeltage, und schauen im Heim für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge vorbei.

Zwei Männer ringen im Freien miteinander bei einem traditionellen Wettkampf in Davos. Szene aus der Doku "Davos".

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Die Welt in einem Dorf zu fassen versucht: „Davos“ ist von Januar 2018 bis Mai 2019 gefilmt worden.

Alle Szenen könnten für sich stehen. Es gibt viele symbolkräftige Bilder, wunderbare Tableaux. Julia Niemann und Daniel Hoesl blicken in unterschiedliche Welten. Vieles wirkt vertraut. All das passiert gleichzeitig, doch es gibt keine tatsächlichen Berührungspunkte, jedoch klarerweise inhaltliche Verweise. Als Teilnehmer*innen des Weltwirtschaftsforums freiwillig bei einer Art Simulationsspiel mitmachen und in die Rolle von Flüchtlingen schlüpfen, erinnert das an die Schäferspiele Marie Antoinettes um 1780.

Die Dokumentation „Davos“ überzeugt durch ihre Zurückhaltung: Julia Niemann und Daniel Hoesl beweisen sich als kluge BeobachterInnen. Eine Wertung über das Geschehen ist dem Publikum überlassen.
Zum Film schreibt das Regie-Duo: „Davos geht uns alle an“. Das kann man doppelt verstehen.

Ein bewirtschafteter Berghang in Davos.

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Die Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus und eine sehr strenge, chice Stilistik, das sind zwei zentrale Elemente der bisherigen Spielfilme von Daniel Hoesl. Der österreichische Regisseur war gleich mit seinem rasanten Regiedebüt „Soldate Jeannette“ am Sundance Festival und hat beim Filmfestival Rotterdam einen der begehrten „Tiger Awards“ gewonnen. „Davos“ hatte die Uraufführung renommierten Dokumentarfilmfestival Visions du Réel.

„Staaten sind eher Kunden und müssen parieren“

Wie ist es Julia Niemann und Daniel Hoesl dort ergangen, als sie konfrontiert wurden mit der großen Diskrepanz zwischen dem Alltag auf einem Bauernhof und der großen Wirtschaftspolitik, die doch sehr anders läuft und hinter deren Kulissen schwer zu schauen ist (was sie auch gar nicht versuchten, weil sie etwas anderes zeigen wollten)? „Wir sind im Sinne von ‚Follow the money‘ ursprünglich natürlich schon wegen des Weltwirtschaftsforums nach Davos gegangen. Wir haben dann aber sehr schnell erkannt, dass sich in dieser Stadt die zynischen Nachbarschaften, die die Globalisierung nun mal mit sich bringt, viel extremer zeigen. Also die mächtigsten und reichsten Menschen der Welt treffen sich für vier Tage in Davos, um über die Köpfe der anderen hinweg Dinge zu besprechen und hin und wieder wahrscheinlich auch zu entscheiden. Und die anderen sind aber nur wenige Meter entfernt, haben aber keinen Schimmer, was da über sie besprochen wird. Natürlich auch keine Mitsprache“, antwortet Julia Niemann.

Und Daniel Hoesl fügt hinzu: „Das ist genau unser Dilemma. Das Dilemma unserer globalisierten Welt. Dass wir gar nicht mehr wissen, wie wir es richtig machen können und sollen. Ein Stadt ist ja nicht so mächtig wie ein multinationales Unternehmen. Staaten sind eher Kunden und müssen parieren. Und dort ist es halt ganz deutlich, weil dort gibt es halt den Zaun.“

Zwei Frauen und ein Mann in Anzügen sitzen an einem Tisch in einem Raum. Szene aus der Doku "Davos".

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Daniel Hoesl findet die Stadt Davos viel interessanter als das Weltwirtschaftsforum, das man aus dem Fernsehen kenne und das sich jedes Jahr auf ähnliche Art wiederhole. „Ich verstehe die hehren Ziele des World Economic Forum. Die verurteile ich überhaupt nicht. Aber wäre es nicht interessanter, ein Weltgesellschaftsforum zu betreiben? Warum ist gerade die Wirtschaft im Zentrum dieses Treffens.“ - „Weltgemeinschaftsforum!“, schlägt Julia Niemann vor. Ihren Dokumentarfilm verstehen die beiden nicht als Streitschrift.

Aufgrund der Corona-Pandemie hat die Stiftung Weltwirtschaftsforum ihr Treffen für dieses Jahr nach Jahrzehnten von Davos nach Shanghai verlegt, doch der geplante Termin im Mai ist jetzt auf August verschoben.

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